Wirtshaussterben:Weiter in der Sackgasse

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Direkt an der Hauptstraße thront der Andechser Hof. Ein trauriger Anblick für die Tutzinger, die sich an rauschende Feste und fröhliches Beisammensein erinnern. (Foto: Georgine Treybal)

Seit elf Jahren steht der Andechser Hof in Tutzing leer, ein Ende ist nicht in Sicht. Derweil vermodert das Haus. Besichtigung eines Streitobjekts, bei dem es um Dachgauben, Immissionsschutz und geplatzte Träume geht.

Von Viktoria Spinrad, Tutzing

Ins beschlagene Fenster des Hoffnungsobjekts hat jemand mit dem Finger ein Herzerl gezeichnet. Daneben hängt die alte Schautafel. "Goldmedaille!", steht da in geschwungener Handschrift, "Landkreissieger im Wettbewerb Bayerische Küche 2010". Drumherum bröckelt der Putz. Die Fensterläden sind geöffnet, die Lichter sind aus.

Trotz des fortschreitenden Verfalls hat es immer noch etwas Majestätisches, wie der Andechser Hof da in der Tutzinger Ortsmitte thront, mit seiner Größe, seiner Symmetrie, seiner Lüftmalerei aus den Fünfzigern. Eine verwitterte, aber trotzige Schönheit. Oben an der Fassadenmalerei bewachen zwei Heilige das Bild, stumme Zeugen des Verfalls.

Flurnummer 67. Wo früher der Ort zusammenkam, zu Fasching, Hochzeiten, Vereinsjubiläen, herrscht der Leerstand. Seit mittlerweile elf Jahren laufen die Tutzinger an einer zunehmend baufälligen Ruine mitten im Zentrum vorbei, sie ist quasi schon Teil des Ortsbilds. Die Frage ist, wie lange noch.

2010 gab's mal eine Goldmedaille. Dann stand die Küche still. (Foto: Viktoria Spinrad)
Die Gaststätte hieß von 1874-1929 Bernrieder Hof. Von 1930-1934 wurde sie zum "Gasthof zur Post". (Foto: Fotonachlass Alois Müller)
Von 1935 an ging man in den "Andechser Hof". (Foto: Archiv der Gemeinde Tutzing)
Nachdem er jahrelang leerstand kauften Georg und Kornelia Schuster 2018 den Andechser Hof. Aus der Euphorie wurde schnell Enttäuschung. Kritiker sagen: Der Gemeinderat wusste, worauf er sich einlässt. (Foto: Georgine Treybal)

Wahrscheinlich noch eine ganze Weile. Denn das, was sich die Gemeinde vorstellt, wollen seine Besitzer nicht umsetzen. Der Kies knirscht, die langjährigen Tutzinger Hoffnungsträger sind eingetroffen. "So passiert hier die nächsten Jahre gar nichts", sagt Georg Schuster. "Das ist die nächste Ruine in Tutzing", sagt Cornelia Schuster, Und: "Hier ist eine Vision gestorben". Die Besitzer haben den Schlüssel zum Andechser Hof mitgebracht.

Hintergrund ist eine kaum zu durchdringende Historie aus Bürokratie, verschiedenen Vorstellungen und verhärteten Fronten. Es geht um Immissionsschutz, Schleppgauben und die komplizierte Frage, warum hier nichts vorangeht. Georg Schuster spricht von Knebelverträgen, Hinhalterei und "Schikane". Eine Beherbergung in der zugestandenen Größe lohne sich gar nicht. "Wir müssen auf die Interessen Tutzings schauen", sagt Bürgermeisterin Marlene Greinwald. Und: "Wir lassen uns nicht erpressen."

Früher heizten hier Politgrößen wie Erwin Huber beim CSU-Neujahrsempfang dem Publikum ein. (Foto: Franz-Xaver Fuchs)
Heute herrscht hier das Stillleben. (Foto: Georgine Treybal)

Drinnen im alten Festsaal hängen immer noch die alten Chandeliers von der Decke. Wo früher der damalige CSU-Wirtschaftsminister Erwin Huber den angezählten Ministerpräsident Stoiber verteidigte, brasilianische Besucherkinder Schorlen aus kleinen Massen tranken und Bürger über die Ortsmitte berieten, ist heute eine Rumpelkammer. Umzugskisten, Möbel unter Abdeckplanen, ein Baugerüst steht mitten im Raum.

Die Küche nebenan, wo sie früher die Schnitzel panierten, ist verdreckt, auf dem Boden liegen Styropor und Folie, Kabel ragen hervor. Es hat etwas Fluchtartiges, wie die letzten Pächter im Januar 2012 den Gasthof hinterließen. Er gehörte damals noch dem Kloster Andechs. Die Sanierung wäre nicht billig gewesen, da lag ein Verkauf nahe.

Die Küche wurde verdreckt zurückgelassen. (Foto: Georgine Treybal)
In den Zimmern macht sich der Schimmel breit. (Foto: Georgine Treybal)
Teils kommt die Decke runter. (Foto: Georgine Treybal)

Die Gemeinde zögerte, der damalige Liegenschaftsreferent Schuster kaufte den Andechser Hof - "bevor noch irgendein Investor von außen kommt", sagt der Gemeinderat. Noch so ein Konfliktpunkt. Elf Jahre später hat der Plan für einen neuen alten Andechser Hof fast alle lokalpolitischen Hürden genommen, doch die Vorstellungen klaffen auseinander.

