Ausstellung im Kunstverein:Unvertrauter Blick auf das Vertraute

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Nur eine Feder bleibt: Richard Frater fotografiert die Spuren von Vogelschlag an Gebäuden. (Foto: Richard Frater; Rohner)

Der neuseeländische Künstler Richard Frater hebt den Boden des Kunstvereins gleichsam an und bringt Natur und Architektur in einen neuen Gleichklang.

Von Evelyn Vogel

Im Münchner Kunstverein wirft ein anstehendes Jubiläum seine Schatten voraus. Eine der ältesten Institutionen ihrer Art in Deutschland wird in diesem Jahr 200 Jahre alt. Im Mai soll es dazu ein großes Jubiläumsprogramm geben. Schon jetzt wird das Foyer in den Räumen am Hofgarten umgekrempelt. Und geht man nach oben in die Ausstellung von Richard Frater, sieht es auf den ersten Blick auch gewaltig nach Baustelle aus.

Ein riesiges Gerüst türmt sich da vor dem Hauptraum auf und fordert die Besucher geradezu heraus, hinauf zu steigen, um in luftigen Höhen von einem Raum zum anderen zu gelangen. Dort eröffnen sich neue Perspektiven. Zur einen Seite liegt einem der prachtvolle und wohlbekannte Hofgarten zu Füßen. Doch aus der Vogelperspektive nimmt man die renaissanceartige Anlage des Parks anders wahr und schaut von oben auf den Dianatempel. Zur anderen Seite, wo einem auf Straßenniveau eine Mauer und ein aufsteigender Hang normalerweise jeden Aus- oder Einblick versperren, sieht man nun in den Finanzgarten hinein.

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Womöglich erinnert man sich dabei an die zurückliegende Diskussion über den Finanzgarten als Standort für die neue Philharmonie. Doch auch wenn man angesichts der Möglichkeit einer stadträumlichen Situierung des neuen Konzerthauses an dieser Stelle kurz wehmütig wird, der Blick auf das grüne Kleinod mit seinem Baumbestand (Stichwort Versiegelung von Innenstädten und Klimawandel) fegt die Wehmut schnell hinweg.

Damit hat der neuseeländische Künstler Richard Frater mit seiner Ausstellung ein erstes Ziel schon erreicht: Die Situierung des Kunstverein-Standorts im innerstädtischen Raum zu hinterfragen. Von oben nämlich wirkt es fast, als ob die beiden Grünflächen zusammengehören würden und die Gebäude an der Galeriestraße sich wie ein Riegel - wenngleich auch ein hübscher - dazwischen schieben würden. Stadträumlich eine Konstante, erlebten die Räume selbst etliche Veränderungen im Lauf der Zeit. Diese werden bei den kommenden Ausstellungen, Gesprächen, Publikationen, Feierlichkeiten und Formaten anderer Art anlässlich des Jubiläums noch intensiv thematisiert werden.

Der Tod lauert an jeder Scheibe

Fürs erste hat also ein Ortsfremder den Boden der Ausstellungsräume gleichsam angehoben und gewährt den Ortsansässigen so einen unvertrauten Blick auf das Vertraute. Hinzu kommt, dass Frater Hobbyornithologe ist. In seinem Werk thematisiert er beständig das Aufeinandertreffen von Architektur und Natur. Hier richtet er sein Interesse auf das Problem, dass Gebäude mit großen Glasflächen eine Gefahr für Vögel darstellen. Nun sind die Fenster des Gebäudes an der Galeriestraße zwar nicht ganz klein, aber kein Vergleich zu den Flächen mancher Stahl-Glas-Konstruktionen, an deren Scheiben jährlich Abermillionen der gefiederten Tierchen durch Vogelschlag verenden. Frater hält ihr trauriges Schicksal nur anhand der zurückgebliebenen Federn, Kratz- und Fettspuren am Glas fotografisch fest. Es sind nur wenige und eher kleinformatige Aufnahmen, die Frater in die Ausstellung gebracht hat. Mitunter sind sie pure visuelle Poesie.

Ein massiver Eingriff in die Architektur ist die Installation im großen Raum. Wie bei einer Wildbrücke über eine Autobahn hat Frater quer durch das Gebäude einen nachgebauten Flugtunnel von Fenster zu Fenster geschoben. Auch wenn das Ganze eine künstlerische Intervention ist, hat es naturwissenschaftlich Hand und Fuß. Die leicht konische Form entspricht einem echten Vorbild. Auch die wie Readymades in der Ausstellung verteilten Objekte entstammen Projekten, in denen untersucht wird, wie man Vogelschlag im Stadtraum verhindern kann.

Mit dem Aufkommen des Frühjahrs werden sich die Eindrücke der Ausstellung verändern. Vielleicht werden Vögel den opaken Tunnel durchfliegen und sich auf den Streben niederlassen. Vielleicht bleiben sie dem Gebäude fern und lassen sich auf den bemoosten Ästen der alten Bäume im Finanzgarten nieder. Dann wird man sie auch vom Kunstverein aus beobachten können: Frater hat zwei Webcams installiert, die im 30-Sekunden-Takt abwechselnd ihren Livestream auf eine Wand im hinteren Raum projizieren.

Im Hofgarten, der in der Totalen gefilmt wird, wird vor allem das abhängig von den Tageszeiten sich verändernde Bewegungsmuster der Menschen im Vordergrund stehen. Die Kamera, die das Geschehen im Finanzgarten überträgt, ist mit einem fetten Zoomobjektiv ausgestattet und auf einen Ast gerichtet. Vielleicht wird man hier den Vögeln beim Fressen und Rasten zusehen können, vielleicht auch beim Liebesspiel. Was für eine schöne Vorstellung!

Richard Frater: Off season, Kunstverein München, am Hofgarten, Eröffnung: Fr., 27. Jan, 16-22 Uhr, Künstlergespräch Sa., 28. Jan., 15 Uhr, bis 23. April.

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