Schweiz:20 Jahre Haft für Terroristen

Schweiz: Bis 2020 blieb die Schweiz, in der es wiederholt islamkritische Volksabstimmungen gab, von Islamisten verschont. Nun fiel das Urteil gegen einen 29-jährigen Attentäter, der sich auf die Terrormiliz IS berief.

Bis 2020 blieb die Schweiz, in der es wiederholt islamkritische Volksabstimmungen gab, von Islamisten verschont. Nun fiel das Urteil gegen einen 29-jährigen Attentäter, der sich auf die Terrormiliz IS berief.

(Foto: Andreas Haas/Imago)

Das Schweizer Bundesstrafgericht hat einen IS-Sympathisanten verurteilt. Der 29-Jährige hatte 2020 einen Mann in einem Imbiss erstochen.

Von Isabel Pfaff

Morges ist ein malerisches Städtchen am Genfer See, man hat Blick auf den Mont Blanc, im Frühsommer feiern sie hier ein Tulpenfest. Doch inzwischen ist Morges vor allem die Stadt, in der es zum ersten islamistischen Terroranschlag in der Schweiz kam: Hier kaufte Ömer A., heute 29 Jahre alt, Mitte September 2020 ein Messer mit einer 20 Zentimeter langen Klinge. Er wählte einen Kebab-Imbiss aus und, so steht es in der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft, rammte dort unter "Allahu Akbar"-Rufen einem 29-jährigen Mann das Messer von hinten in die Seite. Das zufällig ausgewählte Opfer, ein Mann mit portugiesischem Pass, hatte mit Freunden auf der Terrasse des Imbisses gesessen. Er starb noch am Tatort.

Im vergangenen Dezember fand der Prozess vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona statt. Die Bundesanwaltschaft warf Ömer A., der neben der schweizerischen auch die türkische Staatsbürgerschaft besitzt, unter anderem Mord und Verstoß gegen das Verbot des "Islamischen Staats" (IS) vor. Sie forderte 18 Jahre Gefängnis und eine ordentliche Verwahrung, also eine Inhaftierung über die eigentliche Freiheitsstrafe hinaus. Die Verteidigung bestritt die Mordanklage nicht, wandte sich aber gegen die Verwahrung. A.s Anwältin machte im Verfahren gesundheitliche Probleme geltend. Der Angeklagte habe "ein bisschen Menschlichkeit" verdient.

Am Dienstag hat nun das Gericht sein Urteil verkündet: Ömer A. ist demnach schuldig des Mordes, des versuchten Mordes, der versuchten Brandstiftung, der Drohung, der Propaganda für den IS und des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. In den Augen des Gerichts hat Ömer A. mit der Tötung des Mannes in Morges einen islamistisch motivierten Terroranschlag begangen, zu dem ihn Propagandavideos des IS inspiriert hätten. Auch den Großteil der anderen Anklagepunkte sieht das Gericht als erwiesen an: Ömer A. versuchte vor der Tat in Morges, eine Tankstelle in Brand zu setzen, und noch nach seiner Verhaftung im Herbst 2020 wollte er einem Aufseher im Gefängnis in Thun einen Kugelschreiber in den Hals rammen.

Der Verurteilte muss insgesamt 20 Jahre ins Gefängnis

Der Verurteilte erhält eine Freiheitsstrafe von 20 Jahren (von denen dreieinhalb Jahre Untersuchungshaft abgezogen werden). Auf eine Verwahrung verzichtete das Gericht und ordnete stattdessen eine therapeutische Maßnahme in einer geschlossenen Einrichtung an. Es betrachtet Ömer A. also als klar schuldig, aber auch als therapierbar. Mit der Urteilsverkündung vom Dienstag ist die Tötung in Morges der erste islamistische Mord auf Schweizer Boden.

Es ist jedoch nicht der einzige Schweizer Terroranschlag mit dschihadistischen Motiven: Nur gute zwei Monate nach Ömer A.s Tat kam es in Lugano zu einem ähnlichen Vorfall, allerdings ohne tödlichen Ausgang. Eine Frau verletzte in einem Einkaufszentrum zwei weitere Frauen mit einem Messer, eine davon schwer, und berief sich dabei auf die Terrormiliz IS. Im September 2022 verurteilte das Bundesstrafgericht die Täterin wegen versuchten Mordes und Verstoß gegen das IS-Verbot zu neun Jahren Haft, die Strafe fiel wegen der psychischen Störungen der Frau eher mild aus.

Auch wenn es sich in beiden Fällen um Einzeltäter mit psychischen Problemen handelte: Die Taten machen deutlich, dass islamistischer Terror auch in der Schweiz eine reale Gefahr ist. Das neutrale Land hat zwar nie aktiv an Kriegen im Nahen Osten teilgenommen oder sich wie andere europäische Staaten militärisch in Westafrika engagiert. Trotzdem wird die Schweiz global dem westlichen Lager zugeordnet. Auch hat sie mittels Volksabstimmungen mehrere islamkritische Regeln erlassen, etwa das Neubauverbot von Minaretten oder das erst jüngst durchgesetzte Vollverschleierungsverbot.

Die Terrormiliz IS ist zwar geschwächt, doch die Ideologie bleibt

Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) bezeichnet die dschihadistische Terrorgefahr in der Schweiz in seinem Lagebericht 2021 auch als "weiterhin erhöht". Als Kernorganisation sei der IS zwar kaum noch in der Lage, selbst Anschläge in europäischen Ländern vorzubereiten oder zu verüben. Seine Ideologie bleibe jedoch "als Nährboden und Inspirationsquelle" erhalten.

Entsprechend, so schreiben die Schweizer Nachrichtendienstler, sei die wahrscheinlichste Bedrohung in der Schweiz "Anschläge mit geringem organisatorischem und logistischem Aufwand, verübt von autonom agierenden Einzeltätern", bei denen die Radikalisierung mit persönlichen Krisen oder psychischen Problemen zusammenfalle. Dabei scheint es ein paar regionale Hotspots der Radikalisierung zu geben: Laut dem Genfer Politologen und Terrorismusexperten Frédéric Esposito beobachtet der Nachrichtendienst des Bundes vor allem Gruppen und Moscheen im Raum Winterthur, Genf und Renens.

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