Typisch deutsch:Frodos Erleuchtung

Typisch deutsch: Menschen östlich von München auf einer Fackelwanderung.

Menschen östlich von München auf einer Fackelwanderung.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Auf seiner nächtlichen Flucht vor dem Krieg versteckte sich unser Autor wie im Film unter einem Tarnmantel. Inzwischen streift er zum Vergnügen durch die Finsternis - und trägt sogar eine Fackel.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Eine Nachtwanderung auf einen Berg erfordert eine gewisse Grundausrüstung: Wanderschuhe, Outdoorhosen, Funktions-Shirt, Hardshelljacke, Kopfbedeckung, Rucksack, Wanderstöcke und eine Lichtquelle. Es kann sich um eine Taschen- oder Stirnlampe handeln, als romantischer empfinden die Menschen hierzulande indes eine brennende Fackel. Aber: Hauptsache Licht.

Dieses Phänomen ist eine Erwähnung wert, weil ich in Syrien ja auch viele Leute gesehen habe, die in Gruppen durch die Nacht wanderten, aber eben zwingend ohne Fackeln. Es handelte sich nicht um Fackelwanderungen zum Freizeitvergnügen. Die Menschen flohen aus ihren zerbombten Häuser. Die Flugzeuge und Raketen kreisten über uns, wir hörten verzweifelte Schreie, angsterfüllt flohen wir Hals über Kopf aus der Stadt, hinaus aufs Land, irgendwohin, wo wir aus der Luft nicht entdeckt werden konnten. Deswegen war Licht streng verboten.

Bei unserer Winterwanderung im Münchner Oberland neulich blies der Wind nun einige Fackeln aus. Sofort kam einer heran, um sie wieder zu entzünden. Später saßen wir im Warmen bei Suppe und Tee. Es war eben keine unfreiwillige Fluchtwanderung, die in einem Nachtlager im finsteren Wald endete. Die Flüchtigen damals schmiegten sich wie Lämmer eng aneinander, um sich gegenseitig zu wärmen.

Ohne Kriegsgeschrei hat eine Nachtwanderung auf einem Berg fast schon etwas Meditatives. Die Ruhe, die Lichter in der Ferne, das Funkeln der Sterne, das Flackern der Fackeln. In den Bergen ist die Neumondzeit ideal zum Nachtwandern geeignet, da man die Sterne besser sehen kann, weil die Nächte dunkler sind.

Von Syrien aus mussten wir die Fluchtwanderung bei jedem Wetter machen, im Schnee, bei Regen oder bei Hitze. Als ich vor den Schergen des sogenannten islamischen Staats floh und in der Nacht die syrisch-türkische Grenze überqueren wollte, musste ich warten, bis die türkischen Grenzwächter sich entfernt hatten, um unerkannt rüberzukommen. Das Wetter war sehr schlecht, nachts schlief ich mangels Speis und Trank recht hungrig und durstig ein. Ich lag unter meinem tarnenden Stoffmantel, um zu verhindern, dass Wächter mich finden. Wie Frodo Beutlin in Herr der Ringe, nur ohne elbisches Lembas-Brot.

Die Bergwanderung zuletzt führte uns nun durch einen Wald, der die Sternenlichter verschluckte. Stimmen in Wäldern lassen alte Gedanken wiederkehren. Und für einen Moment war nun dieses mulmige Gefühl zurück, dass viele kennen dürften, die wie ich die Fluchtroute von Griechenland über Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich nachts durch Wälder nahmen. Man muss dabei höllisch aufpassen. Herabfallende Äste sind ein Thema - oder Menschen, die einen auffliegen lassen.

Auf der Flucht aßen wir manchmal Grünzeug vom Boden, hier am Berg wurde uns zum Ende des Mahls ein Kaiserschmarrn serviert. Er kam in Geleit von bayerischer Musik, während das Feuer im Kamin flackerte.

Ihre Flucht hat zwei Journalisten nach München geführt. In einer wöchentlichen Kolumne schreiben sie, welche Eigenarten der neuen Heimat sie mittlerweile übernommen haben. Die Kolumne "Typisch Deutsch" erscheint immer am Freitag oder Samstag auf der SZ-Leuteseite. Die gesammelten Texte finden sie hier.

Zur SZ-Startseite

Typisch deutsch
:Glühweintrinken im Freien - warum tun sich die Münchner das an?

Für unseren Autor klingt es wie eine Bestrafung: das Ertragen von Kälte und Platznot samt einer übelriechenden und völlig überteuerten Plörre namens Glühwein. Fehlt nur noch ein Wärter mit rasselnden Ketten.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: