Aktuelle Kritik:Täuschend echt

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Wie immer mit großem Körpereinsatz: Sigi Zimmerschied bei der Premiere seines neuen Programms "Dopplerleben". (Foto: Oliver Hochkeppel)

Sigi Zimmerschied spielt im Lustspielhaus einen von der Wahrheit verführten Fälscher.

Von Oliver Hochkeppel

Eigentlich wollte Sigi Zimmerschied kein Kabarettprogramm mehr an einer einzigen Figur aufhängen. Seine Rolle als Kammerjäger in "Heil" vor vier Jahren hielt er für nicht mehr steigerungsfähig. Aber seiner Bestimmung kommt der Miterfinder des Typenkabaretts nicht aus. Wieder einmal drängte sich beim Schreiben eine Figur auf für Zimmerschieds mit aller körperlichen Wucht inszenierten Abstecher in die Abgründe des Allzumenschlichen.

Und so spielt der 69-Jährige jetzt im neuen Solo "Dopplerleben" den Fälscher Hans Doppler. Den letzten, leider abgewirtschafteten Spross einer Dynastie: Hatten seine Vorfahren sich noch mit Großtaten wie dem Leichentuch Jesu oder der Entnazifizierung von NS-Schergen den Ruhm der Zunft erwerben können, steht er mit seinen in einer Vertretermappe sortierten Kleinfälschungen von der Bachelorurkunde bis zum Impfausweis auf verlorenem Posten - auch mangels "richtiger Katastrophen" und der Billig-Konkurrenz aus China. Schlimmer noch, auch das Weibliche ist ihm dazwischen gekommen.

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Nachdem in "Heil" Gewalt das Thema war, und zuletzt im Best-of "Maskenball" die Vereinzelung durch die Pandemie, ist es - wie man nun bei der Premiere im Lustspielhaus erleben konnte - die Frage nach Lüge und Wahrheit, die den 69-Jährigen umtreibt. Oder besser die dahinterstehende Frage, ob der Mensch von Grund auf schlecht, gut oder ein offener Entwurf ist.

Zimmerschied spielt das - erstmals - an einer Liebesgeschichte durch: Sein Fälscher, der nur die Lüge kennt, trifft auf eine dem Wahren verpflichtete Klima-Aktivistin und fühlt sich selbst von einer geradezu erotischen Sehnsucht nach Wahrheit erfasst. Das kann natürlich nicht gut gehen, aber das überraschende Ende hinterlässt einen diesmal etwas ratlos. Vielleicht, weil Zimmerschied ausnahmsweise in der neutralen Ecke zu stehen scheint. Bei denen, die den Menschen als Entwurf verstehen (noch bis 27. Februar).

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