Beihilfe zum Mord:Ehemalige KZ-Sekretärin zu Bewährungsstrafe verurteilt

Das Landgericht Itzehoe hat die 97-Jährige schuldig gesprochen. Sie hatte als Sekretärin im Konzentrationslager Stutthof gearbeitet. Für die Beihilfe zum Mord in mehr als 10 500 Fällen erhielt sie eine Haftstrafe von zwei Jahren auf Bewährung.

Zwischen Juni 1943 und April 1945 soll die heute 97-jährige Irmgard F. als Zivilangestellte in der Kommandantur des Konzentrationslagers Stutthof gearbeitet haben. Damit habe sie den dort Verantwortlichen bei der systematischen Tötung von Inhaftierten Hilfe geleistet. Das Landgericht Itzehoe hat die ehemalige Sekretärin nun wegen Beihilfe zum Mord an 10 505 Menschen zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.

Mindestens 1000 der Ermordeten seien mit dem Giftgas Zyklon B getötet worden. 9500 weitere seien infolge der bewusst herbeigeführten lebensfeindlichen Bedingungen gestorben. Fünf Angehörige von Nebenklägern seien nach Auschwitz-Birkenau gebracht und dort sofort ermordet worden. Die Angeklagte habe ferner Beihilfe zum versuchten Mord in fünf Fällen geleistet, indem sie an der Vorbereitung eines Todesmarsches am 25. Januar 1945 mitwirkte.

Der Vorsitzende Richter Dominik Groß kam zu dem Schluss, dass der Angeklagten nicht verborgen geblieben sein könnte, was in Stutthof passiert ist. Irmgard F. arbeitete als ausgebildete Stenotypistin im Vorzimmer des Lagerkommandanten Paul Werner Hoppe. Sämtliche Befehle seien dort erstellt worden, sagte Groß. Das Krematorium sei zudem im Herbst 1944 ununterbrochen in Betrieb gewesen. Rauch und Gestank hätten sich über das Lager verbreitet. Groß folgert, es sei "schlicht außerhalb jeder Vorstellungskraft", dass die Angeklagte von den Massentötungen nichts bemerkt habe. Nach Ansicht des Richters hätte Irmgard F. ihre Anstellung jederzeit kündigen können.

Das Gericht sieht Reue aber keine Anerkennung der Schuld

Weil die Angeklagte zur Tatzeit erst 18 bis 19 Jahre alt gewesen war, fand der Prozess vor der Jugendkammer des Gerichts statt. Mit dem Urteil folgte die Strafkammer der Forderung der Staatsanwaltschaft, der sich auch die 15 Nebenklagevertreter zum großen Teil angeschlossen hatten. Nur einer von ihnen sprach sich gegen eine Bewährungsstrafe aus.

Der Prozess zog sich seit September 2021 hin. Insgesamt hat das Gericht in dieser Zeit acht der zeitweise 31 Nebenkläger angehört, meist über Videoübertragungen in die USA, Israel oder Polen. Die Angeklagte wollte sich anfangs dem Verfahren nicht stellen. Am ersten Verhandlungstag verschwand sie frühmorgens aus ihrem Seniorenheim in Quickborn und wurde Stunden später von der Polizei in Hamburg verhaftet. Erst ganz zum Schluss des Prozesses hatte Irmgard F. zu den Vorwürfen Stellung bezogen: "Es tut mir leid, was alles geschehen ist", sagte sie in ihrem letzten Wort. "Ich bereue, dass ich zu der Zeit gerade in Stutthof war. Mehr kann ich nicht sagen." Das Gericht habe die geäußerte Reue zwar als strafmindernd gewertet, eine Anerkenntnis der Schuld sehe die Kammer aber darin nicht, so Groß.

Auf die Verurteilung der Angeklagten reagierte der Rechtsanwalt Hans-Jürgen Förster, der vier Stutthof-Überlebende vertrat, zufrieden: "Mehr kann staatliches Strafrecht inhaltlich nicht leisten", erklärte er der Deutschen Presse-Agentur. Sein Kollege Christoph Rückel, Anwalt von sechs Überlebenden, erklärte dagegen: "Ich war nie einverstanden, dass es zu einer Bewährungsstrafe kommt, weil das das falsche Signal ist."

Auch in Israel ist das Urteil zur Kenntnis genommen worden: Das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Jerusalem hat die Verurteilung der ehemaligen KZ-Sekretärin begrüßt. Angesichts der Tatsache, dass der Prozess vor einer Jugendkammer stattfand, sei das Urteil "das beste, was erzielt werden konnte", sagte der dortige Leiter der Organisation, die durch die Suche nach untergetauchten NS-Verbrechern bekannt wurde.

Der Strafprozess gegen Irmgard F. könnte der letzte Prozess zur Verfolgung von NS-Verbrechen in Deutschland gewesen sein. Bei den Staatsanwaltschaften sind noch fünf weitere Ermittlungsverfahren anhängig. Es ist aber noch unklar, ob diese vor Gericht kommen.

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