Union Berlin:Nummer eins in der Stadt, Nummer zwei in der Liga

Union Berlin: Schon wieder ein rotes Jubelbild im blauen Stadion des Stadtrivalen: Spieler von Union feiern das 2:0 bei der Hertha.

Schon wieder ein rotes Jubelbild im blauen Stadion des Stadtrivalen: Spieler von Union feiern das 2:0 bei der Hertha.

(Foto: Jürgen Engler/Imago/Nordphoto)

Lauern, Kontern, Standardtore: Mit bewährten Mitteln hält der Lauf der Köpenicker im Derby an - ein Spitzenteam will Trainer Urs Fischer allerdings nicht erkennen.

Von Thomas Hürner

Heimspiele von Bundesligaklubs starten meist mit kleinen Ritualen, die Lagerfeuergefühle stiften und das Traditionsbewusstsein schärfen sollen. So ist das auch bei Hertha BSC. Bevor im Olympiastadion die Aufstellung verlesen wird, werden die Hertha-Fans aufgefordert, sich bereit zu machen für "Berlins Fußballteam Nummer eins". Währenddessen wedeln die Hertha-Fans wild mit ihren Schals. Aber, Moment mal: Berlins Nummer eins?

Am Samstag gewann im Hauptstadtderby zum fünften Mal in Serie der 1. FC Union, der damit bis auf einen Punkt an Platz eins der Bundesliga heranrückte, während die Hertha am anderen Ende der Tabelle festhängt und nach dem 0:2 ihren Sportchef vor die Tür setzte. Bereits vor dem Anpfiff, beim Ritual, hatten die Hertha-Fans mit ihren Schals zwar wie üblich gewedelt, was das Zeug hält, aber auf das restliche Protokoll mit Nummer-eins-Ansage wurde diesmal verzichtet. Der Stadionsprecher entschuldigte dies, doch jeder kenne nun mal die Tabelle, die gerade nicht die gewohnte Rangordnung in der Stadt widerspiegelt. Das war weder kokett gemeint noch der übliche Trick, mit dem die Favoritenrolle in die Fußballschuhe des Gegners geschoben wird.

Es ist schlicht die Wahrheit: Berlins Nummer eins leuchtet nicht mehr blau-weiß, sondern rot, die Unioner aus Köpenick sind als derzeit schärfster FC-Bayern-Verfolger der Hertha um Lichtjahre enteilt, im stadtinternen Direktvergleich sowieso. Und weil jedem, der es wagt, dem Immermeister aus München nahezukommen, die immer gleiche M-Frage gestellt wird, musste am Samstagabend auch Union-Trainer Urs Fischer dazu Stellung nehmen. Der Schweizer tat es auf seine Weise, er sagte sehr lakonisch und sehr, sehr langsam: "Wir haben den 18. Spieltag. Warten wir ab - und schauen wir uns die Tabelle nach dem 34. Spieltag noch mal an."

In Kampfansagen-Stimmung hatte das Derby den Union-Coach ohnehin nicht versetzt: "Es war hart umkämpft, es war über 90 Minuten sehr eng. Wir waren effizient, am Schluss sind wir die glücklichen Gewinner", fasste Fischer wahrheitsgetreu zusammen. Und er hatte von seiner Elf trotz des dritten Sieges in acht Tagen wenig gesehen, was sich nach Tabellenplatz zwei anfühlte: "Wenn ich die 90 Minuten betrachte, würde ich nicht von einer Spitzenmannschaft sprechen", betonte er.

Umso bitterer für die Hertha, dass auch dieses Derby für sie nicht mehr Erbauliches lieferte als die Duelle der Vorjahre. Im Gegenteil: Man musste als Herthaner Erbauliches suchen wie eine Nadel im kolossalen Steinbau des Olympiastadions. Nur die Grundtugenden stimmten: Die Hertha hielt körperlich dagegen und wurde sogar mitunter dabei gesichtet, wie sie den Gegner hoch anlief. Weil Union aber exakt dasselbe tat, neutralisierten sich die Teams so konsequent, dass nur wenig Fußball übrig blieb. Halbzeit eins hatte eher den Charakter einer Wirtshausrauferei zu später Stunde: Es ging ruppig zu, mit Nahduellen und Nickligkeiten, und beiden Teams fehlte es an der nötigen Präzision, um dem Konkurrenten wirklich wehzutun.

Urs Fischer wünscht Hertha "viel Glück". Es würde ja was fehlen

Niedriger als das Spieltempo waren nur die eisigen Temperaturen. In der ersten Halbzeit war beidseitig nichts zu vermelden, was im weitesten Sinne den Begriff "Offensivbemühung" gerechtfertigt hätte. Hertha und Union lauerten. Und lauerten. Und lauerten. Und dann lauerten sie noch ein bisschen - bis Union einen Freistoß von halblinks zugesprochen bekam. Und ja, Standardsituationen, da war doch was: Hertha gehört in dieser Rubrik zu den schlechtesten Bundesligateams - Union hingegen trifft nach ruhenden Bällen äußerst gerne. So auch in der 44. Minute: Christopher Trimmel flankte, Danilho Doekhi köpfelte wuchtig, 1:0 für Union.

Die Hertha blieb danach bemüht, aber bemüht im Sinne von: Das reicht nicht, um die wie immer gut organisierten, giftigen Unioner zu gefährden. Das Derby ergab vielmehr ein perfektes Fallbeispiel dafür, dass Statistiken die Essenz eines Fußballspiels mitunter sehr verzerrt abbilden. Hertha lief mehr, gewann mehr Zweikämpfe, hatte mehr Ballbesitz und schoss öfter aufs Tor. Aber nichts davon war ein Indiz für einen positiven Spielausgang.

Und so passierte nach der Pause folgerichtig dies: Bei einem Pressschlag im eigenen Strafraum spielte Unions Rani Khedira den Ball und berührte danach ein wenig den Fuß des Gegners. Hertha-Fans pfiffen und glaubten, einem skandalösen Elfmeter-Betrug beigewohnt zu haben, aber währenddessen war Sheraldo Becker längst im Konter in Richtung Hertha-Tor unterwegs. Der rasend schnelle Becker zog am ungeschickt verteidigenden Peter Pekarik vorbei, danach genügte ein Querpass zum Kollegen Paul Seguin, der schob ein, 0:2. Weil Schiedsrichter Brych auch bei der nachträglichen Videoprüfung der Khedira-Szene zu seiner Ersteinschätzung stand, gab es keinen Strafstoß für die Hertha, und das Tor für Union galt. Deckel drauf.

Urs Fischer versprach dem notleidenden Verlierer immerhin, auch gegen dessen Rivalen aus dem Ligakeller fleißig punkten zu wollen: "Wenn man Hertha damit helfen kann, dann sehr gerne!" Ohne den Nachbarn würde ja einiges fehlen, die Stimmung im Olympiastadion, die Rivalität, das Derby. Also wünschte Fischer der Hertha "viel Glück".

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