Nato-Erweiterung:Warten auf Bidens Machtworte

Nato-Erweiterung: Sie kennen sich schon sehr lange: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan und sein US-Kollege Joe Biden beim Nato-Treffen im vergangenen Jahr.

Sie kennen sich schon sehr lange: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan und sein US-Kollege Joe Biden beim Nato-Treffen im vergangenen Jahr.

(Foto: Gabriel Bouys/AFP)

Auf US-Präsident Joe Biden kommt es an, die Türkei zu überzeugen, Schweden in die Nato zu lassen. Denn Erdoğan will US-Kampfjets kaufen - doch die größten Gegner dieses Deals sitzen in Bidens Partei.

Von Matthias Kolb

Es war eine Aktion, zu der nur ein US-Präsident in der Lage ist. Bis kurz vor Beginn des Nato-Gipfels in Madrid im Juni 2022 hielt die Türkei ihre Blockade gegen die Aufnahme Finnlands und Schwedens in das Verteidigungsbündnis aufrecht. Dann ließ Joe Biden vom G-7-Gipfel in den bayerischen Bergen aus mitteilen, dass er beim Nato-Treffen mit Recep Tayyip Erdoğan sprechen werde.

Stunden später wurde in Madrid im Beisein von Präsident Erdoğan ein Memorandum unterzeichnet, wie Finnland und Schweden die türkischen Bedenken über die angebliche Unterstützung kurdischer Terroristen überwinden können. Der Durchbruch war da: Alle 30 Nato-Mitglieder unterstützen den Beitrittswunsch der Nordeuropäer. Vor laufenden Kameras dankte Biden Erdoğan für dessen Kompromissbereitschaft und lobte Ankaras diplomatische Bemühungen, mitten im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine den Export von Getreide zu ermöglichen. Der US-Präsident versprach auch, sich beim Kongress dafür einzusetzen, den Verkauf von modernen F-16-Kampfjets an die Türkei zu genehmigen, denn dies würde die Sicherheit der Nato stärken.

Für Biden wäre die Nato-Norderweiterung ein großer Erfolg

Sieben Monate später haben 28 Nato-Länder der Mitgliedschaft von Schweden und Finnland zugestimmt und auch Ungarn wird dies bald tun. Dass dennoch Stillstand herrscht, liegt wieder an der Türkei - und wieder gibt es in Europa die Erwartung, dass die USA die verfahrene Lage endgültig lösen sollen. "Joe Biden ist die zentrale Figur, auf die es ankommt", sagt Soner Çağaptay vom Washington Institute for Near East Policy.

"Biden will Finnland und Schweden unbedingt in der Nato sehen, das wäre ein großer außenpolitischer Erfolg", sagt Çağaptay. Offen ist jedoch, wie viel politisches Kapital der Demokrat investieren will, denn Zugeständnisse gegenüber dem Autokraten Erdoğan lehnen nicht nur Republikaner ab. Noch im Februar soll Außenminister Antony Blinken nach Ankara reisen, aber Experten wie Max Bergmann vom Center for Strategic and International Studies (CSIS) erwarten, dass ein Durchbruch erst nach der Wahl in der Türkei am 14. Mai und vor dem Nato-Gipfel Mitte Juli möglich sein dürfte.

Das liegt auch daran, dass Biden anders als seine Vorgänger den türkischen Präsidenten bestens kennt. Erdoğan sei seit 2003 sehr gut darin gewesen, sich einzuschmeicheln, sagt Çağaptay: "Für den Christen George W. Bush war Erdoğan der gläubige Muslim, Barack Obama bot er sich als Türöffner für die muslimische Welt an und Donald Trump präsentierte er sich als Mann, mit dem sich Deals machen lassen." Biden hingegen beschäftigte sich als Senator lange mit der Nato und hielt am Ende von Obamas Amtszeit den Kontakt zu Ankara, nachdem sich dieser enttäuscht von Erdoğan abgewandt hatte.

