Medikamentenmangel:Ärzte und Apotheker rechnen noch viele Monate mit Engpässen

Medikamentenmangel: In Deutschland fehlen derzeit viele Arzneimittel. Nach Angaben von Apothekern werden täglich neue Medikamente knapp.

In Deutschland fehlen derzeit viele Arzneimittel. Nach Angaben von Apothekern werden täglich neue Medikamente knapp.

(Foto: Stephanie Pilick/dpa)

Fachleute gehen davon aus, dass die Lieferprobleme bei Medikamenten auch 2023 anhalten und weitere Arzneimittel betroffen sein werden. Die Pläne von Gesundheitsminister Lauterbach helfen nach ihrer Einschätzung "nur bedingt".

Derzeit sind in Deutschland etwa 330 Arzneimittel nicht lieferbar, darunter Kindermedikamente wie Fieber- und Hustensäfte. Auch Mittel für Erwachsene sind betroffen, etwa Krebsmedikamente und Antibiotika. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will die Engpässe mit neuen finanziellen Anreizen stärker bekämpfen. Hausärzte und Apotheker rechnen trotzdem mit einem anhaltenden Medikamentenmangel in den kommenden Monaten.

"Die jetzt diskutierten Maßnahmen werden in der hausärztlichen Versorgung kurzfristig nur bedingt helfen", sagte Nicola Buhlinger-Göpfarth, stellvertretende Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, der Rheinischen Post. "Die Lieferengpässe sind in den Hausarztpraxen sehr deutlich zu spüren. Die Hausärztinnen und Hausärzte müssen inzwischen sehr viel Zeit investieren, um, sofern dies überhaupt möglich ist, Medikationen umzustellen."

Auch der Apothekerverband Nordrhein erwartet lang anhaltende Lieferschwierigkeiten bei Medikamenten. "Es wird viele Monate dauern, bis die Versorgungssituation besser wird. Wir gehen davon aus, dass die Lieferprobleme auch 2023 anhalten und noch weitere Arzneimittel betroffen sein werden", sagte Verbandschef Thomas Preis der Zeitung. "Täglich werden neue Medikamente knapp: Aktuell fehlen Mittel zur Desensibilisierung von Allergikern, die sollen erst im Mai kommen - wenn die Pollensaison schon begonnen hat - dann kann man aber nicht mehr desensibilisieren." Die Pläne von Lauterbach seien nur "ein Tropfen auf den heißen Stein".

Lauterbach will das Angebot wichtiger Arzneimittel besonders für Kinder besser gegen Lieferengpässe absichern. Eckpunkte für ein Gesetz sehen unter anderem neue Preisregeln vor. Das soll Lieferungen für Anbieter wirtschaftlich attraktiver machen. Im ZDF sagte der Minister am Dienstagabend: "Wir sehen das Problem schon lange. Wir müssen einen Teil der wichtigen Wirkstoffe wieder in Europa produzieren lassen. Und da hilft nur der Zwang, dass die Krankenkassen dann auch aus Europa kaufen müssen."

Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, forderte Lauterbach in der Rheinischen Post auf, höhere Preise nur für wirklich versorgungsrelevante Kindermedikamente zuzulassen. Im Gegensatz dazu kritisierte der CSU-Gesundheitsexperte Stephan Pilsinger in der Augsburger Allgemeinen: "Leider gehen die Maßnahmen auch nicht weit genug." Von den über 330 von Engpässen betroffenen Medikamenten würden nur wenige Arzneimittelgruppen wie Kinderarzneimittel, Krebsmedikamente oder Antibiotika von den geplanten Maßnahmen erfasst.

Deutscher Städtetag appelliert an Ärzte, Praxen länger zu öffnen

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sieht einen Grund der aktuellen Knappheit darin, dass sich manche Apotheken und Großhändler das Lager zu voll machten und die Arzneien andernorts fehlten. Es sei von einer Verteilproblematik auszugehen, teilte es vor einigen Tagen mit. Eine weitere Ursache sei, dass es derzeit so viele Atemwegsinfektionen bei Kindern gebe, wodurch die Nachfrage steige. Apotheken und Gewerkschaften sehen zudem wirtschaftlichen Druck und die Produktion in kostengünstigen Ländern als Faktoren.

Der Deutsche Städtetag appellierte angesichts der Überfüllung von Kliniken an die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, ihre Praxen länger geöffnet zu halten. "Bitte prüfen Sie, Ihre Praxen auch noch nach 18 Uhr, am Samstag und Sonntag und an den Feiertagen offen zu halten", sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Bei einfachen Erkrankungen sollten Patientinnen und Patienten die Nummer der ambulanten Notfallversorgung der niedergelassenen Ärzte, 116117, wählen und nicht die Nummer 112 des örtlichen Rettungsdienstes. Diese sei nur für echte Notfälle gedacht.

Derzeit sorgen neben Corona auch andere Atemwegserkrankungen wie bei Kindern die RS-Virus-Infektion für viele schwere Infekte und überlastete Kliniken. Fast jeder zehnte Klinikmitarbeiter ist zudem laut der Deutschen Krankenhausgesellschaft aktuell selbst erkrankt.

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