SZ-Adventskalender:Die kleine Kämpferin

SZ-Adventskalender: Zusammen ist es am schönsten: Maria P. mit ihren Kindern und dem Teddybär.

Zusammen ist es am schönsten: Maria P. mit ihren Kindern und dem Teddybär.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Maria P. muss es als Alleinerziehende schaffen, dass ihre beiden Mädchen in geordneten Verhältnissen aufwachsen. Den Weg in die Schuldenfalle will sie unbedingt vermeiden.

Von Berthold Neff, München

"Wenn ich am Abend müde nach Hause komme, atme ich auf, denn dann nehme ich meine beiden Mädchen in die Arme", sagt die kleine, zierliche Frau und schaut mit einem warmen Blick von der Couch runter auf die neun Jahre alte Victoria und die dreijährige Elena, die dort mit dem großen braunen Teddybär herumtollen.

Maria P. (alle Namen geändert) muss es als Alleinerziehende schaffen, dass ihre Mädchen in geordneten Verhältnissen aufwachsen. Dass am Ende des Monats noch etwas Geld da ist, damit niemand hungern muss. Denn genau deswegen hat Maria P. vor fünf Jahren ihre Heimat Rumänien verlassen. Obwohl das Land der Europäischen Union beigetreten ist, leben dort viele Menschen am Existenzminimum. Besonders schlimm ist die Situation in den abgelegenen Regionen, zum Beispiel in der Moldau im Nordosten des Landes. In der kommunistischen Ära, die 1989 mit der Exekution des Diktators Nicolae Ceausescu endete, gab es dort noch Kombinate. Diese Arbeit fiel weg, als sich die dort produzierten Erzeugnisse auf dem Weltmarkt behaupten sollten und die Fabriken kollabierten. Arbeitslosigkeit machte sich breit, Menschen ergriffen die Flucht. Selbst ein Hilfsjob im Westen, etwa in Deutschland, schien immer noch besser zu sein als gar kein Job in der Heimat.

So verschlug es Maria P. 2017 nach München. Einen Job als Kellnerin oder Köchin, jene Berufe, die sie in Rumänien erlernt hatte, fand sie ebenso wenig wie eine günstige Wohnung. Sie arbeitete als Putzfrau in Hotels. "Viel Arbeit, wenig Geld", sagt sie rückblickend. Aber es war genug, um ihre ältere Tochter nach Deutschland zu holen. Sie lebten in Wohncontainern, und fast der gesamte Verdienst ging für die Miete drauf. Etwas besser war die Situation dann in der Pension an der Burmesterstraße, und das war auch gut so. Wie hätte sie mit dem Baby, das 2019 zur Welt kam, im Container gelebt?

Vor allem auch deshalb, weil sie ja auf sich allein gestellt war. Vom Vater des ersten Kindes, der heute in England lebt, hat sie lange nichts mehr gehört. Der Vater der jüngeren Tochter wohnt in München, kümmert sich ab und zu um Elena und leistet inzwischen seinen bescheidenen Beitrag zum Unterhalt. Die Beziehung der Eltern ist aber angespannt.

Maria P. lässt sich aber nicht unterkriegen. "Ich bin zwar nur eine Handvoll Mensch", sagt sie, "aber ich kann kämpfen". Sie hat fast durchgehend gearbeitet, stets als Putzkraft. Als Corona kam und die Hotels und Fitnessstudios schließen mussten, brachen diese Einnahmen weg. Jetzt läuft es wieder, und klar ist, dass die deutsche Wohlstandsgesellschaft ohne die Arbeit dieser schlecht bezahlten Menschen kaum funktionieren würde. Auf dem Bau, im Reinigungsgewerbe, bei den Paketdiensten: Es sind kaum noch Einheimische, die sich diese Jobs antun.

