Jürgen Klopp beim FC Liverpool:Alleine gegen den Weltuntergang

Jürgen Klopp beim FC Liverpool: Gezeichnet von den Enttäuschungen der Saison: Liverpool-Trainer Jürgen Klopp.

Gezeichnet von den Enttäuschungen der Saison: Liverpool-Trainer Jürgen Klopp.

(Foto: Andrew Yates/Sportimage/Imago)

Der FC Liverpool rutscht immer weiter in die Krise. Trainer Klopp muss im Klub den Abschied wichtiger Vertrauter verkraften und ist frustriert - das bekommt auch ein Reporter deutlich zu spüren.

Von Sven Haist, London

Wahrscheinlich könnte Jürgen Klopp seine Gefühle nicht mal verbergen, wenn er es versuchen würde. Bei keinem anderen Trainer der Premier League lässt sich am Gesichtsausdruck besser ablesen, wie es um den Gemütszustand bestellt ist. Am Samstag erzählte seine Miene von besonderem Kummer. Erneut hatte er mit dem FC Liverpool deutlich verloren - 0:3 beim Abstiegskandidaten Wolverhampton Wanderers. Im Interview mit der BBC murmelte Klopp derart betrübt, "keine wirklichen Worte" zu haben, dass der Reporter ihn aufmuntern wollte: Klopp werde sicher bald schon wieder "bessere Tage" im Fußball erleben.

Als Klopp seine Worte doch noch gefunden hatte, erklärte er, das Ligaspiel sei "der Höhepunkt unserer Probleme" gewesen. Man könne ihn und seine Mannschaft "so viel kritisieren", wie man wolle, denn die ersten zwölf Spielminuten seien die "schlimmsten seit Langem" gewesen. Dabei hatte Klopp schon die Pleite in Brighton kürzlich als das "schlechteste Spiel" empfunden, an das er sich erinnern könne. Auch in englischen Stadien ist der Spott erster Verfolger des Schadens: Die gegnerischen Fans sangen, Klopp würde am nächsten Tag entlassen werden - während der Liverpool-Trainer auf der Bank so deprimiert dreinschaute, als hätte er seine Kündigungspapiere gerade schon erhalten.

Im Zuge der ausbleibenden Ergebnisse hat sich die Diskussion um seine Zukunft in Liverpool zunehmend verselbstständigt. Nach fast jedem erfolglosen Spiel kursieren störende Gerüchte, die Öffentlichkeit spekuliert: Bleibt er? Geht er? Traut sich der Klub eventuell sogar, ihn trotz Vertragslaufzeit bis 2026 freizustellen? Nichts läuft beim LFC derzeit ohne großes Drama ab. Das Massenblatt Sun fand, dass sich die Amtszeit von Klopp "dem Ende" zuneige. Bei jeder Niederlage des Traditionsklubs scheint immer gleich die Welt unterzugehen. Warum nur?

Obschon sich Jürgen Klopp, 55, vor acht Jahren in Liverpool als "Normal One" vorgestellt hat - wegen seiner charismatischen und wenig abgehobenen Art durchaus zu Recht -, entspricht seine an Titeln reiche Trainerkarriere nicht der Norm. Durch die Erfolge mit Liverpool hat sich eine Erwartungshaltung aufgebaut, in der Klopp eine durchwachsene Saison mit dem aktuell zehnten Tabellenplatz nicht zugestanden wird. Seine aussagekräftige Mimik, seine Gestik, die Wortgewalt; das alles verstärkt die Emotionen im alten Leidenschaftsklub Liverpool - positiv wie negativ. Sie können beflügeln wie belasten, momentan malt seine Frustration in der Tonalität die Lage wohl düsterer, als sie ist.

