Türkei:Feuer und Flamme für Erdoğans Wahlkampf

Türkei: Mitglieder eines rechtsgerichteten Jugendverbandes protestieren vor dem schwedischen Konsulat in Istanbul.

Mitglieder eines rechtsgerichteten Jugendverbandes protestieren vor dem schwedischen Konsulat in Istanbul.

(Foto: Khalil Hamra/AP)

Nahe der türkischen Botschaft in Stockholm verbrennt ein Rechtsextremist einen Koran. Der Präsident in Ankara nutzt den Vorfall, um Stimmung zu machen - und lässt ein wichtiges Treffen platzen.

Von Christiane Schlötzer

Das Eingangstor des Schwedischen Generalkonsulats auf der Istanbuler Einkaufsmeile İstiklal sieht aus, als hätte es der bayerische Märchenkönig Ludwig II. dorthin gestellt: weiß mit hohen Zinnen. Das Feenhafte passt, schließlich war Schweden zu Zeiten, in denen den Türken ihr eigenes Land zur Hölle wurde, stets eine Verheißung. Nach zahlreichen Militärputschen bot es Zuflucht. Diese Geschichte ist nicht vergessen, und noch immer stehen fast täglich Menschen vor dem Konsulat an, in der Hoffnung auf ein Visum. Das macht gewöhnlich keine Schlagzeilen.

Ganz anders die Demonstranten, Mitglieder eines rechtsgerichteten anatolischen Jugendverbands, die am Sonntag vor dem verschlossenen weißen Portal grüne Fahnen mit Koranversen schwenkten und ein plakatgroßes Fotos des schwedisch-dänischen Rechtsextremisten Rasmus Paludan in die Kameras hielten. Das Gesicht des Provokateurs Paludan war mit einem roten X versehen. Danach verbrannten die Protestierenden das Bild, so wie Paludan zuvor in Stockholm nahe der Türkischen Botschaft eine Koran-Ausgabe verbrannt hatte.

Für Erdoğan ein prächtiges Propaganda-Geschenk

In Stockholm waren vor allem Polizisten, Journalisten und ein paar Spaziergänger anwesend, etwa 200 Leute. Auf der İstiklal, wo immer viele Menschen unterwegs sind, waren es nicht viel mehr. Polizisten waren zum Schutz des Konsulats aufgezogen. Die Demonstranten skandierten Slogans wie: "Islamische Union, nicht EU."

Mitarbeiter des Konsulats hängten einen Zettel in ein Fenster, darauf war zu lesen: "Wir teilen die Meinung dieses Idioten, der das Buch verbrannt hat, nicht."

Türkei: Riesige Plakate werben an den Fassaden der türkischen Hauptstadt Ankara für eine Wiederwahl von Präsident Reccep Tayyip Erdoğan

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(Foto: imago)

In den Flammen in Stockholm und Istanbul dürften dennoch die letzten Hoffnungen Schwedens auf eine baldige Nato-Mitgliedschaft untergegangen sein. Für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan wirkt das wie ein prächtiges Propaganda-Geschenk im aktuellen Präsidentschaftswahlkampf, zumal er sich nach Umfragen eines abermaligen Sieges am 14. Mai nicht sicher sein kann. Erdoğan empört sich gern über die angebliche Arroganz des Westens gegenüber Muslimen, er macht damit nicht nur Stimmung, sondern auch Stimmen. Dafür ist die Aktion des rechten Politclowns Paludan wie geschaffen.

Andererseits, und da beginnt das Dilemma, hat die Türkei ihren Widerstand gegen einen Nato-Beitritt Schwedens bislang als Poker-Chip benützt. Erst vergangene Woche war Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu in Washington. Thema der Gespräche war der dringliche Wunsch der Türkei, F-16 Kampfflugzeuge zu erhalten. Seit Ankara 2019 das russische Raketenabwehrsystem S-400 erwarb, blockieren die USA Rüstungskäufe an den Nato-Partner. Zudem hat Erdoğan jüngst eine radikale Wende in seiner Syrien-Politik eingeleitet, hin zu einer Aussöhnung mit dem Diktator Baschar al-Assad - zum großen Ärger der USA.

