Schulen im Landkreis Dachau:"Meine Kollegen kommen oft auf dem Zahnfleisch daher"

Schulen im Landkreis Dachau: Wenn Krankmeldungen von Lehrern hereinflattern, müssen sie am Dienstplan improvisieren: Das macht den Leitern der Grund- und Mittelschule Hebertshausen Christian Deusel und Sylvia Lachner immer mehr Probleme.

Wenn Krankmeldungen von Lehrern hereinflattern, müssen sie am Dienstplan improvisieren: Das macht den Leitern der Grund- und Mittelschule Hebertshausen Christian Deusel und Sylvia Lachner immer mehr Probleme.

(Foto: Toni Heigl)

Der Lehrermangel zeigt sich auch im Landkreis: An der Grundschule Petershausen mussten zuletzt Mütter in den Klassen einspringen. Mehr als der Kernunterricht könne nicht gestemmt werden, kritisieren Schulleiter und sehen die Vorschläge des Freistaats zur Verbesserung der Lage skeptisch.

Von Carlotta Böttcher und Anna Schwarz, Dachau

Weil sechs Lehrerinnen und Lehrer gleichzeitig erkranken, springen kurzerhand Mütter im Klassenzimmer ein, sie basteln mit den Kindern und lesen ihnen Geschichten vor. Was klingt wie ausgedacht, ist im vergangenen Dezember an der Grundschule Petershausen tatsächlich so passiert. Denn: Auch im Landkreis Dachau herrscht akuter Lehrermangel.

Die Petershausener Grundschulleiterin Alexandra Wolff will das nicht länger hinnehmen und fordert: "Wir brauchen mehr mobile Reserven." Gemeint sind Lehrkräfte, die an Schulen einspringen, wenn sich dort Lehrer krankmelden. Das Schulamt koordiniert deren Einsatz, und die stellvertretende Leiterin Petra Fuchsbichler gibt zu: "Da es nahezu keine mobile Reserven mehr gibt, stehen klassenübergreifende Lösungen an der Tagesordnung." Das heißt: Wenn ein Lehrer oder eine Lehrerin krank ist, müssen Kollegen deren Klasse mit unterrichten.

Auch an der Grundschule Petershausen ist die Überlastung im Lehrerkollegium deshalb hoch, sagt Rektorin Wolff: "Krankheitsfälle müssen Kollegen auffangen und sie kommen deshalb oft auf dem Zahnfleisch daher." Auch als Rektorin sei sie eine "Springerlehrkraft", die immer wieder Vertretungsstunden übernehme - obwohl sie im Büro genug zu tun hätte, etwa Elternbriefe formulieren oder die Schuleinschreibung organisieren.

Auch in diesem Jahr müssen wieder AGs ausfallen

Außerdem kritisiert sie, dass der Kernunterricht an ihrer Grundschule zwar stattfinden kann, viel mehr aber schon lange nicht mehr drin sei. Bereits im vergangenen Jahr wurden Arbeitsgemeinschaften, wie die AG Schulgarten oder Theater, gestrichen und werden auch heuer nicht angeboten. Wolff findet das schade, denn: "In den AGs konnten die Lehrer einen guten Draht, etwa zu schwierigen Klassen, aufbauen."

Grund-, Mittel- und Förderschulen sind deutschlandweit besonders vom Lehrermangel betroffen. Um das Problem zu lindern, schlug die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) zuletzt vor, die Teilzeitregeln für Lehrkräfte zu verschärfen und deren Unterrichtsverpflichtung zu erhöhen sowie Lehrkräfte im Ruhestand zu reaktivieren. Vor Kurzem hat Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) außerdem eine bessere Bezahlung angekündigt. Denn derzeit verdienen angehende Grund- und Mittelschullehrer noch etwa 664 Euro weniger als ihre Kollegen an Realschulen und Gymnasien. Künftig sollen angehende Lehrer fast alle das gleiche Einstiegsgehalt A13 bekommen. Doch Alexandra Wolff bezweifelt, dass die Bezahlung tatsächlich der Hauptgrund für den Lehrermangel ist. Sie glaubt vielmehr, dass es für viele Abiturienten eher abschreckend sei, dass sie als Lehrerin oder Lehrer bayernweit versetzt werden können - während Partner sowie Freundeskreis in der Heimat bleiben.

