Neuer Stadtführer:Per App durch die Vergangenheit spazieren

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Seit 1948 ist das Zentralinstitut für Kunstgeschichte im früheren NSDAP-Verwaltungsbau beheimatet. Dieser diente nach dem Krieg der US-Militärregierung als "Central Art Collecting Point", also als Sammelstelle für NS-Beutekunst, wie auf dem Tablet zu sehen. Heute stehen im Lichthof Gipsabgüsse klassischer Bildwerke. (Foto: Stephan Rumpf)

Mit dem Projekt MunichArtToGo erschließt das Zentralinstitut für Kunstgeschichte nicht nur seinen Bilderschatz, sondern auch bedeutende Gebäude und Epochen in der Stadt - und die Sammlung ist noch lange nicht fertig.

Von Patrik Stäbler

Im Frühjahr 1943 erließ Adolf Hitler den "Führerauftrag Monumentalmalerei". Die Wehrmacht hatte gerade die Schlacht um Stalingrad verloren, derweil wurden immer mehr Städte im Deutschen Reich zum Ziel von Bombardements der Alliierten. "Im Hinblick auf die durch die feindlichen Luftangriffe hervorgerufenen Zerstörungen", schrieb der Führer ans Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda, solle dieses Farbfotos von allen wertvollen Deckengemälden anfertigen lassen, etwa in Schlössern und Kirchen. Denn mithilfe dieser Bilder ließen sich durch Bomben beschädigte Kunstwerke dereinst restaurieren.

Infolge des Führerauftrags entstanden bis 1945 circa 45 000 Farbdias, die heute größtenteils im Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München lagern. Dieser Bilderschatz umfasst auch 60 Farbaufnahmen der Fresken im Innenraum der Klosterkirche St. Anna im Lehel. Kaum hatte die Fotografin Eva Bollert diese angefertigt, wurde die Kirche 1944 durch einen Bombenangriff fast völlig zerstört. Auf Basis der Farbbilder erfolgte nach dem Krieg die Rekonstruktion der Fresken - durchgesetzt durch bürgerschaftliches Engagement und gegen den Willen des Landesamts für Denkmalpflege.

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Die fesselnde Geschichte der Fresken in St. Anna kann man sich seit Kurzem auch digital erzählen lassen - und zwar in der App MunichArtToGo oder auf der zugehörigen Projektwebseite des Zentralinstituts für Kunstgeschichte (ZI). Dort finden sich circa 35 sogenannte Stories zu historischen Orten oder Bauwerken, etwa dem Alten Nordfriedhof, dem 1961 abgerissenen Varietétheater " Kil's Colosseum" oder eben der Klosterkirche St. Anna. Nebst einem kurzen Text setzen die Geschichten vor allem auf historische Fotos, die vornehmlich aus dem Bildarchiv des ZI stammen, das circa 900 000 Fotos, Dias und Abzüge umfasst.

"Die Idee ist, dass wir das, was wir innerhalb unserer Gebäudemauern haben, nach außen tragen", sagt Christian Fuhrmeister, Kunsthistoriker am ZI. Mittels der neuen App wolle man die Geschichte der "Kunststadt München" von 1800 bis heute erlebbar machen - idealerweise direkt vor Ort. So lassen sich über eine interaktive Karte die nächstgelegenen Stories suchen. Überdies gibt es verschiedene Touren, entlang der man thematisch zusammengehörende Standorte abklappern kann - etwa " Kunsthandelsgebäude der Prinzregentenzeit" oder zur " Münchner Bohème".

