Australian Open:Mit neuer Freiheit

Australian Open: "Es ist eine verrückte Welt, dafür ist nicht jeder gemacht": Julia Görges (hier bei ihrer Australian-Open-Teilnahme 2015) weiß, was es braucht, um sich als Tennisprofi durchzusetzen.

"Es ist eine verrückte Welt, dafür ist nicht jeder gemacht": Julia Görges (hier bei ihrer Australian-Open-Teilnahme 2015) weiß, was es braucht, um sich als Tennisprofi durchzusetzen.

(Foto: Bernat Armangue/AP)

Julia Görges war eine der prägenden Spielerinnen des deutschen Tennis. Seit sie ihre Karriere auf die ihr typische Art beendete, genießt sie ein anderes Leben. Ein Treffen in Melbourne.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Julia Görges, 34, biegt um die Ecke nahe der Parliament Station, ein Sweatshirt mit Kunstaufdruck, baumelnde Handtasche, ein Lächeln. Sie sieht, ja, das darf man sagen, unternehmungslustig und fit aus, so, als würde sie gleich ihre Schlägertasche packen, weil sie in der Margaret Court Arena mit ihrer langjährigen Spielpartnerin und Freundin Karolina Pliskova zum Doppel antritt. Aber nein, jetzt führt Görges ja ein anderes Leben, und so gelöst, wie sie klingt, ist sie zufrieden mit diesem Leben. "Als ich früher in Melbourne war, war das immer mit Druck, Stress und Anspannung verbunden. Jetzt ist es einfach wie Urlaub", sagt sie. Niemand würde hier vermuten, dass diese Person das deutsche Frauentennis 15 Jahre lang geprägt hat wie nur wenige.

Sieben WTA-Turniere gewann sie, war die Nummer neun der Welt, stand 2018, ihr größter Erfolg, im Wimbledon-Halbfinale. Dann der Schnitt, radikal. Das Kapitel Profitennis ist für sie seit Oktober 2020 abgeschlossen, ohne Theater hatte sie ihre Karriere beendet, ohne Vorlauf und Bedauern, eine typische Görges-Aktion. Sie war immer die Aufgeräumteste der goldenen Generation in Deutschland gewesen, zu der noch Angelique Kerber, Andrea Petkovic und Sabine Lisicki zählten. Diese Art ist immer noch zu spüren. Man macht eine Verabredung aus, in einem Café, dann ist sie da, pünktlich und präsent, auch auf der anderen Seite der Welt.

Sie begleitet zwar, das ist der Grund ihrer Reise nach Melbourne, ihren Lebenspartner Wesley Koolhof, 33, der die Nummer eins der Weltrangliste im Doppel ist, also ein richtig Guter. Das ist aber auch schon ihre einzige Verbindung zum Tennis. Das letzte Mal hat sie im Oktober gespielt, bei einem Schauwettbewerb in Luxemburg. Sie hat sich vom Tennis abgenabelt. So sehr, dass sie zugibt: "Ich würde jetzt nicht sagen, komm, lass uns mal eine Stunde Tennis spielen."

Den jüngeren Spielerinnen wie Jule Niemeier und Eva Lys müsse man Zeit geben, findet Görges

Als sie neulich "Wes", wie sie Koolhof, den Sohn des früheren niederländischen Fußballnationalspielers Jurrie Koolhof, nennt, zu dessen erster Partie im Doppel begleitete, kam ihr das Treiben im Melbourne Park richtig anstrengend vor. "Es zieht einem viel Energie", schildert Görges. "Früher hat man das gar nicht so wahrgenommen." Sie hat sich gar gefragt: "Wow, wie habe ich das die 15 Jahre auf der Tour geschafft?"

Australian Open: Großer Erfolg: 2018 ist Julia Görges in Wimbledon erst von Serena Williams im Halbfinale zu stoppen.

Großer Erfolg: 2018 ist Julia Görges in Wimbledon erst von Serena Williams im Halbfinale zu stoppen.

