Landwirtschaft:"Er will es allen recht machen"

Landwirtschaft: Zum Auftakt der Grünen Woche: Minister Cem Özdemir besucht die Messe in Berlin, die nach zwei Jahren Pandemie-Pause wieder stattfindet.

Zum Auftakt der Grünen Woche: Minister Cem Özdemir besucht die Messe in Berlin, die nach zwei Jahren Pandemie-Pause wieder stattfindet.

(Foto: Fabian Sommer/DPA)

Mehr Öko-Anbau, mehr Platz in Schweineställen, mehr Bio-Essen in Kantinen - was ist nach einem Jahr im Landwirtschaftsministerium aus Cem Özdemirs Vorsätzen geworden?

Von Constanze von Bullion, Berlin

Erst zum Schwein also, es steht neben ein paar Maispflanzen in Halle 23a. Cem Özdemir will das Tier nicht streicheln, schließlich ist es nur aus Kunststoff. Aber erklären möchte er dann doch kurz, dass so ein Ringelschwanz mit tierischem Wohlergehen zusammenhängt, mit dem Klima also und dem großen Ganzen. "Lösungen für eine nachhaltige Transformation fallen nicht vom Himmel, sie müssen hart erkämpft werden", sagt er noch. Ein Satz ist das, der wohl auch für den Minister selbst gilt.

Donnerstag in den Messehallen in Berlin, der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft ist zur Internationalen Grünen Woche gekommen. Nach zwei Jahren Pandemie-Pause findet die weltweit größte Lebensmittelmesse erstmals wieder statt, wenn auch mit veränderten Vorzeichen. Krieg und Inflation haben die Preise von Nahrungsmitteln in die Höhe getrieben, auch die von Düngemitteln und Energie. Der Ökohandel kämpft mit Umsatzeinbußen. Nie war bei dieser bäuerlichen "Leistungsschau" aber auch so ausdauernd von Nachhaltigkeit die Rede, von Klimaschutz und der Schonung natürlicher Ressourcen.

Ein Heimspiel für den Grünen Cem Özdemir ist diese Grüne Woche trotzdem nicht. Denn hier gibt es nicht nur Spezialitäten aus 60 Ländern oder Milcherzeuger, die vor möglicherweise wieder fallenden Milchpreisen warnen, "mir wollet keine Panik mache". Lobbyistinnen der Öko-Branche machen auch ihrem Unmut Luft, über Özdemir und seinen zögerlichen Aufbruch, wie sie finden. Und natürlich poltert auch der Bauernpräsident gegen übertriebene ökologische Anforderungen, "wir müssen raus aus der Ideologiekiste".

Erzeugersorgen versus Verbraucherwünsche

Konventionelle Landwirtschaft versus Bio, Erzeugersorgen versus Verbraucherwünsche, bäuerliches Beharrungsvermögen gegen Wandel, so geht das. Und irgendwo dazwischen: Cem Özdemir. Er hat sich das mit der Politik vielleicht mal etwas anders vorgestellt.

Ein Jahr ist der Minister im Amt, es war ein Jahr mit steiler Lernkurve. Özdemir, einst Grünen-Chef, streitfreudiger Realo und einer der ambitioniertesten Redner seiner Partei, war eigentlich mal ein ausgewiesener Innen- und vor allem Außenpolitiker. Bis auf seine Abneigung gegen Fleisch und einen Großvater, der Bauer war, hatte er keine Verbindung zur Landwirtschaft, als er 2021 - als erster Sohn türkischer Eltern in Deutschland - an die Spitze eines Bundesministeriums trat.

Nun sind fehlende Fachkenntnisse bekanntlich kein Grund gegen ein Ministeramt. Außerdem bot der Posten Özdemir die Chance, in eine grüne Herzkammer vorzudringen. Etwa ein Viertel der klimaschädlichen Gase, die Deutschland produziert, gehen auf Tierhaltung und Lebensmittelproduktion zurück. Weltweit ist die Branche für bis zu 80 Prozent des Artensterbens verantwortlich, auch aufgrund von Pestiziden und Futtermittelanbau. Es ist ein Feld wie bestellt für einen Grünen.

"Es brodelt", sagt der Bauernpräsident

Als Özdemir "Landwirtschaftsminischter" wurde, wie er das gern nennt, kündigte er ehrgeizige Neuerungen an. 30 Prozent der Agrarflächen in Deutschland sollen bis 2030 ökologisch bewirtschaftet werden. Der Minister will in Brüssel auch dafür sorgen, dass EU-Direktzahlungen an Bäuerinnen und Bauern sich nicht länger an der Größe ihrer Felder bemessen, sondern daran, ob Betriebe nachhaltig wirtschaften. Ein Tierhaltungslabel soll kommen in Deutschland, mehr Platz in Schweineställen, mehr Bio-Essen in Kantinen.

Nur - was ist eigentlich aus seinen Vorsätzen geworden?

Bei der Grünen Woche in Berlin fallen die Antworten nicht eben freundlich aus. "Es brodelt", sagt Bauernpräsident Joachim Rukwied. Gemeint ist Özdemirs Vorhaben, Schweinehalter zu unterstützen, wenn sie weniger Tiere halten und ihnen mehr Platz geben. Die Fördersummen für Stallumbauten seien zu niedrig, murrt Rukwied. Aber auch in Öko-Verbänden wird gemotzt. "Wir brauchen einen engagierten, mutigen Landwirtschaftsminister Özdemir", sagt Tina Andres vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft. Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU, die Erforschung des Ökolandbaus, die Steigerung des Bioanteils in Kitas und Kantinen - "für all das sehen wir nicht ausreichend ambitionierte Schritte", sagt sie.

Özdemir spricht über Welthunger und Panzer für die Ukraine

Nein, es fehle dem Minister nicht an Interesse, wohl aber an Konfliktbereitschaft, sagt Georg Janßen von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. "Ich habe den Eindruck, er will es allen recht machen." Özdemir wolle keinen Krach mit konservativen Agrarverbänden, mache bei unbequemen grünen Agraranliegen zu wenig Druck. Vor Verbänden rede der Minister umso leidenschaftlicher über die Ukraine. Auch unter Özdemirs Parteifreunden ist gelegentlich zu hören, der Cem wäre wohl lieber Außenminister geworden.

Am Donnertag taucht Özdemir in Halle 5.3 der Grünen Woche auf, zur Fragestunde mit Fachjournalisten. Zunächst spricht er da zunächst über den Hunger in der Welt und "deutsche Großkatzen", gemeint sind Panzer für die Ukraine. Dann widmet er sich dem Radius von Abferkelbuchten in der Sauenhaltung und dem Klimapaket für Waldbesitzer, für das er 900 Millionen Euro erstritten hat, immerhin.

Erste Frage eines Journalisten: Ob der Minister die Betäubung von Schweinen und Geflügel mit CO₂ verbieten will bei der Kastration. Özdemir hustet. "Wir prüfen das", antwortet er dann. Nächste Frage: Ob der Minister nur Schweinehalter unterstützen will, die maximal 3000 Mastschweine im Jahr verkaufen? "Bei den parlamentarischen Beratungen wird das sicher eine Rolle spielen", antwortet Özdemir. Warum es so wenig Forschung zur Moorvernässung gibt, will eine Journalistin wissen. Cem Özdemir redet jetzt über Paludikultur und Torfmoose, "ich find's extrem spannend". Er sieht nicht aus wie ein unglücklicher Mann.

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