Reihe "München erlesen" (40):Wo den Tondichter der Teufel holt

Reihe "München erlesen" (40): Thomas Mann (1875-1955) im Jahr 1940.

Thomas Mann (1875-1955) im Jahr 1940.

(Foto: JT Vintage/Glasshouse Images)

Thomas Manns "Dr. Faustus" ist freilich viel mehr als ein München-Roman. Doch es steckt viel darin von dieser Stadt, ihrer Umgebung und dem Gefühl des Autors für sein ehemaliges Zuhause, dass es lohnt, sich darin auf einen erhellenden Spaziergang zu machen.

Von Florian Welle

Thomas Mann nannte seinen "Doktor Faustus", an dem er im kalifornischen Exil fast vier Jahre lang geschrieben hatte, sein "wildestes Buch". In seinem Essay "Die Entstehung des Doktor Faustus", rekapitulierte er 1949, zwei Jahre nach Beendigung der fingierten Biografie über das "Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von einem Freunde" deren mühevollen Schreibprozess. In dem ausgreifenden Aufsatz deutet er an, was das Alterswerk alles ist: ein "Teufelsbuch", ein "Nietzsche-Roman", "ein Buch vom Deutschtum". Somit "nichts Geringeres als der Roman meiner Epoche, verkleidet in die Geschichte eines hochprekären und sündigen Künstlerlebens".

Das Leben des 1885 in Sachsen-Anhalt geborenen Komponisten Leverkühn, der sich um der Kunst willen dem Teufel verschreibt, spiegelt Deutschlands Weg in die Nazi-Barbarei. Der letzte Absatz des vielschichtigen Werks, das Mann seiner angeschlagenen Gesundheit regelrecht abrang, bringt es noch einmal auf den Punkt. Dort heißt es, dass Deutschland "von Dämonen umschlungen, über einem Auge die Hand und mit dem andern ins Grauen starrend, hinab von Verzweiflung zu Verzweiflung" stürzt. Die Schilderung deutscher Geschichte als Verhängnis, dessen Ursprünge bis zu Martin Luther zurückreichen, sorgt bis heute für lebhafte Diskussionen.

"München mit seiner Märzenbier-Dicktrunkenheit."

Doch nicht diese Fährte soll hier verfolgt werden. Ebenso wenig wie die von Leverkühns tolldreistem Kompositionsstil, für dessen Beschreibung sich Mann bei Arnold Schönbergs Zwölftontechnik bediente und zudem von Adorno ausgiebig beraten ließ. Im Vordergrund steht stattdessen ein Thema, das er ebenfalls dem Buch "aufmontiert" hat. "Doktor Faustus" ist danach eines seiner persönlichsten Werke, das "den Stoff eines ganzen Lebens in sich aufnahm".

Mit anderen Worten: Es lässt sich auch fabelhaft als autobiografisch gefärbter München-Roman lesen. Als der 68-Jährige in seinem Haus in Pacific Palisades einen Zettel aufstöberte, notierte er aufgewühlt: "Machte den Drei-Zeilen-Plan des Dr. Faust vom Jahre 1901 ausfindig. Berührung mit der Tonio Kröger-Zeit, den Münchener Tagen (...) Scham und Rührung beim Wiedersehen mit diesen Jugendschmerzen." Die Arbeit an dem Roman wurde für den im Exil lebenden Nobelpreisträger auch zu einer Reise über Raum und Zeit hinweg, zurück in heimatliche Gefilde längst vergangener Tage.

Die "Oktoberwiese, wo eine trotzig-fidele Volkhaftigkeit ihre Saturnalien feiert"

Der gebürtige Lübecker hatte fast 40 Jahre seines Lebens in München verbracht, ehe ihn die Nazis 1933 vertrieben. Mühelos kann man heute auf seinen Spuren einen hübschen Rundgang durch die Stadt machen, von der Maxvorstadt über Schwabing bis nach Bogenhausen. Eine Stadt, der er ebenso zugetan war, wie er sie gerne karikierte. Im "Faustus" lässt er seinen Erzähler, den Freisinger Gymnasiallehrer Serenus Zeitblom, im 23. Kapitel, dem sogenannten München-Kapitel, über die Stadt zur Zeit des Prinzregenten spotten: "München (...) mit seiner Märzenbier-Dicktrunkenheit, der wochenlangen Monstre-Kirmes seiner Oktoberwiese, wo eine trotzig-fidele Volkhaftigkeit ihre Saturnalien feiert; München mit seiner stehengebliebenen Wagnerei (...), seiner in öffentliches Wohlwollen gebetteten und grundbehaglichen Bohème."

