Grundsicherung:Trotz Hartz IV unter dem Existenzminimum

Grundsicherung: Eine Einkaufskiste mit Lebensmitteln steht auf einem Küchentisch. Sprunghaft gestiegene Preise belasten die Budgets der Menschen in Deutschland.

Eine Einkaufskiste mit Lebensmitteln steht auf einem Küchentisch. Sprunghaft gestiegene Preise belasten die Budgets der Menschen in Deutschland.

(Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Ärmere Menschen haben im vergangenen Jahr drastisch an Kaufkraft verloren. Laut DGB sind auch Bürgergeldempfänger nicht vor hohen Teuerungsraten geschützt.

Von Benedikt Peters

Neue Zahlen werfen die Frage auf, ob die Bundesregierung ihr Versprechen, in der Energiekrise niemanden alleinzulassen, tatsächlich eingelöst hat. Das gilt insbesondere für die Ärmsten der Gesellschaft, also die Empfänger von Hartz IV, das zum 1. Januar vom neuen Bürgergeld abgelöst wurde. Einer Studie des Deutschen Gewerkschaftsbunds zufolge, die der SZ vorliegt, verloren sie im gerade zu Ende gegangenen Jahr teilweise erheblich an Kaufkraft und rutschten so de facto unter das Existenzminimum.

Die Inflation war im vergangenen Jahr erst durch Lieferengpässe im Zuge der Corona-Pandemie und dann durch die vom russischen Angriffskrieg ausgelöste Energiekrise extrem gestiegen. Das Statistische Bundesamt taxierte sie am Dienstag für das gesamte Jahr 2022 auf 7,9 Prozent - den höchsten Wert seit 1951. Um die Härten auszugleichen, stellte die Bundesregierung Entlastungspakete in Höhe von etwa 200 Milliarden Euro bereit. Manches davon, etwa Einmalzahlungen für Erwachsene und Kinder oder das von Juni bis Ende August gültige Neun-Euro-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr, kam auch Hartz-IV-Empfängern zugute.

Insgesamt aber konnten die Entlastungen den DGB-Berechnungen zufolge die Teuerung bei Weitem nicht ausgleichen. Eine arbeitslose Alleinerziehende mit einem zehnjährigen Kind büßte demnach aufs Jahr gerechnet etwa 750 Euro ein, ein Alleinstehender 470 Euro, ein Paar mit zwei Kindern im Alter von 14 und 16 Jahren etwa 1600 Euro. Bei Menschen, die ihre Rente oder ihren Lohn aufstockten, waren die Verluste etwas geringer, da sie zusätzlich Anspruch auf die Energiepauschale der Bundesregierung von 300 Euro hatten.

Die Einbußen dürften die Grundsicherungsempfänger empfindlich getroffen haben, da viele von ihnen über keinerlei finanzielle Rücklagen verfügen. Sie müssen einen Großteil ihres Geldes für Lebensmittel ausgeben, deren Preise stiegen besonders stark. Die Tafeln meldeten zuletzt Rekordzahlen, weil immer mehr Menschen mit den Hartz-IV-Sätzen nicht mehr auskamen. "'You'll never walk alone' - das galt für die Grundsicherungsempfänger im vergangenen Jahr finanziell ganz sicher nicht", kritisiert DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel in Anspielung auf ein bekanntes Zitat von Kanzler Olaf Scholz (SPD).

Mit der Einführung des Bürgergelds zum 1. Januar wird die Inflation nun ausgeglichen, der Regelsatz steigt auf 502 Euro, also um 11,8 Prozent. Aus Sicht des DGB ist die Reform aber verbesserungsbedürftig. Die Gewerkschafter kritisieren, dass die Empfänger auch künftig nicht vor hohen Teuerungsraten geschützt seien, weil der Mechanismus für die Anpassung der Regelsätze unzureichend sei. Diese Anpassung findet immer zum 1. Januar statt und berücksichtigt das Lohn- und Inflationsniveau bis zum zweiten Quartal des Vorjahres.

Hätte der Mechanismus schon in den vergangenen Jahren gegolten, dann wäre der Regelsatz zum 1. Januar 2022 um gerade einmal 1,4 Prozent angestiegen, so rechnet der DGB vor. Die Teuerung des Jahres 2022 wäre dadurch bei Weitem nicht kompensiert worden. Stattdessen schlägt der DGB vor, für die Anpassung die Inflation des letzten verfügbaren Monats einzubeziehen und sie nicht mehr an das Lohnniveau zu koppeln. Außerdem sollen Änderungen des Regelsatzes häufiger möglich sein als nur einmal im Jahr.

Das Bundesarbeitsministerium teilte auf SZ-Anfrage mit, die Bundesregierung habe "eine ganze Reihe von Maßnahmen erlassen, um die schlimmsten Folgen der Preissteigerungen abzufedern". Die Studie des DGB könne noch nicht im Detail bewertet werden. Es sei aber nicht nachvollziehbar, dass der Kindersofortzuschlag von 20 Euro monatlich ab Juli nicht in die Berechnung der Entlastungen miteinbezogen worden sei. Der DGB argumentiert in der Studie, dieser sei nicht als Inflationsausgleich gedacht, sondern als Überbrückung bis zur geplanten Kindergrundsicherung. Unabhängig davon hätte der Zuschlag die finanziellen Einbußen von Familien im vergangenen Jahr nicht wettgemacht.

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