Ähnlich wie Wolff bedauert auch Christian Deusel, Leiter der Grund- und Mittelschule Hebertshausen, dass "genau das, was das Schulleben interessant macht" aufgrund des Lehrermangels nicht mehr möglich sei. Schon seit Jahren finden an seiner Schule keine Arbeitsgemeinschaften wie Chor, Werken oder "Schulhaus gestalten" mehr statt, weil Lehrerinnen und Lehrer fehlen. Und auch er bemängelt, dass es zu wenige mobile Reserven gebe: Wenn Lehrkräfte an seiner Mittelschule erkranken, müssen Kollegen zwei Klassen unterrichten oder Förderstunden ausfallen, wie "Deutsch für Ausländer". Doch an der Mittelschule sei der Lehrermangel auch hausgemacht, kritisiert Deusel, weil Lehrkräfte hier bislang weniger verdienen als etwa an der Realschule oder am Gymnasium.

"Das nagt am Personal, und manche Lehrer ziehen die Konsequenz."

Die Situation an den Gymnasien ist zwar nicht ganz so angespannt, aber auch hier macht sich der Lehrermangel bemerkbar. Laut Thomas Höhenleitner, Schulleiter des Gymnasiums Markt Indersdorf, ist es es schwierig, Aushilfslehrkräfte zu finden, also Vertretungen für längere Zeit, wenn kurzfristig jemand ausfällt. "Der Markt ist leergefegt." Am seinem Gymnasium unterrichten derzeit 109 Lehrerinnen und Lehrer etwa 1200 Schülerinnen und Schüler.

Laut Schulamt sind an den Landkreisschulen derzeit 793 Lehrerinnen und Lehrer im Einsatz - ihnen gegenüber steht eine Schülerzahl von 9398. Von den Lehrkräften arbeiten 249 in Teilzeit, also etwa 31 Prozent. Auch am Indersdorfer Gymnasium arbeitet rund ein Drittel der Lehrkräfte in Teilzeit. Zum Vorschlag der SWK, die Teilzeitregeln zu verschärfen, sagt Höhenleitner, dass sich Lehrerinnen und Lehrer bewusst für Teilzeit entschieden hätten - sei es wegen der Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen oder aus anderen Gründen. Würde nun eine Mindestlehrzeit vorgegeben werden, könne "das auch nach hinten losgehen", eine Lehrkraft würde sich vielleicht gar nicht mehr einstellen lassen.

Schulen im Landkreis Dachau: Eine mögliche bayernweite Versetzung schrecke Abiturienten ab, Lehrerin oder Lehrer zu werden, sagt Alexandra Wolff von der Grundschule Petershausen.

Eine mögliche bayernweite Versetzung schrecke Abiturienten ab, Lehrerin oder Lehrer zu werden, sagt Alexandra Wolff von der Grundschule Petershausen.

(Foto: Toni Heigl)
Schulen im Landkreis Dachau: Hofft auf eine bessere Bezahlung für angehende Lehrerinnen und Lehrer: Christian Deusel leitet die Grund- und Mittelschule Hebertshausen.

Hofft auf eine bessere Bezahlung für angehende Lehrerinnen und Lehrer: Christian Deusel leitet die Grund- und Mittelschule Hebertshausen.

(Foto: Toni Heigl)
Schulen im Landkreis Dachau: Wenn Teilzeitlehrkräfte mehr arbeiten sollen, könne das auch nach hinten losgehen, sagt der Leiter des Indersdorfer Gymnasiums, Thomas Höhenleitner.

Wenn Teilzeitlehrkräfte mehr arbeiten sollen, könne das auch nach hinten losgehen, sagt der Leiter des Indersdorfer Gymnasiums, Thomas Höhenleitner.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Der Schulleiter gibt außerdem zu bedenken, dass sich Lehrkräfte zunehmend für eine Teilzeitanstellung entscheiden, weil sie das normale Arbeitspensum von 23 Unterrichtsstunden plus Vorbereitung und Korrektur nicht mehr leisten können. Die Belastungen seien über den Unterricht hinaus nicht weniger geworden - etwa durch eine inhomogenere Schülerschaft und den steigenden Bedarf an individueller Förderung infolge der Pandemie: "Das nagt am Personal, und manche Lehrer ziehen die Konsequenz."