Noch hat der Präsident nicht alle Türen zugeschlagen

Erdoğans erste Reaktion auf Stockholm klang hart, aber nicht so, als seien alle Basartüren zugeschlagen. In Ankara sagte er: Wenn die schwedische Regierung keinen Respekt vor den religiösen Überzeugungen der Türkei und der Muslime zeige, "wird sie leider keine Unterstützung von uns in der Nato erhalten. Wenn sie Mitglieder von Terrororganisationen und Feinde des Islam so sehr lieben, raten wir ihnen, die Verteidigung ihres Landes ihnen zu überlassen."

Türkischen Medienberichten vom Dienstagabend zufolge sagte Ankara ein für Februar geplantes Treffen mit Vertretern Schwedens und Finnlands über deren Nato-Beitritt ab. Ein neuer Termin wurde nicht genannt.

Die Türkei blockiert seit Monaten die Aufnahme der beiden nordischen Länder in die Allianz. Sie wirft vor allem Schweden Nachsicht gegenüber der verbotenen kurdischen PKK vor und verlangt die Auslieferung mehrerer Personen, auch von angeblichen Anhängern der islamischen Gülen-Bewegung, die sie für den Putschversuch von 2016 verantwortlich macht. Von 30 Nato-Mitgliedern haben nur die Türkei und Ungarn die Aufnahmen noch nicht gebilligt.

Die türkische Opposition reagierte keineswegs milder, im Gegenteil. Es wirkt, als wolle sie den Präsidenten an rhetorischer Schärfe im Wahlkampf noch übertreffen. Oppositionschef Kemal Kılıçdaroğlu von der säkularen CHP twitterte: "Ich verurteile diesen Faschismus, den Gipfel der Hasskriminalität." Meral Akşener, Chefin der rechten IYI-Partei und mit der CHP im Wahlbündnis, nutzte in der an Schimpfwörtern reichen türkischen Sprache extrastarke Ausdrücke für "unmoralisch und unehrenhaft".

Die regierungsfreundlichen Hürriyet gab dagegen zu Bedenken: "Nehmen wir den Verrückten, der in Schweden den Koran verbrannt hat, zu ernst? Wie wäre es, wenn wir diesen Kerl ignorieren? Wenn wir ihm zuflüstern: Fahr zur Hölle?" Schon am Montag hatte das kritische Blatt Karar gefragt, welche Beziehungen Paludan "zum russischen Geheimdienst" habe. "Provokationen gegen die Türkei sind Teil eines umfassenden Plans", kommentierte Karar.

Finnland zeigte sich am Dienstag erstmals offen dafür, der Nato ohne Schweden beizutreten. Man könnte dazu gezwungen sein, auch wenn ein gemeinsamer Beitritt erste Option bleibe, sagte Außenminister Pekka Haavisto dem finnischen Sender Yle.

Ende Januar wird Erdoğan in Polen erwartet, es gehe um den Krieg in der Ukraine, so die Deutsche Welle. Von Polen will er nach Deutschland reisen. Es könnte wieder einmal keine einfache Visite werden. 2018 waren 1,4 Millionen Türken in Deutschland wahlberechtigt. Erdoğan dürfte versuchen, ihre Stimmen zu gewinnen.

Am Dienstag wurde in Ankara der Botschafter der Niederlande ins Außenministerium bestellt. Zuvor hatte in Den Hag der niederländische Pegida-Anführer Edwin Wagensveld einen Koran zerstört. Viele Türken dürfte allerdings mehr interessieren, was Erdoğan nach einer Kabinettssitzung noch verkündete: eine Amnestie für Steuersünder vor der Wahl. Die regierungskritische Zeitung Sözcü dazu: "Bürger, die ihre Schulden schon bezahlt haben, sind die Deppen."

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