Top-Spiel in der Serie A:Neapels Leichtfüßigkeit ist dahin

Top-Spiel in der Serie A: Luciano Spalletti (re.) muss seine Spieler nach der ersten Saisonniederlage in der Serie A trösten.

Luciano Spalletti (re.) muss seine Spieler nach der ersten Saisonniederlage in der Serie A trösten.

(Foto: Fotoagenzia/Imago)

Der Tabellenführer verliert 0:1 bei Inter Mailand, und Italien fragt sich: Hat Neapel nun der Fluch ereilt, der Trainer Spalletti anhaften soll? Andernorts zeigt sich das hässliche Gesicht des Calcio.

Von Thomas Hürner

So ein Fluch ist eine hartnäckige Angelegenheit, wenn er erst mal an einem haftet. In allen Regionen Italiens, die nicht der Süden sind, haben die Leute jedenfalls keinen Zweifel, dass auf dem Trainer Luciano Spalletti eine Art dunkler Zauber lastet, der immer dann einsetzt, wenn seine Teams wegweisende Spiele bestreiten. Eine Vorsehung mit hundertprozentiger Eintrittswahrscheinlichkeit.

Geht es nun erneut los? Spalletti, ein glatzköpfiger Offensivdenker mit Hang zum Zynismus, musste am Mittwochabend mit dem souveränen Tabellenführer SSC Napoli die erste Saisonniederlage in der italienischen Serie A einstecken: 0:1 bei Inter Mailand, ein Ergebnis, das für sich genommen keine Schande ist. Wäre da nicht die Sache mit dem Fluch. Denn die unfreiwillige WM-Pause Italiens gab den Tifosi der Konkurrenzklubs genug Zeit, um in der Vergangenheit nach Gründen zu fahnden, warum das bislang so dominante Napoli im Titelkampf doch wieder scheitern wird. Wie das eben immer passiert, wenn nicht gerade Diego Maradona die Stadt auf seinen Schultern trägt.

Es war keine allzu komplexe Suche, denn bei Napoli-Coach Spalletti gibt es eine biografische Auffälligkeit: An irgendeinem zufälligen Moment der Saison beginnt für seine Mannschaften eine Phase des permanenten Verlierens, obwohl sie bis dahin mit spielerischer Eleganz, mentaler Robustheit und einem fast unheimlichen Siegeseifer durch die Liga gezogen waren. Auf einmal ist sie dahin, die Leichtfüßigkeit. So war das während Spallettis Stationen bei der AS Roma und bei Inter, aber das Phänomen ließ sich auch bei kleinen Klubs wie Udinese Calcio beobachten. Die Saisonziele weggefegt von einem Stakkato unerklärlicher Schwächeanfälle.

Der Meisterschaftskampf in Italien ist wieder offen

Dank einer Hinrunde am Rande der Perfektion steht Napoli weiter an der Tabellenspitze, der Vorsprung vor dem zweitplatzierten Meister AC Milan beträgt trotz der Niederlage von Mittwoch noch komfortable fünf Punkte. Doch der Kampf um den Scudetto, das dreifarbige Meisterabzeichen der Serie A, ist wieder offiziell eröffnet: "Lo Scudetto torna in gioco", stand auf den Titelseiten aller relevanten Gazetten Italiens geschrieben. Sie verkündeten diese Nachricht wie eine frohe Botschaft und in einem Duktus, der sich auch ein wenig nach Klopfer auf die eigene Schulter las: Man hatte in den Vorwochen ja stetig daran erinnert, dass möglicherweise der angebliche Spalletti-Einbruch wieder Spannung in die Liga bringen könnte - aus Sicht der Tifosi in Neapel war das übrigens eine sehr einseitig konnotierte Prognose, die nur aus den Federn von Sportjournalisten kommen konnte, deren Arbeitgeber in den Establishment-Metropolen Mailand und Rom sitzen.

Eine erste Niederlage mag im auf Ausdauer angelegten Titelkampf nicht viel heißen, aber mit etwas Aberglaube lässt sich der Mittwochabend zumindest als unheilvolles Omen auslegen: So schwach und inspirationslos hatte man Napoli die gesamte Saison noch nicht gesehen. "Das war weit unter unseren Möglichkeiten", urteilte Spalletti. Und diese Möglichkeiten sind mittlerweile immens: An guten Tagen ist Napoli eine Offensivmaschine, die darauf programmiert ist, den Gegner mit rhythmischem Pressing und flachen Kombinationen zu zermürben. Auch in Mailand kontrollierte die Gästemannschaft den Ball, doch Inter kontrollierte das Spiel: Eine kluge Staffelung in der Defensive raubte den neapolitanischen Angreifern den Erfindergeist, und nach Balleroberungen rollten die Konter immer wieder temporeich und geradlinig in Richtung gegnerisches Tor.

Top-Spiel in der Serie A: Sturmduo klassischer Bauart: Romelu Lukaku und Edin Dzeko, der Siegtorschütze gegen Neapel.

