Lützerath:Zank vor dem Sturm

Lützerath: Bald beginnt die Räumung: Polizei vor der Ortschaft Lützerath, im Vordergrund der Braunkohletagebau Garzweiler II.

Bald beginnt die Räumung: Polizei vor der Ortschaft Lützerath, im Vordergrund der Braunkohletagebau Garzweiler II.

(Foto: Federico Gambarini/dpa)

Am Mittwoch ist es so weit, dann beginnt mit großer Wahrscheinlichkeit die Räumung von Lützerath. Auf einer Bürgerversammlung geht es davor noch einmal ordentlich zur Sache.

Von Christian Wernicke, Erkelenz

Für Dialog, für ein wirkliches Gespräch ist es an diesem Dienstagabend zu spät. Alle Teilnehmer der Bürgerversammlung in Erkelenz ahnen das - zehn, zwölf, vielleicht 14 Stunden vor dem sehr wahrscheinlichen Beginn der Räumung von Lützerath, des Protest-Dorfes an der Abbruchkante. Der Weiler, den die Klimabewegung zur deutschen 1,5-Grad-Grenze erklärt hat, gehört zu der 43000-Einwohner-Stadt im Rheinischen Braunkohle-Revier. Weshalb Polizei und lokale Politik in die futuristische Aula des örtlichen Berufskollegs geladen haben. Zum Zank vor dem Sturm.

Mehr als 200 Bürger sind gekommen. Manche signalisieren mit bunten Fahnen, dass sie für "100 % Erneuerbare" sind, also für Wind und Solar - gegen Kohle. Andere tragen gelbe Kreuze am Revers, Wahrzeichen der Braunkohlegegner, die seit Jahren ihre Dörfer gegen die Bagger verteidigen. Und dass an diesem Abend fast alle Menschen im Parkett sitzen, um noch einmal ihre Wut über RWE, ihren Protest gegen Kohle und Räumung zu beweisen - das wird spätestens klar, als Stephan Pusch auf der Bühne das Wort ergreift.

Lützerath: Verteidigen bei einer Bürgerversammlung die bevorstehende Räumung: Dirk Weinspach (l-r), Polizeipräsident von Aachen, Stephan Pusch (CDU), Landrat von Heinsberg, und Stephan Muckel (CDU), Bürgermeister von Erkelenz.

Verteidigen bei einer Bürgerversammlung die bevorstehende Räumung: Dirk Weinspach (l-r), Polizeipräsident von Aachen, Stephan Pusch (CDU), Landrat von Heinsberg, und Stephan Muckel (CDU), Bürgermeister von Erkelenz.

(Foto: Ann-Marie Utz/dpa)

Pusch ist Landrat des Kreises Heinsberg, 2020 erlangte er als resoluter Corona-Bekämpfer nationale Berühmtheit. Jetzt aber hat der CDU-Politiker jene "Allgemeinverfügung" erlassen, die die Rechtsgrundlage für den Einsatz Tausender Polizisten ist. Pusch ist kein Freund der Braunkohle - er habe da "zwar Bauchschmerzen", aber keine Wahl gehabt: "Es ist meine Pflicht, für diesen Staat meinen Kopf hinzuhalten." Erste Pfiffe ertönen. "Und überhaupt", sagt Pusch, eigentlich habe die Klimabewegung doch "eine Erfolgsgeschichte" am Tagebau Garzweiler geschrieben: "Fünf andere Dörfer sind gerettet." Buhrufe erschallen. "Aufhören", ruft jemand. Pusch schüttelt seinen hochroten Kopf - und legt noch einen drauf: "Das Ziel ist erreicht - räumen Sie das Feld!" Höhnisches Gelächter, Abwinken und weiter hinten reckt einer zwei Stinkefinger zur Metalldecke der Aula.

Nein, an diesem Abend wird niemand mehr irgendwen überzeugen. Jeder, wirklich jeder Bürger, der ans Saalmikrofon tritt, ist gegen die Räumung Lützeraths. Alle bangen ums Klima, viele schimpfen auf die Grünen und deren NRW-Klimaschutzministerin Mona Neubaur, die "Verrat an den Wählern" begangen habe. Und manche rufen "Stopp", verlangen ein Moratorium in letzter Sekunde. Pusch und Stephan Muckel, der Bürgermeister von Erkelenz, schütteln den Kopf. Dirk Weinspach, der Polizeipräsident von Aachen, blickt schweigend zur Seite und streicht sich über seinen Drei-Tage-Bart.

"Was wollen Sie denn mehr?"

Weinspach, Polizeichef und Mitglied bei den Grünen, rechtfertigt, was er tun muss: Die Räumung sei "von vier gerichtlichen Instanzen als rechtmäßig" bestätigt worden - "was wollen Sie denn mehr?" Und "als Privatmensch und als Bürger" äußert er sich auch politisch: Die Sorge um den Planeten und um das 1,5-Grad-Ziel, "die teile ich!" Aber "ob diese 1,5-Grad-Grenze ein paar Meter vor oder hinter Lützerath verläuft, das weiß ich nicht." Er wolle Deeskalation - aber Deeskalation könne nicht heißen, den Einsatz abzusagen. Als Polizist sei er an demokratische Gesetze und Entscheidungen der Regierung gebunden.

Nur selten geht die Debatte um Details, die Weinspach, Pusch und Muckel beeinflussen können. Eine Bürgerin beklagt, der Polizeihubschrauber habe stundenlang über ihrem Haus gekreist. Und Weinspach erklärt, wie er "möglichst in weniger als vier Wochen" die Besetzer aus dem Dorf tragen lassen will.

Aber meist bleibt es sehr, sehr grundsätzlich. Ein Berufsschullehrer doziert vor den drei Herren auf der Bühne über verschiedene Gutachten - und winkt drohend mit dem Stift: "Sie haben es alle nicht verstanden!" Und als Landrat Pusch anmerkt, er kenne eines der zitierten Gutachten nicht, geht ein Braunkohlegegner laut dazwischen: "Auf welcher Grundlage entscheiden Sie dann?" Die Kohle unter Lützerath werde nicht mehr gebraucht - und als Mittel gegen die Energiekrise seit Putins Angriffskrieg auf die Ukraine tauge sie auch nicht: "Diese Kohle kann frühestens in drei Jahren gefördert werden."

Pusch, dem temperamentvollen Landrat, platzt da der Kragen: "Sie hauen das dem Falschen um die Ohren!" Zuständig für diese Entscheidungen seien Politiker in Bund und Land, nicht er: "Eigentlich müssten hier heute Klimaministerin Mona Neubaur und Innenminister Herbert Reul sitzen." Da fühlt sich einer wie der Sack, der geschlagen wird für andere, die in Düsseldorf geblieben sind an diesem Tag.

Die Besetzer selbst waren nicht dabei in Erkelenz. Sie blieben in Lützerath - aus Sorge, am Abend nicht mehr zurückzugelangen in ihre Baumhäuser und Zelte. Für Mittwoch erwarten sie Besuch, tausendfach und in Uniform.

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