Europäische Union:Die EU schärft ihr wichtigstes Instrument im Klimaschutz

Europäische Union: Unternehmen der Stahlbranche müssen schon heute für jede Tonne CO₂, die sie ausstoßen, Zertifikate kaufen.

Unternehmen der Stahlbranche müssen schon heute für jede Tonne CO₂, die sie ausstoßen, Zertifikate kaufen.

(Foto: Thomas Koehler/imago)

Nach 29-stündigen Verhandlungen ist die Reform des Emissionshandels beschlossen: Der Preis für CO₂ steigt - das bringt zusätzliche Lasten für Wirtschaft und Gesellschaft.

Von Josef Kelnberger, Brüssel

In der Nacht von Samstag auf Sonntag ging via Twitter ein Video hinaus in die Welt, das für den Brüsseler Politikbetrieb bezeichnend ist: eine Runde von Politikerinnen und Politikern samt Mitarbeiterstab, die sich in einem Konferenzraum gegenseitig Beifall klatschen. Die Uhr im Hintergrund zeigt 1:55 Uhr - das glückliche Ende einer Sitzung, die am Freitagvormittag begonnen hatte und, Unterbrechungen herausgerechnet, insgesamt 29 Stunden dauerte. "Jumbo-Trilog", so nannte man die Veranstaltung im Brüsseler Jargon.

Trilog heißen die finalen Gesetzesverhandlungen der drei EU-Institutionen Parlament, Kommission und Rat, und das "Jumbo" sollte die schiere Größe der Aufgabe beschreiben: das größte jemals verhandelte Gesetzespaket im Klimaschutz. Es ging um den Europäischen Emissionshandel (ETS), das wichtigste Klimaschutzinstrument der EU, und es wurde bis an die Schmerzgrenze verhandelt, denn die Reform ist mit großen Belastungen für Wirtschaft und Gesellschaft verbunden.

Der seit 2005 bestehende ETS sieht vor, dass Unternehmen aus der Energiewirtschaft und aus energieintensiven Branchen wie Chemie und Stahl Zertifikate kaufen müssen für jede Tonne CO₂, die sie ausstoßen. Diese Zertifikate werden auf einem Markt gehandelt, der Preis liegt derzeit bei rund 85 Euro pro Tonne CO₂. Ihre Anzahl wird mit der Reform nun schneller verknappt als bislang gesetzlich festgelegt, wodurch die Preise tendenziell steigen. Das soll die Wirtschaft auf einen klimafreundlichen Kurs lenken. 40 Prozent aller CO₂-Emissionen in der EU werden bislang schon damit geregelt, nun werden es mehr. Experten haben errechnet, dass diese Reform des ETS 25 mal mehr CO₂ einspart als das öffentlichkeitswirksame Ende des Verbrennungsmotors im Jahr 2035.

Wer im Ausland produziert, zahlt künftig Klimazoll

Verbunden mit der ETS-Reform ist auch die Einführung eines Klimazolls, der im Brüssel-Sprech Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) heißt. Er sieht vor, dass Importeure ebenfalls Kohlendioxid-Zertifikate kaufen müssen, wenn die Hersteller der Waren in Amerika oder Asien dort nicht zur Kasse gebeten werden für den Ausstoß an Klimagasen. Dies soll verhindern, dass billige, dreckige Importe den europäischen Fabriken unfaire Konkurrenz machen. Bislang wurden EU-Produzenten dagegen mit kostenlosen Emissionszertifikaten versorgt, um Nachteile im weltweiten Wettbewerb auszugleichen. Doch diese Geschenke werden nun bis 2030 halbiert und sollen 2034 ganz wegfallen. Parallel dazu wird der neue Klimazoll schrittweise verschärft.

Zudem wird der Verteilungsschlüssel für die kostenlosen Zertifikate geändert - solange es sie denn noch gibt: Künftig soll eine stärkere Rolle spielen, wie klimafreundlich die Unternehmen produzieren.

Europäische Union: Wird heizen noch teurer? Der EU-Emissionshandel soll künftig in ganz Europa auch Wohnen und Verkehr abdecken.

Wird heizen noch teurer? Der EU-Emissionshandel soll künftig in ganz Europa auch Wohnen und Verkehr abdecken.

