Stadtentwicklung:Rosenheim will ein komplett energieautarkes Viertel bauen

Stadtentwicklung: Das "Kathrein Werksviertel" in Rosenheim soll ein Wohn-, Büro- und Kreativquartier werden, wie es gerade viele Architekten entwerfen. In dem Fall aber soll es all seine laufend benötigte Energie selbst erzeugen.

Das "Kathrein Werksviertel" in Rosenheim soll ein Wohn-, Büro- und Kreativquartier werden, wie es gerade viele Architekten entwerfen. In dem Fall aber soll es all seine laufend benötigte Energie selbst erzeugen.

(Foto: Brückner Architekten/München)

Auf dem Areal der ehemaligen Kathrein-Fabrik entsteht ein modernes Quartier, das die Fantasie der Stadtplaner beflügelt. Sogar eine Seilbahn ist im Gespräch.

Von Matthias Köpf, Rosenheim

Eine Seilbahn, das war auch in Rosenheim bisher etwas für Touristiker und Skigebietsbetreiber. Zugleich gehören Seilbahnen längst zu den liebsten Gedankenspielzeugen der Urbanisten, und so darf es womöglich als Zeichen eines gewachsenen städtischen Selbstbewusstseins gelten, dass Rosenheims Oberbürgermeister Andreas März (CSU) für seine 65 000-Einwohner-Stadt als öffentliches Verkehrsmittel neulich eine Seilbahn ins Spiel gebracht hat. März wollte damit vor allem ausdrücken, dass sich die Stadträte bei den Planungen für das Areal südlich des Bahnhofs nicht ohne Not jetzt schon auf eine neue Brücke über die Gleise festlegen müssten. Aber die Planungen zielen gerade hoch für eine Stadt wie Rosenheim, und die Häuser wachsen hinterher.

Pläne für das fast 120 000 Quadratmeter große "Bahngelände Süd" gibt es schon lang. Vor drei Jahren hat sich die Stadt dann ein Vorkaufsrecht gesichert für jene Flächen, die derzeit der Deutschen Bahn, deren Netztochter sowie dem "Bundeseisenbahnvermögen" gehören, der bundeseigenen Verwaltung für nicht mehr benötigte Bahn-Liegenschaften. Zu diesen gehört auch das einstige "Ausbesserungswerk", eine Backsteinhalle mit riesigen Fensterflächen, die nach Ansicht vieler Rosenheimer Räte nach einer kulturellen Nutzung schreit. Daneben soll es die übliche Mischung aus Gewerbe und Wohnen werden, wobei Letzteres nach den Vorgaben des Bundeseisenbahnvermögens überwiegen muss.

Das Gewerbe kommt schon nördlich der Gleise zu seinem Recht. Dort auf dem Bahngelände Nord ist in den vergangenen Jahren nicht nur ein neuer Regionalbusbahnhof entstanden, sondern auch ein großes Ärztezentrum mit mehr als 40 Medizinern und das digitale Gründerzentrum "Stellwerk 18", das derzeit etwa 20 Startup-Unternehmen Platz bietet. Im Oktober war Grundsteinlegung für die "Lokhöfe" mit einem immerhin zehnstöckigen, 45 Meter hohen Büroturm, einem Hotel mit 145 Zimmern sowie zahlreichen seniorengerechten Wohnungen, Pflegeappartements und mehr als 140 kleinen Wohnungen für Studierende.

Für diese wachsende Zielgruppe ist zwei Kilometer nördlich der "Campus RO" entstanden, der insgesamt 211 Appartements sowie WG- und familientaugliche Wohnungen bietet. Passend zum Schwerpunkt der expandierenden Rosenheimer Hochschule sind die Häuser überwiegend aus Holz gebaut - und aus dem recycelten Material der Gewerbehalle, die vorher auf dem Grundstück stand. Deswegen und weil die Anlage ihren ganzen Strom am Dach selbst produziert, ist sie zuletzt von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen ausgezeichnet worden. Die Hochschule selbst will sich in der Nähe mit einem neuen "Technologiepark" und einem Studierendenzentrum erweitern, das zwar ebenfalls weithin als nachhaltig gelobt, aber von manchen zugleich wegen der alten Bäume kritisiert wird, die dem Gebäude werden weichen müssen.

"Wir gehen davon aus, dass das, was wir hier tun, in 15 Jahren Standard sein wird"

Nachhaltigkeit soll auch am Stammsitz der Rosenheimer Industrie-Ikone Kathrein einkehren. Deren ehemaliges Werk 1 soll in Zukunft "Kathrein Werksviertel" heißen und ein komplett energieautarkes Stadtviertel werden. "Wir gehen davon aus, dass das, was wir hier tun, in 15 Jahren Standard sein wird", sagt der Architekt Laurent Brückner, der viel in Rosenheim plant und einen Teil seines Münchner Büros in das neue Werksviertel verlegen will. Stammen soll die Energie für das Quartier aus oberflächennaher Erdwärme - und aus dem kleinen Wasserkraftwerk, das dort seit eh und je Strom für Kathrein produziert hat. Der hohe Kamin der ehemaligen Fabrik soll saniert werden und für eine eventuelle spätere Nutzung zur Verfügung stehen. Die Gestaltung des Neubaus mit viel Backstein gebe den Rosenheimern "die Identität des Ortes zurück", verspricht Michael Brem, der in Brückners Büro für das Projekt zuständig ist.

Diese Identität des Orts reicht mehr als ein Jahrhundert zurück. "Hier hat's begonnen mit Kathrein", sagt Andreas Köglmeier, der das "Family Office" der Unternehmerfamilie Kathrein führt. Anton Kathrein senior hatte hier anno 1919 eine Werkstatt zum Bau von Blitzableitern gegründet, aus der später ein Elektronik-Konzern für Satellitenschüsseln und Mobilfunkanlagen wurde. Das Mobilfunkgeschäft und die Werke auf der anderen Seite der Bahngleise hat die Familie in großer wirtschaftlicher Not 2019 an das schwedische Unternehmen Ericsson verkauft.

Im alten Werk 1 soll laut Köglmeier nun "eine Symbiose aus alt und neu" entstehen. In vorhanden Gebäuden ist bereits eine Schwesternschule eingezogen, daneben soll sich das Wohn-, Büro- und "Kreativquartier" in Holzhybridbauweise um einen "Hochpark" über der Tiefgarage gruppieren. Das wuchtigste Wohnbauprojekt in Rosenheim entsteht freilich derzeit auf eine bisher freien Wiese an der "Panoramakreuzung" Richtung Autobahn. Hier sind 260 privat finanzierte und 106 städtische Wohnungen im Bau.

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