Erdbeben:Wie lange können Menschen unter Trümmern überleben?

Erdbeben: "Die ersten 72 Stunden sind entscheidend": Suche nach Verschütteten in Kahramanmaraş in der Türkei.

"Die ersten 72 Stunden sind entscheidend": Suche nach Verschütteten in Kahramanmaraş in der Türkei.

(Foto: Suhaib Salem/REUTERS)

Die Chancen Verschütteter hängen von vielen Faktoren ab. In der Türkei und Syrien sinkt der Überlebenszeitraum aktuell vor allem durch die Kälte.

Von Katharina Osterhammer

8000 Verschüttete seien in der Türkei bereits aus den Trümmern des Erdbebens gerettet worden, teilte der türkische Vizepräsident Fuat Oktay am Dienstag mit. Doch es werden noch zahlreiche Menschen vermisst. "Die ersten 72 Stunden sind entscheidend", sagt Bernd Böttiger, Bundesarzt des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Wer in dieser Zeit nicht geborgen wird, dessen Überlebenschancen sinken drastisch. 2005 soll eine Frau nach einem Erdbeben in Pakistan mit Hilfe von Essensresten und Regenwasser zwei Monate unter Geröll überlebt haben. Solche Geschichten sind aber die wundersame Ausnahme.

"Wer direkt beim ersten Erdbeben in der Türkei oder Syrien verschüttet wurde und noch immer nicht geborgen wurde, dem läuft die Zeit davon", so Böttiger. Wie lange ein Mensch unter Trümmern ausharren kann, hängt von vielen Faktoren ab. Grundsätzlich gilt: Je besser der allgemeine Gesundheitszustand, desto länger kann ein Mensch verschüttet überleben. Dabei schwankt der Überlebenszeitraum zwischen acht Stunden und zwei Wochen. Eine entscheidende Rolle spielen die Fettreserven am Körper. Sie schützen die Organe und ermöglichen dem Körper, durch Zittern selbst produzierte Wärme besser zu speichern. Kinder und alte Menschen besitzen meist weniger Körperfett und neigen dadurch leichter zur Unterkühlung.

Ohne Flüssigkeit hält ein Erwachsener es zwei bis drei Tage aus

Nach Einschätzung von Stephan Prückner, geschäftsführender Direktor des Instituts für Notfallmedizin und Medizinmanagement am Klinikum der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität, verstärkt das derzeitige Wetter in Syrien und der Türkei die Gefahr für Verschüttete auszukühlen. Temperaturen um den Gefrierpunkt können bei leichter Bekleidung innerhalb von acht bis 24 Stunden zum Tod führen. "Durch die Absenkung des Blutdrucks und den verlangsamten Herzschlag kommt es innerhalb dieser Zeit oft zu Herzrhythmusstörungen und Kreislaufstillständen", so Prückner. Regen, Wind und kalter Untergrund, wie Betonplatten, können den Auskühlungsprozess noch beschleunigen.

Besonders tragisch ist es, wenn es zum sogenannten Bergungstod kommt: Dabei stirbt ein Mensch nach der Rettung noch an Unterkühlung. Eine mögliche Ursache ist, dass sich warmes und kaltes Blut durch die plötzliche Bewegung des tagelang starren Körpers bei der Bergung vermischen. Das lässt die Gesamtkörpertemperatur absinken und kann zu Herzkammerflimmern und letztlich zum Tod führen.

Grundsätzlich überleben verschüttete Erwachsene meist länger als Kinder. Durch ihre geringe Körpergröße würden Kinder allerdings häufiger in Zwischenräumen von Trümmern Platz finden. Häuser stürzen bei Erdbeben oft Stockwerk für Stockwerk ein. Das kann zu Hohlräumen zwischen den Platten führen, die den Verschütteten mehr Sauerstoffzufuhr ermöglichen und Quetschungen vermeiden und damit ihre Überlebensdauer ebenfalls erhöhen.

Keine Flüssigkeit zu sich zu nehmen, würden erwachsene Menschen ohne Vorerkrankungen zwei bis drei Tage aushalten. Ohne Nahrung könnten sie sogar bis zu zwei Wochen auskommen, so Böttiger. Wer jedoch an Verletzungen und vor allem dem damit verbundenen Blutverlust leidet, könnte auch wesentlich schneller am Ende seiner Kräfte sein.

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