Die Gemeinde setzt auf eine Renaissance des früheren Andechser Hofs, mit Gasthof, Mitarbeiter- und Gästezimmern - nicht zuletzt, um dem chronischen Mangel an Wohnungen und Gästezimmern zu begegnen. Die Schusters hätten gerne mehr Freiheiten bei der Gestaltung gehabt, etwa mit einem Geschoss mehr und privaten Wohnungen nicht nur im Hinterhaus. Die Gemeinde indes bestand dafür auf vertraglichen Zusicherungen, nicht zuletzt, um Lärmklagen vorzubeugen und so die Wirtschaft zu schützen. Die Schusters wiederum lehnen das ab. "Jeder könnte hier klagen", sagt Georg Schuster. Man wolle nichts Gutes verhindern, sagt Bürgermeisterin Greinwald, aber in dem Bereich könne man nicht auf gut Vertrauen machen. "Er kannte die Vorstellungen der Gemeinde sehr genau."

Früher kamen die Tutzinger hier im Biergarten zusammen. (Foto: Georgine Treybal)
So sieht das vom Stadtplaner Florian Burgstaller erarbeite Nutzungskonzept für den "Andechser Hof" aus. (Foto: Florian Burgstaller)

Diese hat ja schlechte Erfahrungen gemacht. Bereits beim Seehof hatte sie sich verzockt. Ein Investor hatte zwar Wohnungen errichtet. Das von der Gemeinde gewünschte Hotel aber steht bis heute nicht. Denselben Fehler wiederholen mag hier niemand. "Wir haben Jahre geredet und müssen auf Tutzing schauen", sagt Greinwald. "Es kam immer wieder irgendwas dazu", sagt Schuster.

Es geht hoch im Andechser Hof. Es ist, als wären die letzten Pächter erst gestern ausgezogen. Auf dem Boden sind Schuhe verteilt, in einem Regal liegen Rasierklingen, "Hier wohnt Lisa", steht auf einem Diddl-Sticker an einer Kinderzimmertür. Die Zimmer sind voller Schimmel, in manchen kommt bereits die Decke runter. Das Dach ist undicht, Feuchtigkeit dringt in die Räume. Schuster deutet auf einen Raum, in dem die halbe Decke herabgesunken ist. "Schlimm", sagt er.

2014 protestieren Tutzinger mit einer Lichterkette für den Erhalt des Andechser Hof. Mittlerweile ist klar: Um einen Abriss kommt man nicht herum. (Foto: Georgine Treybal)

Abreißen dürften die Schusters nicht. Der Status quo ist rechtlich eingefroren. "Veränderungssperre", heißt das im Fachjargon. Die Angst war groß, dass hier jemand Fakten schafft - und die Schusters wollten, dass etwas vorangeht. Die Sperre gilt nur noch bis zum Sommer, der Gemeinderat steht unter Druck. Ist der Bebauungsplan bis dahin nicht durch, dürften die Schusters ihr Areal verhältnismäßig frei gestalten. Die Gemeinde will das verhindern.

Schuster deutet auf einen Parkettboden, der sich wellt. Darunter liege Teppich, darunter Holzboden - alles übereinandergeschichtet. Alles "billig, billig, billig", sagt er. Billig ist ihm das ganze Unterfangen nicht gekommen. Er habe Haus und Grundstück verkauft, sagt er, und 150 000 Euro in die Planung gesteckt. Während die Schusters und die Gemeinde in einem eigenen Arbeitskreis um Firsthöhen, Nutzungsrechte und Lärmschutz rangen, machte Kornelia das Wirtsgeschäft zum Existenzrisiko. Die Kosten für Bau und Kredite explodierten. "Schade", sagt Kornelia Schuster. "Dabei bräuchte Tutzing unbedingt wieder einen Gasthof", sagt Georg Schuster.

Im Hinterhaus wohnten zwischenzeitlich Asylbewerber. Seit mehreren Jahren steht es nun leer. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Georg Schuster steht jetzt draußen in der Kälte. Er schaut über den früheren Biergarten. Vielleicht kommt ja auch alles ganz anders. Er hat das Areal als Standort für Asyl-Container ins Spiel gebracht, über deren Standort an diesem Dienstag in einer Sondersitzung des Gemeinderats abgestimmt wird. Es ist eine unwahrscheinliche Lösung, eine Wiederbelebung des einstigen Ortstreffs würde so noch unsicherer.

Ob die Schusters gegen den Plan klagen werden, haben sie noch nicht entschieden. Ansonsten, sagt Georg Schuster, sei von seiner Seite in den nächsten fünf Jahren jetzt erstmal gar nichts geplant außer ein Abriss. Bebauungspläne müssen auch nicht umgesetzt werden - dazu gibt es keine Pflicht. Aber einfach weiter sich selbst überlassen? "Tut mir ja nicht weh", sagt er. Es sei das Ende einer Vision, sagt Kornelia Schuster. "Und das tut weh."

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