Jobcenter:Was das neue Bürgergeld für Münchner bedeutet

Jobcenter: Hält die Reform für wichtig: Anette Farrenkopf, Geschäftsführerin des Jobcenters München.

Hält die Reform für wichtig: Anette Farrenkopf, Geschäftsführerin des Jobcenters München.

(Foto: Martin Hangen)

Zum 1. Januar gibt es mehr Geld für Langzeitarbeitslose. Die Geschäftsführerin des Münchner Jobcenters, Anette Farrenkopf, erklärt, warum die neue Regelung gerade für die Landeshauptstadt so wichtig ist.

Von Sven Loerzer

Der Countdown für den Abschied läuft, nur noch wenige Tage bleiben, bis das Bürgergeld zum Jahreswechsel Hartz IV ablöst. Der Gesetzesbeschluss Ende November kam gerade noch rechtzeitig, sodass der höhere Regelsatz - 502 statt bisher 449 Euro für Alleinstehende - tatsächlich zum 1. Januar ausbezahlt werden kann. "Wir sind froh, dass das pünktlich über die Bühne geht", sagt Anette Farrenkopf, Geschäftsführerin des Jobcenters München.

Wer schon Leistungen bezieht, wie rund 39 600 Münchner Haushalte mit 52 300 erwerbsfähigen Personen sowie 22 300 Kindern und Jugendlichen, braucht dazu keinen neuen Antrag zu stellen, sondern erhält automatisch die höheren Regelsätze. Angesichts der besonderen Situation in München mit Lebenshaltungskosten, die teurer als anderswo sind, seien die Erhöhung und die künftig schnellere Anpassung zum Inflationsausgleich wichtig, betont Anette Farrenkopf.

Erleichtert ist die Jobcenter-Chefin, dass der Hauptteil der Reform erst zum 1. Juli 2023 in Kraft tritt und somit mehr Zeit für die Vorbereitung bleibt. Im Jobcenter ist man zudem froh, dass es Rückforderungen des Jobcenters, etwa bei geringfügigen Veränderungen des monatlichen Einkommens, nur noch geben wird, wenn die neue Bagatellgrenze von 50 Euro überschritten wird.

Denn in den vergangenen drei Jahren hatten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jobcenters, das in Vollzeit gerechnet mit 940 Stellen von Arbeitsagentur und Stadt ausgestattet ist, ohnehin nicht gerade wenig zu tun. Die Bewältigung der Corona-Pandemie und der Folgen des Lockdowns ließ 2020 und 2021 die Zahl der Menschen, die staatliche Unterstützung benötigten, stark steigen (siehe Grafik). Die Mitte 2021 einsetzende Entspannung endete im Juni dieses Jahres, als die Geflüchteten aus der Ukraine in die Grundsicherung für Arbeitssuchende übernommen wurden.

Rund 7500 im Alter über 15 Jahren sind bisher registriert, etwa 3000 nehmen an Sprach- und Integrationskursen teil, weitere 1000 werden in den nächsten vier bis sechs Wochen mit Kursen starten. Und gut 500 als arbeitslos gemeldete Geflüchtete konnten seit Juni schon in Arbeit vermittelt werden. Als Hindernis erweist sich, dass es zu wenige Integrationskurse mit Kinderbetreuung gibt - fast 75 Prozent der arbeitslos gemeldeten Geflüchteten aus der Ukraine sind Frauen.

Auftragsdellen sollten sich nicht gleich auf den Arbeitsmarkt auswirken, glaubt die Expertin

Weniger Sorgen dagegen macht der Jobcenter-Geschäftsführerin der Münchner Arbeitsmarkt: "Der hat sich super erholt aus Corona heraus und gut entwickelt." Und angesichts des enormen Fachkräftebedarfs, der vielen Firmen zu schaffen macht, ist Anette Farrenkopf zuversichtlich, dass sich Auftragsdellen bei den Unternehmen als Folge von Inflation und Energiekrise nicht gleich auswirken, also nicht zum Abbau von Personal führen. Allerdings rechnet die Jobcenter-Chefin damit, dass mehr Menschen ergänzend Hilfe brauchen werden, weil ihr Einkommen als Folge von Inflation und gestiegenen Energiekosten nicht mehr für den Lebensunterhalt reicht.

Die komplette Umstellung auf das Bürgergeld zum 1. Januar zu bewältigen, nachdem sich Bundestag und Bundesrat erst Ende November einig geworden sind, wäre nicht zu schaffen gewesen. So bleiben die Bescheide mit den alten Begriffen noch ein halbes Jahr gültig. "Grundsicherung für Arbeitssuchende", "Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II" oder "Arbeitslosengeld II" - diese Bezeichnungen haben sich nie so recht durchgesetzt in der Öffentlichkeit, da war "Hartz IV" viel griffiger. Mit dem neuen Namen "Bürgergeld" werde sich auch das "Hartz-IV-Stigma" überwinden lassen, ist Farrenkopf überzeugt. Denn das neue Gesetz stärke den "Umgang auf Augenhöhe" mit den Kundinnen und Kunden des Jobcenters. So sollen die Bescheide künftig auch leichter verständlich abgefasst sein.

Jobcenter: Mehr Geld für Menschen, die es brauchen können - dafür sorgt die Neuregelung.

Mehr Geld für Menschen, die es brauchen können - dafür sorgt die Neuregelung.

(Foto: Monika Skolimowska/dpa)

Gerade für Betroffene in München dürfte die einjährige Karenzzeit, in der die tatsächlichen Kosten der Unterkunft in voller Höhe vom Jobcenter übernommen werden, eine wichtige Erleichterung darstellen. Damit solle den Menschen ermöglicht werden, sich auf die Jobsuche zu konzentrieren, statt auch noch nach einer günstigeren Wohnung suchen zu müssen, erklärt Anette Farrenkopf. Alleinstehende müssen künftig in dieser Karenzzeit ein Schonvermögen in Höhe von 40 000 Euro nicht angreifen, für jedes Haushaltsmitglied kommen weitere 15 000 Euro dazu.

Gerade für Langzeitarbeitslose, die auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht mehr Fuß fassen können, könnte die Entfristung der bisher auf fünf Jahre begrenzten Förderung einer Beschäftigung im sozialen Arbeitsmarkt hilfreich sein. Farrenkopf begrüßt, "dass vom 1. Juli an die Qualifizierung und Weiterbildung ganz anders in den Mittelpunkt rückt" als bisher. Für München hat das besondere Bedeutung: Fast zwei Drittel der im Jobcenter gemeldeten Arbeitssuchenden haben keine abgeschlossene Berufsausbildung, auf der anderen Seite sei der Fachkräftemangel gerade in der Landeshauptstadt sehr groß.

Für erfolgreiche Berufsabschlüsse wird ein Anreiz gesetzt

Da könne das Jobcenter "gute Akzente" setzen, kündigte Farrenkopf an, zumal der Vorrang für die Vermittlung in Jobs entfällt. Waren früher nur auf zwei Jahre verkürzte Umschulungen möglich, sind künftig auch drei Jahre drin. Farrenkopf erwartet sich davon vor allem für Migranten, die oft wegen Sprachproblemen die verkürzte Ausbildung nicht schafften, bessere Chancen. Zudem wird ein Anreiz für eine abschlussorientierte Ausbildung gesetzt, für die es ein Weiterbildungsgeld in Höhe von 150 Euro zusätzlich zum Regelsatz gibt. Letztlich zahlt sich das aus, denn Berufsabschlüsse führen eher zu dauerhafter Beschäftigung als Helfertätigkeiten.

Um Förderung bieten zu können, ist aber auch ein entsprechendes Budget notwendig. "Für 2022 waren wir ausreichend ausgestattet", sagt Farrenkopf. "Und für 2023 sind wir auf dem Stand von 2022." Allerdings gebe es enorme Kostensteigerungen, etwa durch Tariferhöhungen und Heizkosten, auch bei den Dienstleistern.

"Am besten ist die Sanktion, die ich nicht aussprechen muss"

Dass über Sanktionen wegen mangelnder Mitwirkung von Leistungsbeziehern in der Öffentlichkeit erbittert diskutiert wurde, deckt sich nicht mit dem Stellenwert des Themas im Münchner Jobcenter, wo die Quote unterdurchschnittlich war. Gerade einmal 0,9 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsbezieher wurden im Dezember 2021 sanktioniert. "Am besten ist die Sanktion, die ich nicht aussprechen muss", sagt Anette Farrenkopf. "Wir sind da immer einen ganz guten Weg gegangen. Wir haben gute Erfahrungen mit aufsuchender Arbeit, begleitendem Coaching und Aktivierung gemacht, um Menschen wieder an ein geregeltes Leben anzubinden." Die neue, abgestufte und zurückhaltendere Sanktionierungsregelung werde man deshalb auch nicht für viele Menschen brauchen.

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