Maria P. weiß, dass es auch an ihren mangelhaften Deutschkenntnissen liegt, dass sie keine bessere Arbeit findet. Aber wie das so ist: Den Sprachkurs musste sie abbrechen, als die Kleine schwer erkrankte. Aber obwohl sie nur schlecht Deutsch spricht, kommt sie inzwischen mit der Bürokratie und den Behörden zurecht. Sie bemüht sich, dass Victoria, die in die 3. Klasse geht, gut lernt. "Ich sag ihr immer, sieh mich an, wenn du keine gute Ausbildung hast, wird nichts aus dir". Das stimmt natürlich nicht ganz, denn aus Maria P. ist schon etwas geworden - vor allem eine gute Mutter. Das ist viel, und für ihre Kinder ist es gar alles.

Als die Familie vor einem Jahr die Sozialwohnung in Neuaubing beziehen durfte, schien sich alles zum Guten zu wenden. Dann aber wurde durch den russischen Angriff auf die Ukraine alles teurer. Schon Mitte des Monats gerät Maria P. ins Grübeln, ob das Geld noch reicht für Milch, Butter, Fleisch oder Öl. Die Kleider und die Schuhe für die Kinder stammen meist aus Spenden oder aus Secondhand-Läden. Und nun kommt der Energiepreis-Schock. Es macht ihr große Sorgen, dass der Preis für Strom im nächsten Jahr mehr als doppelt so hoch sein und auch die Heizung sich verteuern wird. "Wie soll ich das alles bezahlen?" Reserven hat sie keine mehr. Die goldene Halskette, ein Erbstück ihrer Mutter, die vor ein paar Jahren an Krebs starb, hat sie im Pfandhaus versetzt, stottert nun monatlich in kleinen Beträgen Zinsen und Gebühren ab. "Das war das erste und letzte Mal, dass ich Schulden gemacht habe", sagt sie. Den Weg in die Schuldenfalle will sie unbedingt vermeiden.

Immer mehr Menschen geraten in vergleichbare Situationen, wie der Verein für Fraueninteressen jüngst vermeldete. Im Auftrag des Sozialreferats bietet der Verein das sogenannte FIT-Finanztraining für Menschen in schwierigen finanziellen Situationen an. Schon im vergangenen Jahr war die Nachfrage nach diesem kostenlosen Angebot gestiegen, dessen Ziel es ist, dass die Ratsuchenden ihre Finanzen in den Griff bekommen. Erst Corona, dann der Energiepreisschock und die Inflation. Selbst Menschen, die noch über ein ausreichendes Einkommen verfügten und nicht auf Sozialleistungen angewiesen waren, "können ihren Lebensunterhalt nicht mehr ohne Unterstützung bestreiten", so der Verein.

"Es gibt immer einen Weg aus der Krise", sagt Andrea Weber, Leiterin des FIT-Finanztrainings. Doch die Menschen, die bisher einigermaßen zurechtkamen, fühlten sich plötzlich als Bittsteller und scheuten sich deshalb, die nötige Hilfe vom Jobcenter in Anspruch zu nehmen. Dabei könne man diese Unterstützung auch nur temporär in Anspruch nehmen, etwa bei den nun drohenden Nebenkostennachzahlungen.

Maria P. weiß, dass sie 2023 mehr Geld brauchen wird. Hilfe hat sie in diesen Tagen von ihrem Vater, der - nach einer schwierigen Operation - den langen Weg aus Rumänien nach München gemacht hat und auf die Kinder aufpasst, wenn die Mutter arbeitet. So schafft es Maria P., sechs Tage die Woche zu arbeiten, also auch am Samstag, wenn die Kinder nicht in der Schule oder im Kindergarten sind. Vielleicht bleibt ihr dann doch etwas Geld übrig für dringende Anschaffungen, einen Schreibtisch und einen kleinen Bürostuhl für die Drittklässlerin, einen Roller für die Kleine vielleicht und ein Fahrrad für die Große. "Das wäre unser schönstes Weihnachtsgeschenk."

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