(Foto: Glyn Kirk/AFP)

Görges hat den Übergang aus der Blase, wie sie die Tennistour nennt, jedenfalls gemeistert, manche straucheln ja dabei. Und es ist sicherlich auch ein Erfolg, dass sie, obwohl sie auf den Tenniszirkus keine Lust mehr hat, kein bisschen verbittert über diesen Kosmos spricht, der ja lange ihr Leben war. Sie wohnt jetzt an der holländischen Grenze, eine Stunde von Düsseldorf entfernt. Ein Haus auf dem Land, ein Hund aus dem Tierheim, kein Tennis weit und breit. Und wie ist es? "Super, ich liebe es!"

Die deutschen Spielerinnen verfolgt sie lose aber schon noch. Sie findet, man müsse den jüngeren Spielerinnen wie Jule Niemeier und Eva Lys Zeit geben - bei ihr, Kerber, Petkovic und Lisicki habe das auch gedauert, sich aus dem übermächtigen Schatten von Steffi Graf zu befreien, die Vergleiche waren ja immer da, "wir sind einfach reingeschwommen und haben uns behauptet". Ihr Tipp an die neue Generation: Talent ist gut und schön, "aber auf Hartnäckigkeit und Fleiß kommt es mindestens genau so an, wenn nicht noch mehr". Und eines weiß sie auch: "Es ist eine verrückte Welt, dafür ist nicht jeder gemacht." Man muss "tough" sein. Görges war es.

Ashleigh Barty lud sie gerade zum Barbecue ein - die beiden sind heute noch eng befreundet

Heute macht sie viel Yoga und Meditation, beschäftigt sich mit den Themen Körper und Gesundheit, schreibt ein bisschen für sich, vielleicht wird mal ein Buch daraus. Görges hat keine Eile, auch das ist eine Freiheit, die sie früher so nicht kannte. Als Profi war "alles strukturiert und durchgetaktet", Turnier hier, Turnier da, nach Hause, wieder weg. Stress, ja, aber man hatte auch keine Zeit zum Nachdenken, immer gab es Aufgaben. "Ich bin aber natürlich dankbar und stolz, dass ich das alles erleben durfte", betont sie. Fast zehn Millionen Dollar Preisgeld hat sie verdient, eine Summe, die auch ihre Verlässlichkeit damals ausdrückte. Und ihr jetzt Freiheit gibt.

In Melbourne, das rutscht ihr beiläufig heraus, war sie tags zuvor bei Ashleigh Barty, sie war zum Barbecue eingeladen. Bei der Gelegenheit schenkte ihr Barty, die im vergangenen Jahr als Australian-Open-Siegerin und Nummer eins der Welt überraschend aufgehört hatte, ihre gerade erschienene Biografie. "Sie hat mit so 8000, 9000 verkauften Exemplaren gerechnet", erzählt Görges, "bis jetzt wurden 75 000 verkauft." Barty ist in Australien das, was man unter dem Wort Star versteht, aber wenn Görges bei ihr ist, sind sie einfach Ash und Jule. Man begegnet sich auf Augenhöhe. Heraushängen würde das die Deutsche tatsächlich nie.

Görges wird die kommenden Tage weiterhin gelegentlich auf der Tennis-Anlage sein, dreimal stand sie hier im Einzel im Achtelfinale, im Doppel gar zweimal im Halbfinale. Koolhof wird sie indes nur sporadisch begleiten, er könne zwar betteln, ob sie nicht öfter mitkomme, aber da stellt Görges amüsiert klar: "Naja, er weiß, wie ich ticke." Den eigenen Kopf hat sie noch immer.

Görges verabschiedet sich, Koolhof ist gerade beim Training. Sie hat Zeit für sich. "Ich zieh dann mal weiter." Sie müsse ein paar Sachen, die sie gekauft hat, umtauschen. Sie lächelt beim Gehen.

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