Inflation:Verderbliches Geld

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Sebastian Teupe erklärt eindrucksvoll, was die Inflation der Jahre 1914 bis 1923 für die deutsche Geschichte bedeutete. Und wie sich die Umlaufgeschwindigkeit immer weiter erhöhte, sodass die Menschen buchstäblich im Laufschritt ihr Geld ausgeben mussten.

Von Nikolaus Piper

Manche Historiker halten die Hyperinflation des Jahres 1923 für das große Trauma der deutschen Geschichte. Was die Menschen damals nach dem Ersten Weltkrieg erlebt hätten, sei von Generation zu Generation weitergegeben worden und könne bis heute deutsche Politik und ihre Fixierung auf stabiles Geld erklären. Die These wird heute meist verworfen, schon allein deshalb, weil Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg viel größere Traumata waren als die Zerstörung des Geldes. Trotzdem ist es wichtig zu verstehen, was vor hundert Jahren passiert ist. Wieso konnte der Irrsinn so lange nicht gestoppt werden, welche Lehren kann man daraus für die Geld- und Finanzpolitik ziehen?

Viele Bücher sind mittlerweile zum Schicksalsjahr 1923 erschienen. Aus ökonomischer und wirtschaftshistorischer Sicht verdient vor allem der Band "Zeit des Geldes" von Sebastian Teupe Beachtung. Der Autor, Juniorprofessor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Bayreuth, zeichnet detailliert den Weg Deutschlands in die Hyperinflation nach - vom Beginn der Geldentwertung zu Beginn des Ersten Weltkriegs im August 1914 bis zur Einführung der Rentenmark 1923. Teupe sammelte eine Fülle von Material zum Alltag der Deutschen in der Inflationszeit und diskutiert die schwierige Frage, wer Gewinner und Verlierer der Geldvernichtung waren.

Schwache Regierungen schafften keine Reform

Trotz Krieg, Niederlage und den drückenden Reparationen, die Deutschland im Versailler Vertrag 1919 auferlegt wurden, wäre der Weg in die Hyperinflation anfangs durchaus zu vermeiden gewesen. Dass dies nicht geschehen ist, hatte auch damit zu tun, dass der deutschen Republik die Unterstützung weiter Teile der Bevölkerung fehlte. Deren Feinde von der extremen Rechten hatten leichtes Spiel. Die Angst vor diesen Feinden verhinderte, dass der Reichshaushalt durch Steuern "in einem großen Wurf" (Teupe) solide finanziert werden konnte. Die schwachen Regierungen in Berlin sahen keinen anderen Ausweg, als die Notenpresse anzuwerfen, um zum Beispiel das Defizit der Reichsbahn und die Subventionierung von Lebensmitteln zu bezahlen. Wie berechtigt die Angst war, zeigte sich am 26. August 1921, als der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger von Angehörigen der Terrororganisation Consul ermordet wurde. Erzberger hatte als Reichsfinanzminister versucht, das deutsche Steuersystem von Grund auf zu modernisieren. Er führte ein "Reichsnotopfer" ein, das Vermögensbesitzer zu zahlen hatten, und setzte die erste Einkommensteuer der deutschen Finanzgeschichte durch. Erzbergers progressiver Steuertarif von 1920 besteht in seiner Struktur bis heute.

Bittere Realität: Ein Mann steht vor dem Berliner Schlosstheater und informiert sich über die Preise. Statt Geld werden für die Theaterkarten Naturalien verlangt: Der billigste Platz kostet zwei Eier, der teuerste ein Pfund Butter. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Am 24. Juni 1922 schließlich wurde der liberale Außenminister Walter Rathenau in Berlin ermordet, die Täter waren ebenfalls Angehörige der Organisation Consul. Danach beschleunigte sich der Weg in den Abgrund. Deutschland verlor jede Kreditwürdigkeit im Ausland. Im Januar 1923 besetzten französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet, um die Abgabe von Reparationen zu erzwingen. Zwei Millionen Arbeiter traten daraufhin in den Streik. Die Reichsregierung zahlte deren Lohn weiter. Das Geld gab es jedoch real gar nicht; es musste gedruckt werden, wodurch sich die Inflationsspirale immer schneller drehte. Am Ende kosteten ein Kilo Kartoffeln 90 Milliarden, ein Ei 320 Milliarden und ein Dollar 4,2 Billionen Mark.