Çağaptay betont, dass das Veto gegen Schwedens Beitrittswunsch Erdoğan nicht nur innenpolitisch nutzt. Die Kritik aus Washington und den EU-Hauptstädten am Vorgehen gegen die Opposition sei verhalten, da niemand Stockholm schaden will. Laut Çağaptay kennt man im Weißen Haus das türkische Sprichwort "Wer jemandem seine Hand gibt, bekommt seinen Arm nicht zurück". Es gelte also, den richtigen Moment für ernsthafte Verhandlungen zu finden und andere Akteure wie Nato-Chef Jens Stoltenberg oder Bundeskanzler Olaf Scholz einzubinden, um gemeinsam Druck auf Ankara auszuüben.

Der mächtigste Erdoğan-Kritiker im Senat ist ein Parteifreund Bidens

Denn es wird immer klarer, dass die Türkei zuerst "Ja" zu Finnland und Schweden sagen muss, um Dutzende F-16-Kampfjets für 20 Milliarden Dollar kaufen zu können. Anfang Februar betonten 29 Senatoren aus beiden Parteien in einem Brief an Biden, dass sie ohne diesen Schritt einen entsprechenden Antrag gar nicht prüfen würden. Erdoğan hingegen möchte zuerst die Zusage für den Kauf der Kampfjets und die Modernisierung der türkischen Flugzeugflotte, bevor er sein Parlament abstimmen lässt. Damit geschieht, was das Weiße Haus immer vermeiden wollte: Die Themen werden verknotet. Dass Biden dem türkischen Nachbarn Griechenland noch modernere F-35-Kampfflugzeuge verkaufen will, besänftigt die Skeptiker nicht. "Die Europäer sollten nicht glauben, dass Biden den Streit einfach lösen kann", betont Max Bergmann vom Thinktank CSIS.

Den Ausschuss für Auswärtige Beziehungen im Senat leitet mit Robert Menendez nämlich ein ausgewiesener Erdoğan-Gegner. Der Demokrat kritisiert seit Langem die Menschenrechtslage in der Türkei und er hat erklärt, dass "die Nato-Norderweiterung nicht genügt, um alle Probleme zu lösen". Für Menendez ist die Türkei, die keine Sanktionen gegen Russland umsetzt, kein Verbündeter. Zudem müsse das Luftabwehrsystem vom Typ S 400 zerstört werden, das Erdoğan in Moskau gekauft hat, weil es nicht mit den Nato-Systemen kompatibel ist.

Natürlich sei es nicht ausgeschlossen, so Bergmann, dass Biden über die Bedenken der Senatoren hinweg den Rüstungsdeal genehmigt - dann müsste Menendez eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Senat gegen seinen Parteifreund im Weißen Haus organisieren und auch das Repräsentantenhaus mit gleicher Mehrheit dagegen stimmen. "Diese Regierung möchte aber Gesetze beschließen und Dinge ändern. Da wäre es äußerst unklug, Senatoren zu verärgern, die Projekte verzögern oder blockieren können", analysiert Bergmann. Er sieht die Europäer am Zug: Die EU habe gegenüber Ankara viel mehr Optionen, etwa in Visa-Fragen oder beim Zugang zum Binnenmarkt für bestimmte Industrien.

Wie Schweden sich als Verbündeter zeigen könnte

Der CSIS-Analyst ist aber überzeugt, dass die Hinhaltetaktik nicht ewig durchzuhalten ist. "Es geht Vertrauen verloren und Erdoğan brennt Brücken nieder", sagt Bergmann. Die Türkei gelte bereits als schlechter Verbündeter. Sollte Erdoğan über den nächsten Nato-Gipfel in Litauen hinaus Schweden weiter blockieren, könnte eine Grenze überschritten sein. Auch Sonar Çağaptay rechnet damit, dass der türkische Präsident im Falle seiner Wiederwahl einlenken und einen Neustart mit Washington und der EU suchen werde. Schließlich braucht die türkische Wirtschaft Investitionen aus dem Ausland.

Ob das Erdbeben mit Tausenden Toten etwas ändern könnte, sei noch nicht zu beurteilen, sagt Çağaptay: "Wenn Schweden extrem großzügige Hilfe leistet, dann könnte dies die Wahrnehmung des Landes in der türkischen Öffentlichkeit ändern." Wenn sich Schweden als Verbündeter erweise, könnte Erdoğans Position nicht mehr zu halten sein. Dies sei aber "nur Spekulation".

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