Mit der App wollen Christian Fuhrmeister (links), Melida Steinke und Johannes Griebel vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte den heutigen Zustand von Gebäuden mit dem historischen vergleichbar machen. (Foto: Stephan Rumpf)

"Die Vorstellung ist, dass man sich die historischen Aufnahmen vor Ort auf dem Smartphone anschaut und sie dann mit dem heutigen Zustand vergleicht", sagt Johannes Griebel vom ZI. Er selbst hat beispielsweise eine Story zur Glyptothek verfasst. In dieser finden sich mehrere historische Dias aus dem Nachlass des Amateurfotografen Joseph Eschenlohr - bis heute die einzigen bekannten Farbfotografien, die den Vorkriegszustand des Bauwerks zeigen. Die Aufnahmen vermitteln dem App-Nutzer einen Eindruck davon, wie bunt es dereinst in der Glyptothek aussah. Und diese Eindrücke wiederum lassen sich dank des Smartphones bei einem Besuch am Königsplatz dem jetzigen Erscheinungsbild des Gebäudes gegenüberstellen, das im Krieg schwer beschädigt und danach ohne die frühere Farbgebung wieder aufgebaut wurde.

Dass das ZI ausgewählte Bilder aus seinem Fundus mit der Öffentlichkeit teilt, ist freilich nichts Neues. Unter anderem hat die deutschlandweit führende Forschungseinrichtung für Kunstgeschichte bei "Google Arts & Culture" 16 000 historische Fotos der Stadt München, ihrer Bauwerke und Plätze veröffentlicht. Und dennoch betrete man mit der vom Wissenschaftsministerium geförderten App MunichArtToGo Neuland, sagt Christian Fuhrmeister, der auch am Institut für Kunstgeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) unterrichtet. Schließlich solle der Wissenstransfer bei dem Projekt keine Einbahnstraße sein. So stammen die Stories nicht nur von ZI-Beschäftigten, sondern das Institut bindet als Autorinnen und Autoren auch LMU-Studierende ein. Überdies sind Beiträge aus der Bürgerschaft ebenso erwünscht.

"Das ist vom Prozess her etwas ganz anderes als das, was wir normalerweise tun, wenn wir wissenschaftlich arbeiten", sagt Fuhrmeister. Zwar werden sämtliche Stories vor der Veröffentlichung vom ZI geprüft. Doch vor allem bei der Themensetzung seien die Studentinnen und Bürger weitgehend frei, betont Fuhrmeister. "Wir wollen, dass die Leute selbst entscheiden, was sie interessant finden." Und das wiederum führe etwa dazu, dass es in der App zwar aktuell noch keine Story über die Alte Pinakothek gebe, wohl aber eine über die Grünfläche vor dem Gebäude - ganz einfach, weil eine ZI-Mitarbeiterin sich für dieses Spezialthema begeistert habe.

MunichArtToGo soll zu einem Spaziergang durch die Kunstgeschichte der Stadt München, angereichert mit alten Bildern, einladen. (Foto: Stephan Rumpf)

Um noch mehr Menschen für das Projekt zu gewinnen, bietet das ZI eine offene Sprechstunde an. Zudem wolle man künftig mit anderen Institutionen zusammenarbeiten, um Inhalte zu generieren, sagt Johannes Griebel. Das Ziel sei es, die App stetig zu erweitern und somit möglichst viel Material des ZI einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Aktuell ist die Zahl der Stories noch überschaubar und konzentriert sich auf die Münchner Innenstadt. Und dennoch finden nicht nur Kunstinteressierte dort reichlich Lesestoff - und vor allem: faszinierende historische Aufnahmen. Etwa vom imposanten Glaspalast im Alten Botanischen Garten, der 1931 einem Brand zum Opfer fiel. Oder auch vom Sitz des ZI selbst, das seit 1948 im früheren NSDAP-Verwaltungsbau beheimatet ist. Dieser diente nach dem Krieg der US-Militärregierung als "Central Art Collecting Point", also als Sammelstelle für NS-Beutekunst. Und wo dereinst im Lichthof des Gebäudes geraubte Kunstwerke gesammelt wurden, stehen heute Gipsabgüsse klassischer Bildwerke des gleichnamigen Museums.

Mehr Informationen zu MunichArtToGo finden sich auf der Webseite municharttogo.zikg.eu . Wer sich an dem Projekt beteiligen will, der kann ab 11. Januar immer mittwochs von 14 bis 15 Uhr zur offenen Sprechstunde in Raum 108 des Zentralinstituts für Kunstgeschichte kommen.

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