Amokfahrt am Breitscheidplatz:"Er hat keinen Zugang zum Geschehen"

Amokfahrt am Breitscheidplatz: Das Auto kommt erst zum Stehen, als es gegen ein Schaufenster kracht.

Das Auto kommt erst zum Stehen, als es gegen ein Schaufenster kracht.

(Foto: Michele Tantussi/Reuters)

Auf dem Kurfürstendamm raste er in eine Schülergruppe und tötete eine Lehrerin. Nun steht Gor H. in Berlin vor Gericht. Die Frage ist, ob er überhaupt schuldfähig ist.

Von Verena Mayer, Berlin

Gor H. hat mutmaßlich einen Menschen getötet und 16 weitere schwer verletzt, aber er wirkt, als wüsste er nicht, was er getan hat. Mit hängendem Kopf sitzt er auf der Anklagebank des Berliner Landgerichts, immer wieder fallen ihm die Augen zu. Als der Vorsitzende Richter sein Geburtsdatum wissen will, muss der 29-Jährige lange nachdenken. Ob er Deutsch verstehe, fragt der Richter. "Das kann ich nicht sagen", antwortet Gor H. Sein Verteidiger wird später sagen: "Er hat keinen Zugang zum Geschehen."

Das Geschehen: Am 8. Juni stieg Gor H. in den silberfarbenen Renault Clio seiner Schwester und fuhr über den Kurfürstendamm. Erst mit normaler Geschwindigkeit, an den Ampeln blieb er stehen. Doch dann steuerte er plötzlich auf den Bürgersteig, trat das Gaspedal durch und rammte alle Menschen, die dort standen. Ein Mädchen, das mit seinen Großeltern auf Berlin-Besuch war und gerade in den Stadtplan guckte. Zwei Männer, die an einem Imbiss warteten, eine Frau, im siebten Monat schwanger. Die Schülerinnen und Schüler aus Bad Arolsen, die gerade auf Klassenfahrt waren, ihre zwei Lehrer. Manche wurden bis zu vierzig Meter weit mitgeschleift. Die Lehrerin der Klasse wurde erst auf die Motorhaube geschleudert und dann von dem Fahrzeug überrollt. Die 51-Jährige starb an ihren schweren Verletzungen.

Seit Dienstag steht Gor H. nun wegen Mordes und Mordversuchs vor Gericht. Er habe "heimtückisch und mit gemeingefährlichen Mitteln" einen Menschen getötet und andere töten wollen, sagt die Staatsanwältin. Gor H. selbst sagt nichts, nur, dass er in Armenien geboren wurde, deutscher Staatsbürger ist und keinen Beruf erlernt hat. Und so ist es am Unfallsachverständigen, die Amokfahrt aufzurollen. Er zeigt Bilder von Überwachungskameras aus den Läden auf dem Kurfürstendamm. Man sieht, wie Menschen an einem sonnigen Frühsommervormittag an Cafés vorbeispazieren oder einkaufen gehen. Und wie plötzlich ein Auto durch die Menge rast und erst zum Stehen kommt, als es gegen ein Schaufenster kracht. "Das war ein langgestrecktes Splitterfeld."

Irgendwann sitzt Gor H. mitten auf der Straße, versucht, sich aufzurichten, und wirkt verwirrt

Es sei "sehr viel passiert im Lauf des Tatgeschehens", sagt der Gutachter und zählt die schweren Verletzungen auf, die die Opfer erlitten, Schädelbrüche, Schädel-Hirn-Traumata, gebrochene Becken und Brustbeine. Das Mädchen, das mit seinen Großeltern unterwegs war, konnte sich hinter eine Werbetafel retten und wurde am Bein verletzt. Am Ende sieht man, wie Gor H. weglaufen will und von Passanten festgehalten wird. Irgendwann sitzt er mitten auf der Straße, versucht, sich aufzurichten, und wirkt verwirrt. Als wüsste er nicht, wo er ist.

Gor H. war möglicherweise schuldunfähig, als er die Amokfahrt beging. In dem Prozess geht es darum, ob er in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht wird. Seit vielen Jahren leidet er an einer paranoiden Schizophrenie, wird mit Medikamenten behandelt. Eigentlich sei er gut betreut gewesen, sagt sein Verteidiger. Er war regelmäßig bei seinen Ärzten, hatte einen Betreuer. Seine Mutter und seine Schwester, bei denen er auch wohnte, kümmerten sich um ihn. Was Gor H. genau dazu brachte, ins Auto zu steigen und auf den Kurfürstendamm zu fahren, wird das medizinische Gutachten ergeben. Sein Verteidiger sagt, Gor H. sei "in einem psychotischen Zustand" gewesen, möglicherweise, weil er an diesem Tag seine Medikamente nicht genommen hatte.

Mit seinem Mandanten kann er nicht darüber reden, "er hat keine Erinnerung". Der Mutter und der Schwester tue es sehr leid, was Gor H. getan habe, sagt der Verteidiger, dem Beschuldigten selbst "im Rahmen seiner Möglichkeiten auch". Der Prozess wird kommende Woche fortgesetzt, dann soll der Lehrer der Schulklasse aussagen.

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