Literatur und Kolonialismus:Ironie der Geschichte

Literatur und Kolonialismus: Sein kunstvolles Debüt hat Aufsehen erregt: Mohamed Mbougar Sarr.

Sein kunstvolles Debüt hat Aufsehen erregt: Mohamed Mbougar Sarr.

(Foto: Philippe Rey)

Mohamed Mbougar Sarr, für sein virtuoses Romandebüt in Frankreich mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet, liest im Literaturhaus München - und liefert einige Handreichungen, wie sich sein Werk am besten entschlüsseln lässt.

Von Antje Weber

"Versuche nie zu sagen, wovon ein großes Buch handelt. Wenn du es dennoch tust, ist die einzig mögliche Antwort: ,von nichts'." Wie also soll man Mohamed Mbougar Sarrs Roman "Die geheimste Erinnerung der Menschen" (Hanser) beschreiben? Glücklicherweise gibt der Schriftsteller gleich nach diesen Sätzen doch einen Hinweis darauf, wie es gehen könnte. Denn: "Ein bedeutendes Buch erzählt immer nur von nichts, und doch steckt alles in ihm."

Dabei könnte man es nun belassen und nur die Empfehlung anschließen: bedeutendes Buch, Lesung des Autors lohnt einen Besuch. Zwischen nichts und allem ist aber vielleicht noch ein wenig Spielraum für ein paar ergänzende Hinweise. Dass dieses Debüt ein großer Wurf ist, beglaubigt schon der wichtigste Literaturpreis Frankreichs, der Prix Goncourt, mit dem der Roman 2021 ausgezeichnet wurde. Zur Komplexität und stets mitschwingenden Ironie des kunstvoll verschachtelten, in jeder Hinsicht beeindrucken wollenden Buches gehört jedoch auch, dass es die Bedeutung solcher Preise gleichzeitig konterkariert.

Das hat mit seinem, pardon, Inhalt zu tun: Sarr, 1990 in der senegalesischen Hauptstadt Dakar geboren, hat damit eine große Hommage an Yambo Ouologuem geschrieben, dem er das Buch auch gewidmet hat. Ouologuem war ein aus Mali stammender Schriftsteller, der mit seinem ersten Roman 1968 den ebenfalls sehr wichtigen französischen Prix Renaudot gewann, sich angesichts von rassistisch unterfütterten Vorwürfen bis hin zum Plagiat allerdings für immer zurückzog.

Sarr nun fiktionalisiert diese wahre Geschichte. Er gibt dem Kollegen den Namen T.C. Elimane und inszeniert sein eigenes Werk als große Suche nach dem geheimnisumwitterten Autor. Das gibt ihm Gelegenheit, die "ganze Trostlosigkeit der Entfremdung" zu schildern, die ein afrikanischer Schriftsteller in Frankreich erlebt. Eine Entfremdung, die zwar in die Zeiten des Kolonialismus zurückreichen mag, die literarischen Zirkel in Paris jedoch bis heute prägt: Soll man im "afrikanischen Ghetto" bleiben - oder ist "der Ritterschlag durch die französische Literaturszene" eben doch der größte Traum?

"Ritterschlag durch die französische Literaturszene"

Sarr jedenfalls hat diesen Ritterschlag erhalten. Bei der deutschen Buchpremiere im Literarischen Colloquium Berlin Ende November erlebte man einen so bescheiden wie brillant wirkenden jungen Mann; neben ihm saßen seine Übersetzer Holger Fock und Sabine Müller, die von der "Vielfalt an Stilmitteln, Tonlagen, Registern" und Stimmen des Buches "mitgerissen" waren und doch vor ungewohnten Fragen standen wie: "Welche Geräusche machen Krokodile?" (Sie knurren, so ihre Antwort.) Denn Sarr zieht alle Register modernen Schreibens, setzt höchst elaborierte Passagen neben Sexfantasien, baut krimi-ähnlich Spannung auf und vergisst natürlich die im Afrika-Kontext obligatorische schwarze Magie nicht. Damit nicht genug, wird dies alles dargeboten von manchmal fast unmerklich wechselnden Ich-Erzählenden.

Kurzum, das Buch ist eine Herausforderung - und, so man sich darauf einlässt, ein Lesevergnügen der besonderen Art. Am besten ist es wohl, sich locker zu machen und einer weiteren Empfehlung des Autors zu folgen: "Das gesamte Bild lässt sich nicht überblicken", schreibt Sarr, und das darf wohl nicht nur für die Suche nach T.C. Elimane, sondern auch für den Roman selbst gelten. "Man muss seinen Sinn, seine Schönheit oder seine Hässlichkeit, sein Rätsel und den Schlüssel zu seinem Rätsel in einem Detail finden." Das ist alles.

Lesung von Mohamed Mbougar Sarr, Mittwoch, 8. Februar, 19 Uhr, Literaturhaus München, Salvatorplatz, literaturhaus-muenchen.de

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