Flucht und Migration:"Wir könnten da auch eine Schickimicki-Wohnanlage hinstellen"

Flucht und Migration: "Schwester Ruth" ist nur noch wenige Tage Priorin im Tutzinger Kloster der Missions-Benediktinerinnen. Insgesamt 56 Schwestern leben in Tutzing. Am Freitag stimmten sie in geheimer Wahl für Asylcontainer auf ihrem Grundstück.

"Schwester Ruth" ist nur noch wenige Tage Priorin im Tutzinger Kloster der Missions-Benediktinerinnen. Insgesamt 56 Schwestern leben in Tutzing. Am Freitag stimmten sie in geheimer Wahl für Asylcontainer auf ihrem Grundstück.

(Foto: Bruder Cassian)

Das Tutzinger Grundstücksroulette für Asylcontainer schien verfahren, da sprangen die Klosterschwestern in die Bresche. Wieso sie das taten, erklärt Priorin Ruth Schönenberger.

Interview von Viktoria Spinrad

Die Missions-Benediktinerinnen in Tutzing haben in diesen Tagen fast schon so etwas wie Heldenstatus in der Gemeinde. Ihren Parkplatz vor ihrem Kloster haben sie als Standort für eine Container-Unterkunft für Flüchtlinge angeboten und damit einen Ausweg aus einem Dilemma ermöglicht, nachdem bisher ein Minigolfplatz in der Nähe eines Schutzhauses und die abgelegene BRK-Alm als Standorte im Gespräch waren. Entsprechend viel Applaus gab es für die Schwestern zuletzt im Gemeinderat. Applaus? Priorin Ruth Schönenberger klingt da eher pragmatisch.

SZ: Viele waren gegen ein Containerdorf vor ihrer Haustür, Sie nicht. Wieso?

Ruth Schönenberger: Klar, wir könnten da auch eine Schickimicki-Wohnanlage hinstellen. Aber als Bürgermeisterin Marlene Greinwald und der Landrat auf uns zugekommen sind, war klar: Wenn es überall immer nur "Nein" heißt, ist das auch keine menschliche Lösung. Hier haben die Menschen eine sinnvolle Anbindung und etwas Platz zum Spielen. Oben auf dem Berg hingegen wäre es doch insbesondere für Frauen mit Kindern sehr beschwerlich.

Doch auch bei Ihnen dürfte es doch Bedenken gegeben haben, sonst hätten Sie den Standort auch von sich aus einbringen können.

Natürlich. Wo Menschen eng beieinander sind, können Probleme entstehen. Das ist uns auch bewusst. Vielleicht bekommen wir hier Krach vor die Tür. In den Gesprächen hat uns überzeugt, dass die Container mittlerweile vergleichsweise viel Privatsphäre bieten. Sollten sich bestimmte Menschen oder Gruppen nicht vertragen, können sie umgesiedelt werden. Jugendliche machen manchmal auch Randale. Wir dürfen nicht vergessen: Es geht hier um Menschen, nicht um irgendwelche Möbelstücke.

Eine Gemeinderätin warnte vor Morden wie in Ludwigshafen und Würzburg. Im Internet hielt einer dagegen, hier entstehe ja keine JVA für Gewalttäter mit offenem Vollzug.

Es ist wirklich schlimm, wie schnell die Stimmung ins Aggressive gewechselt ist. Dabei ist es doch der Westen, der viele Probleme mit verursacht hat, welche die Menschen in anderen Teilen der Welt zur Flucht bewegen. Ich kann hier nicht für Seenotrettung spenden und gleichzeitig sagen: Bitte keine Container vor meiner Haustür. Das passt nicht zusammen. Die Menschen, die kommen, sind erst einmal in Not, nicht Täter. Letztens habe ich einen Podcast gehört, wie es zurzeit an der Grenze zwischen Türkei und Bulgarien abgeht. Da werden die Geflüchteten geschlagen, müssen sich nackt ausziehen. Das ist doch sadistisch.

Flucht und Migration: Wo derzeit Mitarbeiter des Krankenhaus parken, soll in den nächsten Monaten ein Containerdorf für Geflüchtete entstehen. Die Parkplätze müssen in der Umgebung umverteilt werden.

Wo derzeit Mitarbeiter des Krankenhaus parken, soll in den nächsten Monaten ein Containerdorf für Geflüchtete entstehen. Die Parkplätze müssen in der Umgebung umverteilt werden.

(Foto: Arlet Ulfers)

Die Politik der Arbeitserlaubnis wurde liberalisiert; nach drei Monaten können die Menschen einen Antrag stellen. Welche Rolle spielt das aus Ihrer Sicht?

Das ist ganz wichtig. Wenn die Menschen nur in Containern sitzen und die Wand anstarren, werden sie doch verrückt. Der Mensch braucht eine Aufgabe; da ist es egal, ob man Deutscher oder Afghane ist. Zum Glück haben wir in Tutzing einen sehr engagierten Helferkreis und ein gutes Miteinander. Im Lateinischen gibt es zwei Begriffe. Hostis heißt Feind, hospes Gast, Freund. Beides liegt also nahe beieinander. Wenn wir die Möglichkeiten suchen und nicht die Bedenken, geht vieles besser.

Viele in der Mission haben bereits Erfahrungen mit Geflüchteten. Inwiefern wollen sich die Klosterschwestern im Containerdorf vor ihrer Haustür einbringen?

Erst einmal stellen wir nur ein Grundstück zur Verfügung, wir sind ja nicht der Betreiber. Dann müssen wir schauen, wer welche Kapazitäten hat. Da wird sicher das ein oder andere entstehen. Auch, wenn es um Hilfe bei der Bürokratie geht. Da tut man sich ja schon als Einheimischer schwer. Aber da hat das Landratsamt zugesichert, dass die Leute Hilfestellung bekommen.

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