Rasanter Kaufkraftverlust innerhalb von Wochen und Tagen

Was die Hyperinflation (definiert als Geldentwertung von mehr als 50 Prozent im Monat) für die Menschen bedeutete, beschreibt Teupe anhand reichen Quellenmaterials. Er zeichnet nach, was mit einer Banknote über 100 000 Mark (sie ist auf dem Einband des Buches abgebildet) hätte passiert sein können: Der Geldschein verließ am 31. Januar 1923 die Reichsdruckerei in Berlin. Am 4. Mai landete er in der Lohntüte eines Arbeiters, dessen Familie von der Summe gerade noch ihr wöchentliches Existenzminimum bestreitet. Der Arbeitgeber zahlte den Lohn zweimal die Woche aus, damit die Arbeiter mit der Geldentwertung Schritt halten konnten. Am Ende landete er bei einem Bauern, der am 11. Mai seinen Kredit bei einer Raiffeisenbank in Bayern tilgte - ein gutes Geschäft für ihn und ein miserables für die Bank. Die 100 000-Mark-Note hatte da nur noch ein Drittel ihrer ursprüngliche Kaufkraft.

In den Inflationsjahren merkten die Menschen auf brutale Weise, was es bedeutet, wenn Geld nicht mehr zur Aufbewahrung von Werten taugt, sondern eine verderbliche Ware geworden ist, die man so schnell wie möglich loswerden muss. Die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes steigt immer weiter bis zu einem Maximum. Dieses Maximum, so beschreibt es Teupe, wird vorgegeben durch das Tempo, mit dem Waren transportiert werden können, der Schrittgeschwindigkeit der Konsumenten, wenn sie einkaufen, und der Arbeitskraft der Kassenverwaltungen. Für die Gesellschaft ändert sich das Verhältnis von Zeit und Wert. Geld zu sparen, um Zukunftspläne zu verwirklichen, wird sinnlos. Alles spielt sich im Jetzt ab, zumindest für die Opfer der Geldentwertung.

Eine Folge der Not war mehr Kriminalität, vor allem mehrten sich Eigentumsdelikte. Es gab auch mehr Suizide und mehr Auswanderung aus Deutschland. Wichtig war aber nicht nur die Not selbst, sondern die Wahrnehmung der Not. Auch vor Beginn des Ersten Weltkriegs hatte es in Deutschland bittere Armut gegeben. In den letzten Jahren des Kaiserreichs war jedoch der durchschnittliche Lebensstandard kontinuierlich gestiegen. Arme sahen eine realistische Chance auf ein besseres Leben in der Zukunft. Der Krieg beendete diesen Trend, er machte Deutschland insgesamt ärmer. Individuelle Armut bedeutete in diesem Umfeld meist Hoffnungslosigkeit.

Wer waren die Gewinner, wer die Verlierer der Hyperinflation? Teupe äußert sich skeptisch über das, was er die "buchhalterische" Untersuchung der Folgen für verschiedene soziale oder ökonomische Gruppen nennt. Die Zuordnung der individuellen Folgen sei wesentlich komplexer. Kein Zweifel besteht allerdings daran, dass die Ärmsten der Gesellschaft am schlimmsten betroffen waren; Kleinstverdiener, Arbeitslose, Kleinrentner, Kinder und Kranke.

Gewinner gab es einige, sogar der Staat war einer davon

Gewinner der Inflation dagegen waren Schuldner, Bezieher fester Einkommen und Inhaber von Sachwerten wie Immobilien. Verlierer, neben den Ärmsten, waren die Sparer. Im Jahr 1918 hielten die Deutschen Wertanlagen von etwa 200 Milliarden Mark. Im November 1923 waren diese Vermögen nicht einmal mehr einen amerikanischen Cent wert. Gewinner war auf diese Weise auch der deutsche Staat, der bis Ende 1923 seine kompletten Inlandsschulden loswurde. Zudem gab es Unternehmer, die in und mit der Inflation ihr Glück machten. Ein schönes Beispiel ist der österreichisch-italienische Unternehmer Camillo Castiglioni, der 1923 mit entwertetem Geld die Bayerischen Flugzeugwerke kaufte und ihnen den Namen BMW gab, eine der Wurzeln des heutigen Autobauers gleichen Namens. Andere Gewinner waren Hugo Stinnes, Otto Wolff und Rudolph Karstadt.

Berg voller Hoffnung: Ein Angestellter vor Stapeln von Rentenmark im Keller der Reichsbank. Ab Mitte November 1923 begann das "Wunder der Rentenmark". (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Die Hyperinflation wurde im November 1923 erstaunlich effektiv mit der Einführung der "Rentenmark", einer Übergangswährung, gestoppt. Im Frühjahr 1924 folgten eine Währungsreform und die Einführung der neuen Reichsmark. Diese blieb in Umlauf bis 1948, als Nationalsozialismus und Krieg ihren Wert zerstört hatten und eine zweite Währungsreform nötig machten.

Die Lektüre von Sebastian Teupes Buch lohnt sich vor allem wegen der Fülle anschaulicher Beispiele, die er gesammelt hat. An ein paar Stellen würde man sich vielleicht ein wenig mehr Genauigkeit wünschen, auch ein Personen- und Sachregister würde die Lektüre erleichtern. Insgesamt aber trägt "Zeit des Geldes" zu einem besseren Verständnis der Inflationszeit als einer der Katastrophen der deutschen Geschichte bei.

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