Auch in puncto Quereinstieg hat Höhenleitner Bedenken: "Manche Leute haben Schwierigkeiten, in das neue Berufsfeld hineinzufinden, in Einzelfällen brauchen sie viel Hilfe und Unterstützung." Man müsse dann abwägen, ob man man den Unterricht ausfallen lasse oder in die Betreuung der Quereinsteiger investiert. Er entscheide sich in der Regel für die zweite Option - sofern "man solche Leute noch findet".

Außerdem haben sich zwei seiner Lehrer dafür entschieden, sich zum Informatik-Lehrer nachqualifizieren zu lassen: "Einer der Lehrer hat davor katholische Religion und Deutsch unterrichtet, in diese völlig neue Welt musste er ganz neu einsteigen." Höhenleitner ist froh, dass sein Kollege das gemacht hat, aber er hat sich eben auch freiwillig dafür entschieden. Zwingen kann man niemanden.

Peter Mareis, Schulleiter des Josef-Effner-Gymnasiums Dachau, ist ebenfalls skeptisch gegenüber dem SWK-Vorschlag. "Die Lehrer haben einen Grund, warum sie Teilzeit unterrichten", es sei schließlich ein enorm fordernder Beruf. Und: "Wir haben immer mehr junge Lehrkräfte, die sagen, wenn ich meinen Beruf gut machen mag, geh ich am Anfang lieber mit der Zeit runter." Das Attraktive am Lehrerberuf sei ja, dass man ihn "hervorragend mit einer Familie verbinden kann" und in Eltern- und Teilzeit gehen könne. Auch das Reaktivieren von Ruheständlern sei nichts, was man institutionalisieren könne, so Mareis.

Pensionierter Lehrer will sich nicht mehr "in den Schuljahresrhythmus hineinpressen"

Für Ulrich Rauhut aus Röhrmoos ist es jedenfalls keine Option. 2011 ist der einstige Mathe- und Physiklehrer in Rente gegangen. Doch vor rund zwei Jahren fragten den heute 74-Jährigen ehemalige Kollegen vom Josef-Effner-Gymnasium an, ob sich Rauhut nicht vorstellen könne, wieder an die Schule zurückzukehren. Das war zu Beginn der Pandemie aber schon da, sagte Rauhut: "Ich hatte keine Lust, in die Schule zu gehen." Auch jetzt wolle er sich nicht mehr "in den Schuljahresrhythmus hineinpressen", mit Lehrerkonferenzen, Schulaufgaben korrigieren und dem frühen Aufstehen - obwohl er noch fit im Kopf sei und ihm die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern immer Spaß gemacht habe. Aber jetzt, im Ruhestand engagiert er sich lieber bei den Grünen und ist Teil des Arbeitskreises Windenergie im Landkreis Dachau. So langweilig, dass es ihn an die Schule zurückzieht, wird ihm also so schnell nicht.

Die Vorschläge der SWK bewertet Rauhut unterschiedlich: Die Idee, Lehrer aus dem Ruhestand zurückzuholen, findet der ehemalige Lehrer grundsätzlich legitim: "Man muss alles probieren, damit nicht irgendwann 50 Kinder in einer Klasse sitzen oder Kinder zurückgelassen werden." Außerdem mache es Sinn, Quereinsteiger für den Lehrerberuf zu gewinnen. Hier dürfe es aber nicht nur um ihre Studiumsnoten gehen, sondern die Quereinsteiger müssten Verständnis für die Kinder entwickeln und empathisch handeln, wenn die Schüler etwas nicht verstehen, so Rauhut.

Von dem Plan, die Teilzeitregeln für Lehrer zu verschärfen, hält er indes wenig. Schließlich hätten diese Lehrkräfte gute Gründe dafür, Teilzeit zu arbeiten, etwa weil sie sich um ihre Kinder kümmern müssten. Um den Lehrermangel zu bekämpfen, gebe es daher keine kurzfristige Lösung, sagt Rauhut. Um aber zumindest Anreize für den Beruf zu schaffen, schlägt er Zuschüsse für angehende Lehrerinnen und Lehrer während des Studiums vor.

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