Proteste in Israel:Wirtschaft warnt vor Netanjahu

Proteste in Israel: Mitarbeitende von Hightech-Firmen protestieren Ende Januar in Tel Aviv gegen die neue israelische Regierung.

Mitarbeitende von Hightech-Firmen protestieren Ende Januar in Tel Aviv gegen die neue israelische Regierung.

(Foto: Jack Guez/AFP)

Israels Unternehmen fürchten, dass die Politik der neuen rechten Regierung schweren Schaden anrichtet. Erste Firmen kündigen bereits an, das Land zu verlassen.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Israels neue rechts-religiöse Regierung will das Land gehörig umkrempeln. Am vorigen Wochenende hat das bereits mehr als 130 000 Menschen zum Protest auf die Straßen getrieben. Doch nun gerät die Führung in Jerusalem zunehmend auch aus der Wirtschaft unter Druck. Von vielen Seiten und von prominenten Stimmen gibt es Warnungen, dass die angekündigte Reform des Justizwesens nicht nur der Demokratie, sondern auch der Ökonomie des Landes schweren Schaden zufügen könnte.

Premierminister Benjamin Netanjahu, der sich stets einer besonders erfolgreichen Wirtschaftspolitik gerühmt und als treibende Kraft hinter dem Erfolg der viel zitierten israelischen "Start-up-Nation" inszeniert hat, regiert alarmiert. In einer eilends einberufenen Pressekonferenz wies er, flankiert von seinen Ministern für Finanzen, Wirtschaft und Äußeres, am Mittwochabend alle Kritik an seiner Politik als "Tsunami an Lügen" zurück. Die Justizreform, so argumentierte er, werde "die Wirtschaft nicht schwächen, sondern stärken". Derzeit wirke die Einmischung der Justiz zum Beispiel bei der Planung von Großprojekten "wie eine Bremse auf den Rädern der israelischen Wirtschaft". Die Gegner seiner Politik forderte der Regierungschef auf, ihre "unverantwortlichen" Warnungen sofort einzustellen.

Den Chor der Kritiker wird er mit solchen Reaktionen kaum stoppen können. Sie verweisen darauf, dass die von der Regierung geplante Entmachtung des Obersten Gerichtshof die Gewaltenteilung in Israel aushebeln und damit zu großer Verunsicherung bei internationalen Investoren führen könnte. Die Ratingagentur S & P hatte bereits vernehmen lassen, dass eine Schwächung der staatlichen Institutionen zu einer Herabstufung der Kreditwürdigkeit Israels führen könne.

270 führende israelische Ökonomen haben einen "Notfall-Brief" veröffentlicht

Diese Sorge griffen auch 270 führende israelische Ökonomen auf, die in dieser Woche einen "Notfall-Brief" veröffentlichten. "Die Konzentration der gesamten politischen Macht in den Händen einer regierenden Gruppe ohne ein starkes System von Checks and Balances könnte die Wirtschaft zerstören", heißt es darin. Zu den Unterzeichnern gehören Vertreter aller politischen Couleur, darunter auch hochrangige ehemalige Regierungsmitarbeiter und Berater Netanjahus. Sie warnen zudem vor einem "Brain Drain", also vor der Gefahr, dass Hightech-Experten und Forscher Israel verlassen könnten.

Angeschlossen hat sich dieser Warnung auch der israelisch-amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman. In einem Interview mit der Wirtschaftszeitung The Marker warf er Netanjahus Regierung vor, sie plane "das Ende der israelischen Demokratie". In einem solchen Land, so erklärte er, sollten "seine Kinder und Enkel nicht aufwachsen".

Heftige Kritik kommt aber auch aus dem System heraus. Der von Netanjahu selbst ernannte Zentralbank-Chef Amir Yaron drang Berichten zufolge in dieser Woche nach der Rückkehr vom Weltwirtschaftsforum in Davos auf einen persönlichen Termin mit dem Premier. In diesem Gespräch soll er ihn gewarnt haben, dass Wirtschaftsvertreter aus aller Welt zutiefst besorgt seien über die Entwicklung in Israel.

Den gleichen Ton hatten zuvor schon zwei von Yarons Vorgängern in einem Beitrag für die auflagenstarke Zeitung Yedith Achronoth angeschlagen. "In der modernen Welt verlangt wirtschaftliches Wachstum und Prosperität nach Stabilität", schrieben Jacob Frenkel und Karnit Flug. "Die geplanten Maßnahmen zur Schwächung des Justizsystems aber bergen das Risiko einer ernsten und schmerzhaften Reaktion."

Angetrieben von dieser Angst, waren in dieser Woche bereits Hunderte Mitarbeiter von Hightech-Firmen in einen kurzfristigen Streik getreten. In Tel Aviv blockierten sie vorübergehend den Verkehr mit einem Protestzug, bei dem Schilder zu sehen waren mit der Aufschrift: "Keine Demokratie, kein Hightech" oder "Kein Hightech, keine Steuern".

Am Donnerstag zogen bereits erste Firmen Konsequenzen aus der politischen Lage und kündigten ihren Rückzug aus Israel an. Den Anfang machte die Firma Papaya Global, die weltweit Systeme zur Gehaltsabrechnung anbietet. Zu den Kunden zählen unter anderem Microsoft und Toyota, die Jerusalem Post beziffert den Wert des Unternehmens auf 3,7 Milliarden Dollar. Es folgte wenige Stunden später die Rückzugsankündigung des Venture-Capital-Fonds Disruptive AI. "Dies ist ein schmerzhafter und notwendiger Schritt", schrieb die Papaya-Global-Mitgründerin Eynat Guez. Sie hatte noch am vorigen Samstag auf der Protestveranstaltung in Tel Aviv eine Rede gehalten, in der sie erklärte: "Eine Start-up-Nation kann nicht ohne Demokratie existieren."

Von Israels politischer Opposition muss sich die Regierung Netanjahu nun heftige Kritik gefallen lassen. Mit Blick auf den Rückzug von Papaya Global, das allein in Israel 500 Menschen beschäftigt, schrieb Oppositionsführer Jair Lapid von der liberalen Zukunftspartei auf Twitter: "Netanjahu ist schwach, und er führt uns in eine wirtschaftliche Katastrophe."

Zur SZ-Startseite

SZ PlusPestizide
:Wie das Gift auf den Apfel kommt

Südtirol ist das Paradies, in dem alles wächst und gedeiht - mit so wenig Pestiziden wie möglich. Tatsächlich? Detaillierte, noch nie veröffentlichte Daten von Bauern aus dem Vinschgau zeigen etwas anderes.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: