Eishockey:Im Kartenhaus der Liga

Eishockey: Einschwören auf die letzte Etappe: 19 Spiele haben die Augsburger Panther noch Zeit, sich vor dem Abstieg zu retten.

Einschwören auf die letzte Etappe: 19 Spiele haben die Augsburger Panther noch Zeit, sich vor dem Abstieg zu retten.

(Foto: Heike Feiner/Eibner/Imago)

Rekordmeister gegen Gründungsmitglied, oder: Drittletzter gegen Vorletzter. Vor dem 113. Duell zwischen Titelverteidiger Berlin und Augsburg geht es um die Frage, wer zum ersten Mal aus der DEL absteigen wird.

Von Johannes Schnitzler

Kein Dramatiker, nicht einmal der boxbegeisterte junge Brecht, der aus Augsburg zog, um in Ost-Berlin die Theaterwelt zu revolutionieren, hätte diesen Entwurf gewagt. Total überkonstruiert. Aber so ist der Plot: Am 42. Spieltag der Deutschen Eishockey Liga (DEL) treten die Eisbären Berlin, der Rekordmeister und Titelverteidiger aus dem Osten, in Friedrichshain gegen die Augsburger Panther an, eins von fünf dauerhaft verbliebenen Gründungsmitgliedern der Liga. Es ist das 113. Duell der beiden Klubs. "Hätte mir im Sommer einer gesagt, dass wir Mitte Januar einen Platz hinter Berlin stehen, hätte ich eingeschlagen", sagt Augsburgs Torhüter Dennis Endras. Das Problem: Nach zwei Dritteln der Saison sind die Eisbären Tabellen-13., vor Augsburg und dem Schlusslicht Bietigheim. Und weil in dieser Saison aller Voraussicht nach zwei Teams aus der DEL absteigen müssen, ist dieses Duell ein Schlüsselspiel zwischen Wohl und Wehe. Berlin hat das erste Duell 3:2 gewonnen.

Und Augsburg?

Ein Drama aus drei Perspektiven.

Der Chef

Lothar Sigl, 65, ist geschäftsführender Gesellschafter der Augsburger Panther. Mit seiner Clique stand der Gastwirt in den Achtzigerjahren Woche für Woche im Curt-Frenzel-Stadion, und als der Augsburger Eislaufverein (AEV) in Konkurs ging, übernahm der Gastwirt 1987 die Geschäfte. Sigl führte den Traditionsklub aus der dritten Liga erst in die zweite Liga und 1994 in die neu gegründete DEL. Nun, 36 Jahre nach Sigls Einstieg, könnte Augsburg nach Krefeld in der vergangenen Saison als weiteres Gründungsmitglied der Liga in die DEL2 relegiert werden. Danach sah es zu Saisonbeginn nicht aus.

Unter dem neuen Trainer Peter Russell - dem ersten schottischen Chefcoach in der DEL-Geschichte - starteten die Panther mit drei Niederlagen und drei Siegen. Nicht zufriedenstellend, aber auch nicht besorgniserregend. Bis zur Deutschland-Cup-Pause im November reihten sie dann aber neun Niederlagen aneinander. Hauptgesellschafter Sigl gab auf der Klub-Homepage ein Interview, die Trennung von Russell erschien unausweichlich, er sagte: "Der Trainer ist am Ende das schwächste Glied." Aber er beließ Russell im Amt. "Mit großer Überzeugung haben wir uns im Sommer für ihn entschieden, das werfen wir noch nicht alles wieder über Bord." Womöglich spielte auch eine Rolle, dass die Schwaben, wie der Schotte Russell zu Saisonbeginn belustigt feststellte, "vielleicht noch geiziger" seien als seine Landsleute. Am Tag vor Heiligabend war für Russell dann aber doch vorzeitig Schluss. Kai Suikkanen, 63, ein Feuerwehrmann aus Finnland, übernahm - nach Mark Pederson, Serge Pelletier und Russell der vierte Chefcoach binnen eines Kalenderjahres in Augsburg.

Für einen Klub, der unter Larry Mitchell (sieben Jahre im Amt) 2010 ins Finale vorstieß und unter Mike Stewart (vier Jahre) erstmals in die Champions League, eine alarmierende Fluktuation. "Irgendeiner macht immer einen Fehler, und dann fallen wir zusammen wie ein Kartenhaus", sagt Sigl. Zuletzt gaben die Panther sogar mehrmals Vorsprünge mit drei oder vier Toren aus der Hand. "Sie wollen ja alle", sagt Sigl, "das kann man keinem vorwerfen". Und noch seien 19 Partien zu spielen, es gebe noch 57 Punkte zu holen.

Und wenn es doch nicht reicht? Sigl vermeidet das Wort Abstieg. Er sagt: "Dann war es ein Unfall. Und wir werden alles dafür tun, um ihn schnellstmöglich zu reparieren. So will ich nicht vom Hof gehen."

Eishockey: Lothar Sigl, seit 36 Jahren Hauptgesellschafter der Augsburger Panther: "So will ich nicht vom Hof gehen."

Lothar Sigl, seit 36 Jahren Hauptgesellschafter der Augsburger Panther: "So will ich nicht vom Hof gehen."

