ETA Hoffmann Theater:Horror im Puppenheim

ETA Hoffmann Theater: Wie aus dem Osterei gepellt: Grellbunt, künstlich, poliert ist die Ausstattung von Johanna Stenzel für "Zaun" am ETA Hoffmann Theater in Bamberg.

Wie aus dem Osterei gepellt: Grellbunt, künstlich, poliert ist die Ausstattung von Johanna Stenzel für "Zaun" am ETA Hoffmann Theater in Bamberg.

(Foto: Martin Kaufhold)

Abgeschirmt von der Welt: Sam Max erzählt in "Zaun" von einem sektenhaften Leben auf einer Farm im Nirgendwo. Am ETA Hoffmann Theater wird daraus ein artifizieller Splatter-Abend.

Von Yvonne Poppek, Bamberg

Ein hübsches, kleines Spielhäuschen steht da auf der Bühne, orangefarben angemalt, blaues Fachwerk, gelbe Fenster, gelbe Tür. Ein Hochbeet mit überdimensioniertem Spielzeuggemüse gibt es nebenan, ein Bäumchen mit knallroten Apfelattrappen, Hühnerstall und Vorgartenzaun. Alles wirkt wie aus einem Freizeitpark entlehnt, der auf verletzungs- und realitätsfreie Kitschlandschaften setzt. Das Setting, das Johanna Stenzel am ETA Hoffmann Theater geschaffen hat, gibt schon vor, was kommt: ein artifizieller, ins Groteske gesteigerter Abend, der an keiner Stelle seine Figuren psychologisieren möchte. Distanz durch Überhöhung ist die Idee, das hat seine Licht- und Schattenseiten.

"Zaun", so heißt das US-amerikanische Stück, das Regisseur Wilke Weermann als deutsche Erstaufführung inszeniert hat. Es stammt von Sam Max, in New York lebend und sich selbst als nonbinär beschreibend. 2020 wurde "Zaun" uraufgeführt, 2021 war es zum Berliner Stückemarkt eingeladen. Sam Max erzählt darin von Avery, einem Mädchen, das abgeschirmt von der Welt auf einer Farm aufwächst. Die Eltern zwingen es in einen sektenartigen Alltag, einzig ihr Onkel und ein Lieferjunge sind Verbindungsbrücken zur Außenwelt. "Zaun" ist dabei kein realistisch erzähltes Stück, Sam Max schiebt Traumgebilde ein, Erinnerungen, Vorstellungen, Wünsche, die die Wirklichkeit verwischen.

Regisseur Weermann setzt nun in seiner Bamberger Inszenierung auf diese surreale Ebene, lässt eine Mischung entstehen aus Barbies Hochglanzwelt und der Ästhetik von Tim-Burton-Filmen. Dialoge und Bewegungsabläufe sollen die Realität nicht kopieren, sondern übersteigern. Wer hier isst, knetet eine Kunststoffwurst, geputzt wird mit einem Lappen in der Luft und der soeben geerntete Apfel wird an seinem Haken an den Bühnenbaum zurückgehängt. Stimmen sind teils verfremdet, klingen wie von einem schlechten Tonband abgespult. Bemerkenswert ist, wie konsequent Weermann diese Künstlichkeit durchzieht, fast ein Puppenspiel inszeniert unter Aussparung der sonst omnipräsenten Live-Kameras, die Darstellenden verzichten sogar auf die kleinen Gesten und Blicke. Alles ist expressiv, artifiziell.

Das macht es dem Abend zunächst nicht leicht. Die Avery von Jeanne Le Moign ist nicht das arme, weggesperrte Mädchen auf der Farm. Sie hat vielmehr von Anfang an die Bedrohlichkeit einer Horrorfilm-Puppe, deren mörderisches Ich erst noch zum Vorschein kommt. Florian Walters Vater ist komplett harmlos, wohingegen Philine Bührer der Mutter unter ihrer Hochglanzfassade eine schöne Brüchigkeit beimischt. Eric Wehlan, Marek Egert und Antonia Bockelmann machen gekonnt die Rollen-Schubladen von Gespenst, Psycho und Tussi auf. Ein lustiges Sammelsurium ist das, das allerdings ein Problem hat: So richtig erwärmen kann man sich für das Geschehen zunächst nicht.

Der Abend, der mit knappen zwei Stunden nicht lange dauert, braucht Zeit, um sich zu entwickeln. Kleine Symbole und Gesten der Gewalt werden nach und nach eingeschoben, entsprungen den Hassfantasien der Tochter. Hier ein bisschen Blut in der Faust, da eine Zange, ein Gewehr, eine verletzende Antwort. Die hübsche Oberfläche wird rissig, dahinein schiebt sich das Grausige. Und dann kommt, was kommen muss: die Rache, die sich splattermäßig entlädt.

Da Weermann so klar jede Individualisierung der Figuren vermieden hat, weist diese letzte Tat über Avery hinaus, ist nicht nur die Befreiung einer einzelnen aus einem Familiengefängnis, sondern ein Schlag gegen alles Einengende, Normative, Klischierte. Das ist ein starker Zugriff auf das Stück, bei aller bisweilen überspannten Künstlichkeit ein Eindruck, der bleibt.

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