Thomas Mann war 1894 seiner Mutter Julia und den Geschwistern Julia, Carla und Viktor in die Isarmetropole gefolgt, wo die Familie seit dem Tod ihres Oberhaupts, Senator Thomas Johann Heinrich Mann, bereits in der Nähe der Kunstakademie wohnte. Der geräumigen Wohnung in der Rambergstraße 2 setzte er ein literarisches Denkmal, indem er dort vier Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs seinen sinisteren Helden Leverkühn nach dessen Leipziger Studienzeit einquartiert: "Er wohnte in der Rambergstraße, nahe der Akademie, als Untermieter einer Senatorswitwe aus Bremen, namens Rodde, die dort in einem noch neuen Hause mit ihren beiden Töchtern eine Wohnung zu ebener Erde innehatte."

Der Literaturwissenschaftler Dirk Heißerer deutet in seinem Buch "Im Zaubergarten" über Thomas Mann in Bayern viele der autobiografischen Anspielungen aus, mit denen dieser Leverkühns Münchner Zeit mit Leben erfüllte. Ehe er ihn dann nach Pfeiffering übersiedeln ließ, wo ihn schließlich der Teufel holt. Auch dieser Ort hat in Polling bei Weilheim sein reales Urbild.

Reihe "München erlesen" (40): Die Schauspieler Andreas Hutzel als Adrian Leverkühn und Anne Schramm als Esmeralda standen 2010 in Lübeck im Großen Haus des Theaters in dem Stück "Doktor Faustus" auf der Bühne. Die Bühnenfassung von John von Düffel nach dem Roman von Thomas Mann feierte am 17. Oktober des Jahres Uraufführung.

Die Schauspieler Andreas Hutzel als Adrian Leverkühn und Anne Schramm als Esmeralda standen 2010 in Lübeck im Großen Haus des Theaters in dem Stück "Doktor Faustus" auf der Bühne. Die Bühnenfassung von John von Düffel nach dem Roman von Thomas Mann feierte am 17. Oktober des Jahres Uraufführung.

(Foto: Angelika Warmuth/dpa)

Unverkennbar zeigt die Witwe Rodde Ähnlichkeiten mit Thomas Manns Mutter Julia, die im Übrigen kurz nach der Jahrhundertwende ihren Lebensmittelpunkt nach Polling verlegt hatte. Roddes Töchter Ines und Clarissa wiederum sind den lebensmüden Geschwistern Julia und Carla Mann nachempfunden. Die glücklose Schauspielerin Carla beging im Sommer 1910 in eben jenem Polling Selbstmord. Eine Tragödie, die Thomas Mann im 35. Kapitel des "Faustus" verarbeitete, in dem sich Clarissa umbringt: "Nach Ablauf der Winter-Saison 1921/22, im Mai, nahm sie sich zu Pfeiffering, im Hause ihrer Mutter und ohne viel Rücksicht auf diese, hastig und entschlossen mit dem Gifte das Leben (...)."

Eine nicht weniger tragische Tat lässt er später Ines begehen. Zwar bringt diese sich nicht um wie 1927 die reale Julia. Dafür begeht das zierliche Persönchen einen Mord aus Eifersucht. In der Trambahnlinie 10 streckt sie ihren langjährigen Geliebten, den Geiger Rudi Schwerdtfeger, mit fünf Schüssen nieder. In "Die Entstehung des Doktor Faustus" erfahren wir, dass eine Freundin den Schriftsteller just an dieser Stelle vor einem Fehler bewahrte. "Ich hatte zum Schauplatz von Ines' Untat einen Wagen der Linie 1 gemacht", schreibt er, "die doch niemals nach Schwabing gegangen ist! Mehrere andere standen zur richtigen Wahl, und >Linie 10< heißt es nun ehrenhaft im Text, dank der Wachsamkeit dieser Zuhörerin." Eine Anekdote, die noch einmal zeigt, mit welcher Akribie sich Thomas Mann sein Lebensbuch von der Seele geschrieben hat.

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