Bio bizarr:Wo Papa die Mama ist

Seepferdchen

Seepferde sehen nicht nur seltsam aus. Sie verhalten sich auch ungewöhnlich.

(Foto: dpa)

Normalerweise sind es die Weibchen, die den Nachwuchs zur Welt bringen. Doch bei einigen Arten haben sich die Geschlechterrollen ins Gegenteil verkehrt.

Markus C. Schulte von Drach

Seepferdchen (Hippocampus) sehen nicht nur bizarr aus mit ihrem Pferdekopf, der Schnauze eines Ameisenigels, ihrem spiralförmig aufgerollten Schwanz, ihren Glupschaugen und ihren Stacheln - die Fische verhalten sich auch extrem.

So treten die männlichen Tiere äußerst emanzipiert auf: Sie nehmen ihrer Angebeteten die Schwangerschaft und die anstrengende Geburt der Jungen ab! Was sind dagegen die zwei Vätermonate, die derzeit unter deutschen Männern so angesagt sind?

Die Tiere haben die Biologen lange Zeit vor ein Rätsel gestellt: Zwar produziert das Weibchen wie üblich im Tierreich die Eier, während das Männchen Sperma bereithält. Und die Balz ist sehr schön anzusehen, wenn die Tiere ihre Schwänze zum gemeinsamen Schwimmen verhaken, um Pflanzenstile rotieren oder ihre Farbe wechseln. Doch Ähnliches kennt man auch von anderen Tieren.

So richtig spannend wird es aber ab dem Geschlechtsakt. Dabei übernehmen die männlichen Tiere die Eier in ihre Bauchtasche und brüten den Nachwuchs über mehrere Wochen aus. Es folgt, je nach Seepferdchen-Art, die anstrengende Geburt von einigen wenigen bis zu mehr als 1000 Jungtieren durch den Vater.

Das ungewöhnliche Verhalten ist nicht nur ein Beispiel für die Vielfalt der Paarungssysteme im Tierreich. Es scheint darüber hinaus wichtige Regeln zu brechen, die Verhaltensbiologen beobachtet haben. So ist es bei den meisten Tieren das Weibchen, das mehr in den Nachwuchs investiert - begonnen mit dem im Vergleich zum männlichen Sperma aufwendig produzierten Ei bis zur langjährigen Betreuung der Jungen bei großen Säugetieren.

Männchen dagegen haben bei den meisten Tieren ein theoretisch schier unbegrenztes Fortpflanzungsvermögen, lediglich beschränkt durch den Zugang zu Weibchen und die Konkurrenz mit anderen Freiern. Und dies, so der Schluss, lässt sie in einen häufig aggressiven Wettkampf eintreten.

Warum also übernimmt bei den Seepferdchen der Papa die Mutterrolle und stellt damit die Verhältnisse auf den Kopf?

Nur eine Variation

Die Antwort ist: Sie tun es gar nicht. Das Fortpflanzungsverhalten der Seepferdchen stellt trotz aller Besonderheiten nur eine Variation innerhalb der üblichen Reproduktionssysteme dar. So beschützen die Männchen die Jungen in ihrer Bruttasche und strengen sich bei der Geburt auch heftig an.

Bio bizarr: Die männlichen Seepferde tragen die Jungtiere in einer Bauchtasche aus.

Die männlichen Seepferde tragen die Jungtiere in einer Bauchtasche aus.

(Foto: Foto: AP)

Doch unter dem Strich ist die Investition der Weibchen in den Nachwuchs immer noch doppelt so groß, wie Heather D. Masonjones vom Amherst College in Massachusetts, USA, festgestellt hat. Denn der Nachwuchs profitiert in erster Linie von der Energie, die die Mutter in die Eier gesteckt hat. Der Papa ist demnach wichtig. Aber die meiste Arbeit hatte - wie fast immer - die Mama.

Auch braucht das Weibchen nach der Paarung länger als das Männchen, um sich auf den nächsten Akt vorzubereiten. Letztlich bedeutet dies, dass die männlichen Tiere trotz ihrer Schwangerschaft theoretisch mehr Jungtiere produzieren könnten als die Weibchen - und zwar um 17 Prozent.

Biologen würden deshalb erwarten, dass männliche Konkurrenten aggressiv aufeinander reagieren - und tatsächlich wird dies auch beobachtet.

Warum aber schützen die Männchen die Jungen in ihrer Bruttasche, statt den Weibchen die ganze Arbeit zu überlassen, wie es bei den meisten anderen Tierarten üblich ist?

Seepferdchen neigen zur Monogamie: Haben sie erst einmal ihre Schwänze miteinander verhakt, so bleiben sie sich meist treu - sie setzen gewissermaßen wieder auf dasselbe (See)Pferd. Will das Weibchen möglichst viele Eier produzieren und sollen diese sich nach der Befruchtung geschützt entwickeln, so scheint die Arbeitsteilung von Vorteil: Papa stellt seine Bauchtasche zur Verfügung, so dass Mama gleich wieder an der nächsten Brut arbeiten kann.

Die Alternative für das Männchen wäre, sich nach einer anderen Partnerin umzusehen, statt die Eier auszubrüten. Die aber müsste er auch erst wieder von seinen Qualitäten überzeugen.

Mit verhakten Schwänzen

Vermutlich hat sich dieses System durchgesetzt, weil beide Geschlechter mittels der Teamarbeit für sich jeweils mehr Nachwuchs produzieren können, als wenn sie nach dem Sex ihr Glück bei einem anderen Seepferdchen versuchen würden.

Bio bizarr: Ringelreihen mit Einhaken.

Ringelreihen mit Einhaken.

(Foto: Foto: AP)

Rollentausch bei Vögeln

Solche Abweichungen von der Geschlechterrolle beobachtet man übrigens nicht nur bei Fischen. Auch einige Vögel passen nicht in das gewöhnliche Schema.

Männliche Temminckstrandläufer (Calidris temminckii) in der arktischen Tundra zum Beispiel verteidigen ein Revier. Ist ein Weibchen interessiert, so legt es dort Eier. Soweit, so üblich. Doch der Nachwuchs wird vom Papa großgezogen, während Mama erneut Eier legt, um die sie sich nun selbst kümmert. Ein Paar kann zwei Gelege versorgen, weil der kurze arktische Sommer ein extrem reichhaltiges Nahrungsangebot bietet. Sind die Umstände besonders gut, so könnte ein solches Weibchen theoretisch versuchen, bei einem zweiten Männchen sogar ein drittes Gelege unterzubringen.

Praktisch tun dies Drosseluferläufer (Actitis macularia), auch eine Schnepfenvögel-Art, die vor allem in Nordamerika vorkommen. Die Weibchen können innerhalb von 20 Tagen bis zu fünf Gelege mit insgesamt 20 Eiern produzieren, die von verschiedenen Männchen betreut werden. Unter diesen Bedingungen kommt es tatsächlich zu einer Umkehr der klassischen Geschlechterrollen. Die Weibchen sind deutlich schwerer als die Männchen, konkurrieren um Reviere und Partner und sind aggressiver als die männlichen Tiere.

Was auf den ersten Blick wie ein Widerspruch zur Evolutionstheorie erscheint, ist beim zweiten Hinsehen lediglich ein weiteres Beispiel dafür, wie vielfältig die Methoden sind, die sich entwickelt haben, um den individuellen Fortpflanzungserfolg zu maximieren.

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