(Foto: Krieger/Imago)

Der Fan

Benne Kopp, 54, ist Vorsitzender des 1. AEV-Fan-Clubs und Mitglied im Fan-Beirat. Seine Mail-Adresse enthält die Jahreszahl 1878 - das Gründungsjahr des Augsburger Eislaufvereins. Ins Stadion geht er seit 40 Jahren, er kennt die Zeiten, als der AEV in der Oberliga versunken war, aber auch jene, als der Klub im Finale um die deutsche Meisterschaft stand. 2019 tourten sie in der Champions League durch Europa. Und wohin sie auch kamen, hinterließen sie eine Spur der Zuneigung. Hartgesottene nordirische Fans in Belfast verbrüderten sich spontan mit den singenden und feiernden Schwaben, die Schweden in Luleå wussten gar nicht, wie ihnen geschah, als 1000 Augsburger die akustische Hoheit in der Coop Norrbotten Arena übernahmen. "Wir hatten tolle Zeiten", sagt Kopp. "Und wir werden auch jetzt wieder rauskommen."

Die Loyalität der Fans ist statistisch belegbar. Augsburg hat die höchste Stadionauslastung der DEL, mehr als 85 Prozent. Drei der vergangenen vier Heimspiele waren ausverkauft - trotz zehn zum Teil grotesken Niederlagen in 18 Heimpartien. Niederlagen wie jene gegen Nürnberg, als die Panther bis 23 Sekunden vor der Schlusssirene führten. Dann kassierten sie das 3:3 und nach fünf (!) Sekunden der Verlängerung das 3:4. Oder das Spiel in Wolfsburg: Die Panther führten 4:0, 5:1, 6:2 - und fingen 0,4 Sekunden vor Schluss das 6:6. Gegen Iserlohn schwiegen die Panther-Fans bis zur ersten Werbeunterbrechung. Auf einem Spruchband war zu lesen: "Verdient Euch diese Kurve!" Kopp sagt: "Die aktive Szene, alle Fanklubs, wollten ein Zeichen setzen. Es war unsere letzte Möglichkeit." Die Anhänger seien aber weiterhin treu, "daran wird sich nichts ändern".

Und wenn es doch nicht reicht? "Bei den Fans kommt das Wort mit A nicht vor", sagt Kopp. "Das werde ich nie im Leben in den Mund nehmen."

Eishockey: Ein Zeichen: Vor dem Spiel gegen Iserlohn nehmen die AEV-Fans ihr Team in die Verantwortung. Trotz der Misere war das Augsburger Curt-Frenzel-Stadion zuletzt mehrmals ausverkauft.

Ein Zeichen: Vor dem Spiel gegen Iserlohn nehmen die AEV-Fans ihr Team in die Verantwortung. Trotz der Misere war das Augsburger Curt-Frenzel-Stadion zuletzt mehrmals ausverkauft.

(Foto: Goldberg/Beautiful Sports/Imago)

Der Torwart

Dennis Endras, 37, ist ein Idol in Augsburg. 2010 zogen die Panther mit dem Torhüter, der aus der zweiten Liga kam, zum einzigen Mal ins DEL-Finale ein. Als Endras im Sommer nach elf Jahren in Nordamerika, in Finnland und in Mannheim beladen mit zwei deutschen Meistertiteln zurückkehrte, war die Euphorie groß: Noch immer tragen viele im Curt-Frenzel-Stadion Trikots aus der Saison 2009/10 mit dem Namen Endras. An diesem Donnerstagnachmittag sitzt der gebürtige Allgäuer im Bus nach Berlin und sagt: "Ich sehe: nichts." Das wäre eine horrende Beschreibung für die Gesamtsituation, aber Endras meint das mit dem Nichts wörtlich: "Wir fahren hier gerade durch die Pampa."

Mit Mannheim, dem siebenmaligen Meister, sei er nach Berlin immer geflogen. Aber Endras wusste, was er im Sommer tat, er wollte sich in der Heimat auf der letzten Strecke seiner Karriere für die Zeit danach einrichten. Jetzt, sagt er, hätten viele Zukunftsangst. "Da steckt viel Herzblut drin, bei den Zuschauern, den Menschen im Verein, den Spielern. Wenn ich dann irgendwo vor 1500 Leuten spielen muss, dann blutet mir das Herz. Augsburg gehört in die DEL." Aus der Liga, von Kollegen und Konkurrenten, kommt viel Zuspruch, fast immer heißt es: Es wäre schon schade, wenn ... Aber jeder könne die Tabelle lesen: "Das ist kein Zufall. Da darf man das Wort Abstieg schon in den Mund nehmen." Sie alle würden ja gerne in Augsburg bleiben und weiter in der DEL spielen. "Aber der Druck wird nicht kleiner."

Und wenn es am Ende nicht reicht? "Das ist die große Frage", sagt Endras.

Eishockey: "Augsburg gehört in die DEL": Torhüter Dennis Endras.

"Augsburg gehört in die DEL": Torhüter Dennis Endras.

(Foto: Andreas Dick/Beautiful Sports/Imago)
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