BVB in Mainz:Die Gefühls-Abrechnung des Gio Reyna

BVB in Mainz: Giovanni Reyna hat schon vieles erlebt als Fußballer, dabei ist er erst 20 Jahre alt.

Giovanni Reyna hat schon vieles erlebt als Fußballer, dabei ist er erst 20 Jahre alt.

(Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)

Verletzungen, überstiegene Erwartungen, eine Seifenoper bei der WM: Der erneute Siegtreffer des jungen Dortmunders führt zu großen Emotionen - mit seiner Unberechenbarkeit erinnert er an ein berühmtes Pendant aus München.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Wer das Drama des jungen Fußballers Gio Reyna ausloten will, von ganz unten bis ganz oben, der muss Bilder von ihm anschauen: Vom Mittwochabend in Mainz, von seinem Triumphlauf nach dem Siegtor in der 94. Minute - und daneben das tränenüberströmte Häufchen Elend von jenem Abend vor neun Monaten, als derselbe junge Mann, weil schon wieder verletzt, mit hängenden Schultern vom Platz schlich. Und zwischendurch noch die hollywoodreife Schlammschlacht zwischen Reynas Eltern und US-Nationaltrainer Gregg Berhalter rund um die WM. Was für eine Achterbahn!

Am Mittwochabend aber war der ausgelassenste Reyna zu sehen, den sie bisher bei Borussia Dortmund kennengelernt haben. Der eingewechselte Offensivmann drückte den Ball nach einer Ecke und einer Kopfballvorlage des ebenso spät gekommenen Stürmers Sébastien Haller über die Linie. Und dann explodierte der 20-jährige US-Amerikaner, der mit seiner Unberechenbarkeit und den unkonventionellen Bewegungsabläufen bisweilen an den viel berühmteren Thomas Müller aus München erinnert. Alles musste offenbar endlich raus, wie im Winterschlussverkauf der Emotionen: 2:1 für Dortmund. Schlusspfiff.

Drei Tage zuvor hatte Reyna, ebenso spät eingewechselt, bereits in einer wilden Partie das 4:3-Siegtor für den BVB gegen Augsburg erzielt, mit einem Dropkick, den kein Lehrvideo hätte besser vorführen können. Zusammengefasst kann sich Dortmunds Trainer Edin Terzic also bei Reyna für vier Punkte bedanken - für zwei Siege statt zwei Unentschieden.

Mit seinem Jubel schien Reyna dem Mainzer Publikum all den Frust zuzubrüllen, den er in den Monaten zuvor angestaut hatte - obwohl die Mainzer ihm nur zufällig die Bühne für die Gefühlsabrechnung boten. Sie hatten ja nichts zu tun mit Reynas Vorgeschichte: Die langen Verletzungen (vor allem am Oberschenkel), das Heranquälen an alte Fitness. wieder ein Rückschlag, wieder Einzelschuften, wieder ein Comeback, noch nicht ganz fit zur WM in Katar gereist - und dort wurde Reyna von seinem Nationaltrainer quasi mit der Ansage begrüßt, er werde im Turnier wohl keine große Rolle spielen. Was dann auch so eintrat, mit bisher unbekannten Nebengeräuschen.

Alle mögen Giovanni Reyna - zumindest in Dortmund

"Bei uns", betonte nun sein Klubtrainer Terzic, "hat er sich nie etwas zuschulden kommen lassen." BVB-Sportchef Sebastian Kehl hatte schon nach Reynas Rückkehr vom US-Camp in Katar vorsorglich gesagt: "Gio ist ein sehr guter Junge. Wir hatten nie einen Grund, an ihm zu zweifeln. Er geht in jedes Training und jedes Spiel mit großer Motivation."

Reyna selbst meidet Interviews. Auch am Mittwochabend in Mainz, als er das überschüssige Adrenalin halbwegs aus der Blutbahn hatte, war ihm nicht viel zu entlocken: "Jeder Mensch hat schwere Zeiten im Leben", ließ er wissen, "der Fußball hilft mir, da wieder rauszukommen. Ich will arbeiten und meinem Team helfen." Das war der artige Reyna, den sie seit dem Sommer 2019 in Dortmund kennen. Reyna hat in seinem Leben bisher nur für zwei Vereine gespielt, für New York City FC - und die Borussia.

Anfangs, mit 16, war er dort Juniorenspieler, aber schnell entwickelte Reyna sich zum Lieblingsspieler der BVB-Trainer. Egal ob Lucien Favre, Edin Terzic, Marco Rose, der junge Amerikaner war stets Everybody's Darling, jeder schwärmte von ihm. Er ist der Prototyp des übertalentierten Akademie-Spielers, mit Familienwurzeln in den USA, Argentinien und Portugal (dessen Staatsbürgerschaft Gio ebenfalls hat), mit einem Geburtsort in England und fußballerischer Heimat in Deutschland.

Den letzten Entwicklungsschritt allerdings hat Reyna bisher noch nicht gemacht. Es kam immer was dazwischen, zum Beispiel Erling Haaland oder Jude Bellingham, die beim BVB alles überstrahlten. Und als alles endlich einigermaßen lief für Reyna, kam jene Seifenoper, die seine Eltern, der amerikanische Fußballverband und dessen Trainer Berhalter rund um Katar aufführten.

Reynas Eltern sind im US-Fußball einflussreich. Vater Claudio, als Profi einst unter anderem in Wolfsburg und Leverkusen unterwegs und später bei ManCity, spielte bei vier Weltmeisterschaften für die USA. Gios Mutter Danielle Reyna-Egan war ebenfalls US-Nationalspielerin. Als Berhalter, einst Mannschaftskamerad von Papa Reyna, den 2022 lange verletzten Gio als mehr oder weniger untauglich für die WM einstufte, schrillte bei den Reynas offenbar der Alarm. Ihr Sohn gilt ja vielen als der beste US-amerikanische Fußballer, allerdings immer im Status der noch nicht erfüllten Versprechung.

Berhalter beklagte schließlich, dem Spieler fehle es an Einstellung, angeblich habe Reyna kurz davorgestanden, aus dem Trainingslager nach Hause geschickt zu werden. Die Schlammschlacht war eröffnet. Reynas Mutter schäumte so sehr, dass sie eine fast 30 Jahre alte Strafsache gegen Berhalter ausgrub. Der ehemalige Verteidiger habe als junger Mann eine Klage wegen Misshandlung am Hals gehabt, wegen häuslicher Gewalt gegen seine Frau, mit der Berhalter auch heute verheiratet ist - Insider-Wissen, das die Reynas aus gemeinsamen alten Zeiten hatten. Berhalter stand am Pranger. Ob der Familienkrieg Sohn Gio allerdings hilft, ist zu bezweifeln.

In Mainz hat Reyna nun angefangen, eine echte Instanz zu werden. Dabei hatte der BVB erneut nicht überzeugt. Beim 2:1, zu dem der Südkoreaner Lee Jae-sung für Mainz und der Norweger Julian Ryerson für den BVB sehr früh die ersten beiden Tore beigetragen hatten, ließ die Borussia ein klares Konzept vermissen. Am Ende triumphierte aber die Mannschaft mit den besseren Einzelspielern. Einer davon war Reyna.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusJörg Schmadtke
:"Das ganze Geschäft ist aufgeblasen"

Das Wolfsburger Bundesliga-Original erklärt das Ende seiner Manager-Karriere, was ihm einst bei einer HSV-Bewerbung passierte - und welcher Moment sein schwierigster in der Branche war.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: