Paderborn mit Benjamin Weber:Der Mann, der mit Tuchel die Fußballwelt eroberte

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Erfolgsduo: Trainer Thomas Tuchel (rechts) und Videoanalyst Benjamin Weber 2015 bei Borussia Dortmund. Von dort zogen sie nach Paris und zum FC Chelsea weiter. (Foto: DeFodi/Imago)

Benjamin Weber war zwölf Jahre lang der Videoanalyst von Thomas Tuchel. Nun will er als Sport-Geschäftsführer den SC Paderborn erfolgreich machen - mit Erfahrungen, die er unter dem Spitzentrainer sammelte.

Von Ulrich Hartmann, Paderborn

Als Videoanalyst hatte Benjamin Weber mit den größten Fußballern dieser Zeit zu tun. Bei Borussia Dortmund hat er Spielsequenzen für Ilkay Gündogan, Pierre-Emerick Aubameyang und Ousmane Dembelé zusammengeschnitten. Bei Paris Saint-Germain verhalf er mit seinen Videoaufbereitungen Kylian Mbappé, Angel Di Maria und Neymar zu besserem Fußball. Beim FC Chelsea waren es N'Golo Kanté, Thiago Silva und Romelu Lukaku.

Dortmund, Paris, London: Der 39 Jahre alte Weber hat unter dem Cheftrainer Thomas Tuchel insgesamt zwölf Jahre lang erst beim FSV Mainz 05 und anschließend bei drei der bedeutendsten Fußballklubs der Welt gearbeitet. Er hat dabei derart viele Titel, Eindrücke, Erfahrungen und Kontakte gewonnen, dass er sich nun reif fühlt für eine erstmals verantwortliche Aufgabe im Profifußball. Zu diesem Zweck zieht der Südhesse mit seiner Familie aus der Metropole London in eine ostwestfälische 150 000-Einwohner-Stadt und wird Sport-Geschäftsführer beim Zweitligisten SC Paderborn. Dort sind die besten Spieler zurzeit der aus Paderborn stammende Ron Schallenberg, der gebürtige Ostwestfale Felix Platte und der Landshuter Julian Justvan.

Das kleine Paderborn ist für den deutschen Fußball eine Quelle der Inspiration

Weber wird herrliche Anekdoten zu erzählen haben aus der großen weiten Welt der Superstars, aber dafür haben sie ihn natürlich nicht zum SC Paderborn geholt. Als ihr Sportchef Fabian Wohlgemuth kürzlich vom Bundesligisten VfB Stuttgart abgeworben wurde, benötigten sie wieder einmal kurzfristigen Ersatz. Es ist keineswegs das erste Mal, dass sich die Bundesliga in Paderborn bedient. Die Trainer Roger Schmidt (heute Benfica Lissabon), André Breitenreiter (heute TSG Hoffenheim) und Steffen Baumgart (1. FC Köln) wurden im Laufe der Jahre ebenso von dort abgeworben wie der Fußballmanager Markus Krösche (Eintracht Frankfurt).

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Das einst eher unscheinbare Paderborn hat sich für den deutschen Fußball zu einer Quelle der Inspiration entwickelt. Dieses Image hilft dem Klub unter der Obhut des Präsidenten und ehemaligen Profifußballers Thomas Sagel mittlerweile sogar dabei, in Nischen immer wieder vielversprechende Newcomer zu finden. Den Trainer Baumgart haben sie 2021 erfolgreich durch Lukas Kwasniok vom 1. FC Saarbrücken ersetzt, und für den Sportchef-Posten haben sie sich trotz einer Flut an externen Bewerbern an Tuchels Videoanalysten Weber gewandt, der im September zusammen mit dem gesamten Trainerstab beim FC Chelsea rausgeworfen worden war.

"Mit einem Anruf aus Paderborn habe ich nicht gerechnet", gestand Weber soeben lächelnd bei seiner Präsentation in Ostwestfalen, aber "das Familiäre, das Zielstrebige und das Innovative in diesem Klub" hätten ihm auf Anhieb ein gutes Gefühl gegeben. Nach sechs Jahren im Ausland freue er sich auch darauf, mit seiner Familie nur noch zweieinhalb Stunden fern der Heimat, dem Taunus, zu arbeiten. Auch das erzählte er auf seiner ersten Pressekonferenz in Paderborn, und als diese beendet war, vermeldete der Moderator Matthias Hack in die Kamera, Weber suche übrigens ein Haus im Raum Paderborn, und wer eines zu vermieten habe, der melde sich doch bitte. "Günstig muss es sein", rief Weber grinsend hinterher.