Sturmduo klassischer Bauart: Romelu Lukaku und Edin Dzeko, der Siegtorschütze gegen Neapel.

(Foto: Fotoagenzia/Imago)

"Wir waren organisiert und konzentriert", sagte Inter-Coach Simone Inzaghi. Ob seine Anti-Napoli-Strategie als Anschauungsmaterial für andere Teams taugt, ist allerdings fraglich: Bei Inter stürmten von Beginn an Romelu Lukaku und Edin Dzeko, zwei Sturmtanks klassischer Bauart, die hohe Bälle und den Atem des Gegenspielers in ihrem Nacken gleichermaßen lieben. Als modern geht das sicher nicht durch, aber Napoli hatte kein Mittel gegen diese geballte Physis: Inter erspielte sich ein derart gewaltiges Chancenplus, dass zu Dzekos Siegtreffer (per Kopf/ 56. Minute) locker noch zwei, drei Tore hätten dazukommen müssen. Nach einer herbstlichen Krisenphase sind die Nerazzurri damit auf acht Punkte an Tabellenführer Napoli herangerückt, ein zarter Glaube an den Meistertitel ist zurückgekehrt. "Das ist ein Booster fürs Selbstbewusstsein", sagte Inzaghi. "Napoli geschlagen zu haben, wird uns in der Zukunft stärker machen."

Inter muss in der Gegenwart gewinnen, weil die Zukunft ungewiss ist

Es ist allerdings die Frage, was unter den Begriff "Zukunft" fällt. Als Inter vor zwei Jahren den Scudetto gewann, war dem Klub von vielen bescheinigt worden, dass er sich fortan als der neue Hegemon in der Serie etablieren könnte. Dann folgten aber ein verpasster Meistertitel in der Vorsaison und zahlreiche Entbehrungen auf dem Transfermarkt. Die Suning Holding aus China, das Eigentümerunternehmen Inters, steckt in finanziellen Nöten und ist nicht mehr in der Lage, einen Fußballverein in Italien zu subventionieren. Die Inter-Verantwortlichen um den Sportchef Giuseppe Marotta müssen daher neuerdings Transfergewinne erwirtschaften. Das ist bislang auch ganz ordentlich gelungen. Allerdings ist Inter in der Gegenwart zum Siegen verdammt, weil man sich einiger Überbrückungshilfen bediente, um die Wettbewerbsfähigkeit des Vereins zu erhalten.

Dass etwa Lukaku und der mittlerweile 36-jährige Dzeko zusammen stürmen, war ursprünglich nicht vorgesehen, denn Letzterer kam 2021 als kostengünstiger Ersatzmann für den für 115 Millionen Euro zum FC Chelsea abgewanderten Belgier. Nun ist Lukaku per Leihe zurück, nach aktuellem Stand spielt er in der nächsten Saison wieder in England. Dzekos Vertrag läuft im Sommer aus - und bei Inter müssen sie schauen, wie sie die Löcher stopfen, die mangels Perspektivplanung im Kader entstanden sind.

In Lecce kommt es zu rassistischen Ausfällen von Lazio-Fans

Junge Talente gibt es nicht, die Mannschaft steuert auf ihr Ablaufdatum zu. Das zeigt sich auch in der Abwehr: Inter-Kapitän Milan Skriniar, seit Längerem heftig von Paris Saint-Germain umworben, wäre am Saisonende ebenfalls ablösefrei auf dem Markt. Eine gut vergütete Vertragsverlängerung hat der Verteidiger bislang nicht unterzeichnet, wofür es aus seiner Sicht auch gute Argumente gibt: Im Sommer hatten man bei Inter noch darauf spekuliert, Skriniar als satten Bilanzgewinn verbuchen zu können. Echte Ankerkennung sieht anders aus.

Bei so einer Aussicht wirkte der Mittwoch für die Inter-Tifosi wie ein kleiner Feiertag, und das ist durchaus wörtlich zu verstehen: Beim Spiel gegen Napoli hingen erstmals keine Zaunfahnen einzelner Ultragruppierungen mehr im Mailänder San-Siro-Stadion, nach einigen Entgleisungen vereinigten sich nun alle hinter einem einzigen Banner. Eigentlich ein potenziell gutes Signal, von dem man sich erhoffen konnte, dass es auch einige Wirrköpfe in anderen italienischen Fankurven erreichen würde. Bis nach Lecce drang die Botschaft aber offenbar nicht durch: Dort wurde der Verteidiger Samuel Umtiti von Fans von Lazio Rom rassistisch beschimpft, die Partie war zeitweise unterbrochen, der Franzose verließ unter Tränen den Platz.

Mit Blick auf den Vorfall dürfte vielen vernunftbegabten Tifosi nun umso klarer sein: Selbst so ein dunkler Zauber wirkt verschmerzbar, solange in italienischen Stadien noch der Rassismus grassiert.

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