Lebensmittelverschwendung:Containern soll kein Diebstahl mehr sein

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Mülltaucher in Leipzig: In Supermarkt-Mülltonnen nach noch genießbaren Lebensmitteln zu suchen, ist zu einer Art Bewegung geworden. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Landwirtschaftsminister Özdemir und Justizminister Buschmann wollen, dass das Einsammeln weggeworfener Lebensmittel entkriminalisiert wird.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Die einen betrachten sie als "Retter", die anderen als irregeleitete Diebe. Menschen, die ungebeten Mülleimer von Supermärkten öffnen, um weggeworfene Lebensmittel herauszufischen, galten in Deutschland lange als wunderliche Öko-Spinner. In Zeiten von Inflation und Sparsamkeitsappellen aber findet das "Containern" jetzt erstmals auch bei den Regierenden Gnade. Das Einsammeln weggeworfener Lebensmittel soll entkriminalisiert werden, jedenfalls wenn dabei keine Türen aufgebrochen oder harte Hindernisse überwunden werden. Strafverfahren wegen Containerns sollen eingestellt werden, wenn die Umstände dies zulassen.

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne), der das Containern schon länger legalisieren will, hat sich mit Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) darauf verständigt, eine Änderung der Richtlinien für das Straf- und das Bußgeldverfahren anzustoßen, auch auf Initiative aus Hamburg. In einem Brief teilten die Minister diese Initiative den Justizministerinnen und -ministern der Länder mit. "Wer Lebensmittel vor der Tonne rettet, sollte dafür nicht weiter strafrechtlich verfolgt werden", erklärte Özdemir am Dienstag. "Unser gemeinsames Ziel sollte es sein, dass Nahrungsmittel dorthin kommen, wo sie hingehören: auf den Teller und nicht in die Tonne."

Sachbeschädigung beim Containern bleibt strafbar

Auch Buschmann unterstützt diese Haltung nun, wenn auch nicht uneingeschränkt. "Wenn sich Menschen weggeworfene Lebensmittel mit nach Hause nehmen, ohne dabei eine Sachbeschädigung oder einen Hausfriedensbruch zu begehen, dann muss das nach meiner Meinung nicht weiter strafrechtlich verfolgt werden", teilte er mit. Wo es allerdings zu Hausfriedensbruch oder Sachbeschädigung komme, "muss das Strafrecht das sanktionieren". Am besten sei es, wenn Lebensmittel gar nicht erst im Müll landeten.

(Foto: SZ-Grafik: jje/Statistisches Bundesamt 2022)

Davon allerdings ist Deutschland weit entfernt. Jedes Jahr werden hier etwa elf Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle entsorgt, oft nur wegen kleiner Schönheitsfehler oder weil das Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht ist. Im Handel allerdings entstehen nur sieben Prozent dieses Müllbergs. Darauf berufen sich Lebensmittelketten gern. Auch die Landwirtschaft sieht sich nicht als Hauptverursacher des Problems. Hier fallen nach Angaben der Bundesregierung zwei Prozent der Abfälle an. Restaurants und Kantinen hinterlassen 17 Prozent der Lebensmittelreste. Den Löwenanteil steuern private Haushalte bei. Hier entstehen 59 Prozent Abfälle, die vielfach noch essbar wären.

Initiativen wie die Plattform Foodsharing prangern seit Langem den "selbstzerstörerischen Charakter unserer Überflussgesellschaft" an und fordern "verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen und ein nachhaltiges Ernährungssystem". Allerdings stießen solche Umweltaktivisten auf Widerstände juristischer Natur.

Bisher wurden meist Geldstrafen verhängt

Denn wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, sie sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, macht sich nach Paragraf 242 des Strafgesetzbuchs des Diebstahls schuldig. Das kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder mit einer Geldstrafe geahndet werde. Den Diebstahl von Lebensmitteln, die weggeworfen wurden, mochte allerdings nicht jedes Gerichte hart bestrafen. Meist wurden Geldstrafen verhängt, bisweilen auch Verwarnungen ausgesprochen.

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Zwei junge Frauen aus Bayern, die 2018 beim Containern erwischt worden waren, mochten sich das nicht gefallen lassen. Sie klagten bis zum Bundesverfassungsgericht. Dort nahm man ihre Klage nicht zur Entscheidung an. Das Gericht erklärte 2020, auch die Entwendung "geringwertiger oder finanziell wertloser Sachen" sei Diebstahl und strafbar, Eigentum genieße verfassungsmäßigen Schutz. Allerdings sprach das Gericht dem Gesetzgeber einen weiten Entscheidungsspielraum zu. Ob er beim Containern andere Grundrechte wie "beispielsweise den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen" stärker berücksichtigen wolle, bleibe offen.

Grüne wie Landwirtschaftsminister Özdemir verstanden diesen Hinweis als Ermutigung. Geht es nach ihm, wird die Verschwendung von Lebensmitteln bis 2030 halbiert. Verbindliche Vorgaben aber gibt es nicht.

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