Diesen Eindruck verfestigt die Spielweise. Sobald der Powerfußball wegen Verletzungen, Formschwäche oder Sorglosigkeit an Energie einbüßt, ist das kaum zu übersehen. Beim Doppelschlag der Wolves zu Beginn stellten Liverpools Spieler, die sonst gewissenhaft jedem Ball hinterherrennen, das Verteidigen ein - sodass die nachfolgende Darbietung in den Hintergrund rückte. Dabei war sie durchaus ansprechend, abgesehen von den ungenutzten Torchancen. Eine solch nachlässige Einstellung zum Spiel kann sich keine Mannschaft in der anspruchsvollen Premier League leisten. Die Konsequenz: Liverpool wartet in diesem Jahr weiter auf den ersten Sieg. Besonders unangenehm liest sich die Auswärtsbilanz mit acht Punkten aus zehn Ligaspielen, zuletzt gab es in drei Partien in Serie jeweils drei Gegentore (gegen Brentford, Brighton und Wolverhampton). Wie geht Klopp mit dieser für ihn ungewohnten Misere um?

Klopp hätte durchaus Grund, seine Vorgesetzten in die Pflicht zu nehmen

Auf der Pressekonferenz nach dem Wolves-Spiel wetterte er nicht wie häufig gegen die Schiedsrichter, sondern gegen einen Reporter. Er weigerte sich, dessen Frage zu beantworten - wegen "all der Dinge", die dieser kürzlich geschrieben hätte, sagte Klopp. Bei seinem Krisenmanagement fällt auf, dass er immerzu seinen Verein schützt - sowohl einzelne Spieler als auch die Eigentümer um John Henry, Tom Werner und Mike Gordon, die über die Fenway Sports Group (FSG) die Anteile am Verein halten. Dabei hätte Klopp durchaus Grund, seine Vorgesetzten in die Pflicht zu nehmen. Jahrelang profitierte die Sportinvestmentfirma aus Boston von seiner Arbeit, die sich am meisten in der Wertsteigerung des Vereins spiegelt - ohne dass die Eigner überdurchschnittlich dafür investieren mussten.

Doch das finanzielle Aufrüsten der Konkurrenten, die sich nach immer noch reicheren Geldgebern umschauen, stellt das Geschäftsprinzip der US-Amerikaner infrage, wonach sich der Klub weitgehend selbst tragen soll. Mehr als die Verkündung, einen (Teil-)Verkauf zu erwägen, um frisches Kapital zu generieren, hat FSG bis dato nicht präsentiert. Das Schweigen des öffentlichkeitsscheuen Mehrheitsgesellschafters Henry, der meist nur die Rendite für sich sprechen lässt, hält Liverpool im Unklaren - und erschwert die Planung.

Dieses Vorgehen rüttelt an den Grundfesten des Vereins, dessen Stabilität in den vergangenen Jahren ein wesentliches Erfolgsmerkmal war. Die Zusammenarbeit zwischen dem FSG-Vertreter Gordon, dem Sportdirektor Michael Edwards und Trainer Klopp vermittelte ein Gefühl der Harmonie, Souveränität und Stärke. Im Sommer 2022 nahm sich allerdings Edwards eine Auszeit. Ihm folgte Julian Ward nach, der im November aber für alle überraschend seinen Abschied zum Saisonende einreichte. Ebenso wie Ian Graham, der die Datenanalyse verantwortet, auf der viele gute Spielerverpflichtungen basieren. Und Gordon, wichtiges Bindeglied zwischen Eignerfirma und Klub, soll einen Teil seiner Aufgaben abgegeben haben. Gordon, der ein Jahrzehnt lang die Geschicke des Klubs gelenkt hat, sei "der Kopf hinter allen Dingen", weil er entscheide, was getan werde und was nicht, sagte Klopp vor einiger Zeit.

Aus dem Triumvirat, das zusammen das Tagesgeschäft organisierte, ist so mehr oder weniger nur Jürgen Klopp übrig geblieben. Nur wie lange noch? Aufgrund seiner riesigen Verdienste traut sich niemand wirklich, ihn mit seiner Zukunft in Liverpool zu konfrontieren. Nach der jüngsten Niederlage hieß es etwas sperrig, ob er weiter "Vertrauen in seine Fähigkeiten" habe, die Lage zu meistern. Und? "Ja! Ja! Ja! Absolut!", stellte Klopp klar. Sein Gesichtsausdruck wirkte sehr entschlossen.

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