2006, damals noch Sportstudent in Mainz und Nebenjobber bei einer Medienproduktionsfirma, war der passionierte Tennisspieler und Skifahrer zufällig als Videoanalyst beim FSV Mainz 05 gelandet. Fortan hatte er Spiel- und Trainingsszenen auch schon für den Trainer Jürgen Klopp aufbereitet. Mit Tuchel hat er später die Fußballwelt erobert - und als Teil des Trainerteams zehn Titel gewonnen, darunter 2021 mit dem FC Chelsea die Champions League, 2019 und 2020 mit Paris Saint-Germain die französische Meisterschaft sowie 2017 mit Dortmund den DFB-Pokal. Weil dies sein erster Titel im Fußball war - und dann ausgerechnet gegen den geographisch nächstliegenden Klub seiner Kindheit, Eintracht Frankfurt -, zählt er jenen Abend in Berlin zu den emotionalsten seiner Karriere.

"Mit einem Anruf aus Paderborn habe ich nicht gerechnet": Benjamin Weber, hier 2016 in Dortmund. (Foto: Guido Kirchner/dpa)

Im Team Tuchel war Weber als Videoanalyst nicht nur ein elektronisch Zuarbeiter, sondern gab als Teil des Trainerstabs relevanten Input. Seine Zuständigkeiten wurden mit jedem Klubwechsel größer. Hatte er in Mainz die Videoanalyse mitaufgebaut, so war er in London Leiter einer ganzen Abteilung. Vom Cheftrainer Tuchel hat er in all den Jahren genauso gelernt wie von dessen Assistent Arno Michels. Der Co-Trainer Zsolt Löw kam in Paris hinzu. Weber sagt: "Weil ich mich in diesem Team immer weiterentwickelte, reifte irgendwann der Gedanke, auch einmal mehr zu machen als den Video-Job."

Tuchels früherer Analytiker hat eine Tennis- und Skilehrerlizenz

Von Tuchel als einem der renommiertesten Trainer hat er sich einiges abgeschaut. Wenn man ihn fragt, wie viel, antwortet er: "Ich weiß gar nicht, was ich über Thomas Tuchel alles an Lob ausschütten soll." Er sei Tuchels größter Fan und habe in ihm einen Freund fürs Leben gefunden. Was er für die Arbeit in Paderborn bei ihm lernte, umschreibt er so: Führungsaufgaben zu übernehmen, zu motivieren, Spieler zu analysieren und einzuschätzen, auch "Situationen in der Kabine erkennen" und helfend eingreifen zu können. Einen Trainer sieht Weber in sich allerdings nicht. Er besitzt eine Tennis- und Skilehrerlizenz, hat aber nie Fußball gespielt.

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Das war den Verantwortlichen in Paderborn aber auch nicht wichtig. "Wir sind für 'Projekte' bekannt", sagt der Präsident Sagel und meint damit die teils auch ungewöhnliche Personalakquise: "Wir gucken auch in die zweite Reihe." Ziel für die Zukunft sei, den Standort Paderborn so weiterzuentwickeln, dass man einen Trainer oder Sportchef bei anderweitigen Angeboten dann auch einmal halten könne. "Wir suchen Leute, die uns auf diesem Weg helfen."

Auch Benjamin Weber soll so einer sein. Aber er muss sich in diesem für ihn neuen Job erst einmal profilieren. Der SC Paderborn rangiert in der zweiten Liga auf Platz sechs mit sieben Punkten Rückstand auf den Relegationsplatz; mit Zielen will er sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. In den Spielzeiten 2014/15 (als Breitenreiter Trainer war) und 2019/20 (mit Baumgart) hat Paderborn jeweils schon einmal für eine Saison in der ersten Bundesliga gespielt. Der Wunsch, irgendwann dorthin zurückzukehren, klingt nicht allzu kühn. Weber sagt: "Die zweite Liga ist eine sehr spannende Liga, und unser Anspruch ist, uns weiterzuentwickeln." Und ein Bundesliga-Aufstieg mit Paderborn ist doch bestimmt ungefähr so emotional wie der Gewinn der Champions League.

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