(Foto: Sven Eckelkamp/imago)

Eine weitere Änderung ist, dass der EU-Emissionshandel bald in ganz Europa auch Wohnen und Verkehr abdecken wird, so wie das in Deutschland schon der Fall ist: in einem sogenannten ETS2. In der EU wird somit vom Jahr 2027 an fossiles Autofahren und Heizen teurer, sowohl für Bürgerinnen und Bürger als auch für Unternehmen. Um den Wandel abzufedern, soll es vom Jahr 2026 an einen Sozialfonds geben; er umfasst 86,7 Milliarden Euro und speist sich aus den Einnahmen des ETS.

Die ETS-Reform ist der zentrale Teil des Gesetzespakets Fit-for-55, mit dem die EU ihre CO₂-Emissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent vermindern will. Dem von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen propagierten "Grünen Deal" zufolge will die EU bis 2050 klimaneutral werden. Ihr niederländischer Stellvertreter Frans Timmermans, für die Klimapolitik zuständig, wird nicht müde zu betonen, dass der Grüne Deal nur gelingen kann, wenn man CO₂ bepreist - durch den Emissionshandel. Er rühmte in der Nacht zum Sonntag das Verhandlungsergebnis als Zeichen dafür, dass die EU "trotz starken Gegenwinds den Grünen Deal für eine nachhaltige Zukunft vorantreibt". Das Ergebnis muss nun von Parlament und Regierungen bestätigt werden, das allerdings gilt als Formsache.

In vielen Streitpunkten hatte man sich scheinbar hoffnungslos verhakt bei den Verhandlungen zwischen den beiden Gesetzgebungskammern: dem Parlament und dem Rat. Die 27 EU-Regierungen, vertreten durch die tschechische Ratspräsidentschaft, blockierten offenbar bis Samstagabend wesentliche Elemente des Gesetzespakets. "Dass wir den Klimaschutz so verteidigen mussten, hätte ich nicht gedacht", sagte der deutsche Grüne Michael Bloss, der der Verhandlungskommission des Parlaments angehörte. Als Erfolg wertete er vor allem das Auslaufen der kostenlosen Zertifikate bis 2034, aber auch, dass alle Einnahmen aus dem ETS in Klimamaßnahmen fließen.

Insgesamt sollen die Emissionen in den vom ETS erfassten Branchen bis 2030 um 62 Prozent im Vergleich zu 2005 sinken, um einen Prozentpunkt mehr also, als von der Kommission ursprünglich vorgeschlagen. Auch das ist ein Verhandlungserfolg des Parlaments und dort wiederum der Grünen. Aber um die Vorgaben des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, genüge das nicht, sagte Bloss. In Paris wurde 2015 auf der Weltklimakonferenz vereinbart, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen.

Verhandlungsleiter des Europaparlaments war der CDU-Abgeordnete Peter Liese, der als profiliertester Klimapolitiker der Europäischen Volkspartei (EVP) gilt. Er zeigte vor allem Genugtuung darüber, dass der Emissionshandel auf die Schifffahrt und Müllverbrennung ausgedehnt wird - und im Jahr 2027 auch auf Wohnen und Verkehr, sowohl für Privathaushalte als auch für Unternehmen. Er verteidige diesen ETS2 "von ganzem Herzen", sagte Liese, und es sei auch eine Sache der Gerechtigkeit für den deutschen Mittelstand, der bereits durch einen Emissionshandel belastet werde. Es soll im ETS2 für Wohnen und Verkehr allerdings eine Preisobergrenze von 45 Euro pro Tonne CO₂ geben. Außerdem hat man sich auf eine "Notbremse" geeinigt für den Fall, dass die Energiepreise so hoch wie bisher bleiben. Dann wird der ETS 2 verschoben.

Lange gerungen wurde in den Verhandlungen um den Sozialfonds. Der Grüne Michael Bloss hält die vereinbarten 86,7 Milliarden Euro für nicht ausreichend. Er fürchtet, die Bürgerinnen und Bürger würden gegen den Emissionshandel rebellieren, wenn der Staat die gestiegenen Kosten für Wohnen und Verkehr nicht ausreichend kompensiert. Die Grünen hatten sich, ebenso wie die Sozialdemokraten, bei den Verhandlungen im Parlament zunächst gegen den ETS 2 gewehrt.

In der christdemokratischen EVP-Fraktion hatte es Bedenken gegeben, durch die Reform des ETS nun Unternehmen, die unter den hohen Strompreisen leiden, zusätzliche Lasten aufzubürden. Doch durch verschiedene Mechanismen in der Klimagesetzgebung werde diesen Unternehmen nun "Luft zum Atmen" gegeben, sagte Peter Liese. So werden die CO₂-Reduktionsziele bis 2026 etwas laxer, danach umso härter ausfallen.

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