Geheimbericht:Rechnungshof fordert schärfere Jagd im Nationalpark Berchtesgaden

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An der Wildfütterung auf der Halbinsel St. Bartholomä wurden zuletzt 120 Stück Rotwild gezählt. Das sind viel zu viele für die Bergwälder dort, sagt der Bayerische Oberste Rechnungshof. (Foto: Matthias Loretto/Nationalpark Berchtesgaden)

Am Königssee leben so viele Hirsche und Rehe, dass sich der Bergwald nicht richtig entwickeln kann, urteilt die Behörde. Das könnte massive Konsequenzen haben - und viel Ärger machen.

Von Christian Sebald

Wenn es um die Jagd im Nationalpark Berchtesgaden geht, können es Nationalpark-Chef Roland Baier und seine Mitarbeiter offenbar keinem recht machen. Auf der einen Seite werden sie von Organisationen wie dem Verein "Wildes Bayern" beschuldigt, dass sie rücksichtslos auf Gämsen und andere Wildtiere schießen. Der Verein klagt deshalb sogar vor Gericht gegen den Nationalpark. Auf der anderen Seite fordert der Bayerische Oberste Rechnungshof (ORH) von der Nationalpark-Verwaltung, dass vor allem in den Bergwäldern rund um den Königssee schärfer gejagt werden soll. Der ORH hat jetzt offiziell festgestellt, dass vor allem am Königssee viel zu viele Hirsche, Rehe und Gämsen unterwegs sind.

Der ORH hat den Nationalpark Berchtesgaden in den vergangenen Monaten umfangreich geprüft. Die Prüfung selbst ist nichts Ungewöhnliches. Der ORH nimmt sich alle möglichen staatlichen Stellen in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen vor. Schließlich geht es ihm um den ordnungsgemäßen Umgang mit Steuergeld, aus dem sie sich finanzieren. Bei der Prüfung des Nationalparks ging es dem ORH deshalb auch nicht nur um das Thema Jagd. Sondern um alle möglichen weiteren Themen, um den Haushalt des Schutzgebietes etwa, um das Management und die Forschungsprojekte. Der Bericht der Prüfer ist unter Verschluss. Wann und ob überhaupt er veröffentlicht wird, ist noch unklar.

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Die Jagd im Nationalpark ist sehr umstritten. Und zwar eben nicht nur bei dem Verein "Wildes Bayern" und dessen Anhängern, die vor allem konservativen Jägerkreisen angehören. Sondern auch bei Waldexperten. "Wir sagen schon seit langem, dass vor allem hinten am Königssee das Rotwild überhand nimmt", sagt ein Förster, der die Situation im Nationalpark gut kennt, aber anonym bleiben will. "Die Tiere verbeißen die jungen Bäume in einem untragbaren Ausmaß, und zwar schon seit vielen Jahren."

Nationalparkchef Baier kennt die Kritik. Und er widerspricht ihr nicht. Nach den aktuellen Zählungen des Nationalparks leben am Königssee - genau gesagt rund um die Wildfütterungen auf der Halbinsel St. Bartholomä und Reitl - ungefähr 400 Stück Rotwild. Das ist Rekord, vor 20 Jahren waren es nicht einmal halb so viele. "Gerade in den letzten Jahren ist die Population stark angewachsen", sagt Baier. "Wir versuchen zwar, sie so effizient wie nur möglich zu managen, aber vor allem in Reitl explodieren die Zahlen förmlich." 155 Stück Rotwild - so haben es die Ökologen des Nationalparks ausgerechnet - ist die Obergrenze, wenn sich die Wälder am Königssee so natürlich entwickeln sollen, wie es das Ziel des Nationalparks ist.

Eigentlich ist die Jagd im Nationalpark tabu

Es ist eine komplizierte Sache mit der Jagd in einem Nationalpark. Und zwar nicht nur in Berchtesgaden, sondern in allen Nationalparks. Denn eigentlich gilt in den Schutzgebieten ja der Grundsatz "Natur Natur sein lassen", menschliche Eingriffe sind demnach tabu. Das betrifft auch die Jagd. Auf der anderen Seite sind die Landschaften gerade in Mitteleuropa so dicht besiedelt und durch die Jahrhunderte so intensiv von Menschenhand geprägt worden, dass man diesen Grundsatz nicht durchhalten kann, zumindest nicht auf der ganzen Fläche der Nationalparks.

Deshalb ist es Usus, die Nationalparks in sogenannte Kernzonen und Pflegezonen zu unterteilen. In der Kernzone - im Nationalpark Berchtesgaden umfasst sie 75 Prozent der Fläche - unterbleibt jeder menschliche Eingriff, es herrscht deshalb absolute Jagdruhe. In der Pflegezone, die sich hauptsächlich an den Rändern des Nationalparks erstreckt, ist das anders. In den Wäldern dort dürfen die Nationalpark-Mitarbeiter beispielsweise Schädlinge wie den Borkenkäfer bekämpfen, damit diese nicht auf die Wirtschaftswälder übergreifen, die an die Schutzgebiete angrenzen. Und sie dürfen eben auch jagen, sofern es nötig ist. Die beiden Wildfütterungen auf St. Bartholomä und Reitl liegen in der Pflegezone des Nationalparks Berchtesgaden. Dort darf gejagt werden.

"Unser Ökosystem soll sich möglichst natürlich entfalten können", sagt der Nationalpark-Chef

Wobei Nationalpark-Chef Baier nicht von Jagen spricht. Sondern von Wildtiermanagement. "Denn wenn wir Hirsche oder Gämsen abschießen, tun wir das nicht aus jagdlichen Interessen zum Beispiel an den Trophäen", sagt Baier. "Sondern damit sich unser Ökosystem möglichst natürlich entfalten kann." So widersinnig sich das für den einen oder anderen anhören mag, es hat durchaus seine Logik. Die Hirsche am Königssee beispielsweise würden von Natur aus im Winter weit in das Vorland hinaus wandern, weil sie dort sehr viel günstigere Lebensbedingungen hätten. Das aber geht schon viele Jahrzehnte nicht mehr. Das Vorland ist dafür zu dicht besiedelt und zerschnitten.

Außerdem hat man das Rotwild schon lange vor Gründung des Nationalparks in den Bergen zurückgehalten - an Winterfütterungen wie Reitl oder auf St. Bartholomä. Es ist so an diese Fütterungen gewöhnt, dass es sich im Winter in großer Zahl dort versammelt. Der Nationalpark will an den Winterfütterungen nicht rütteln. Baier nennt dafür in erster Linie den Tierschutz. Wenn man die Fütterungen auflöste, würden zahlreiche Hirsche verhungern, sagt er. Das wolle man nicht. Zum anderen hat Baier die Hoffnung, dass mit den Fütterungen die Fraßschäden an den jungen Bäumen in den Bergwäldern nicht komplett aus dem Ruder laufen. Und natürlich will er unbedingt den Riesenaufschrei bei den Einheimischen, den Touristen und nicht zuletzt unter Jägern vermeiden, den die Abschaffung der Fütterungen unweigerlich zur Folge hätte.

Der ORH fordert jetzt aber Konsequenzen. "Der Nationalpark sollte seine bisherige Wildfütterungsstrategie überdenken", sagt ein Sprecher. "Außerdem sollte die Wildbestandsregulierung unter Ausschöpfung aller rechtlichen und personellen Möglichkeiten erfolgen." Was das zu bedeuten hat, will Nationalpark-Chef Baier nicht kommentieren. Dabei gibt es da durchaus Möglichkeiten. Im Nationalpark Bayerischer Wald zum Beispiel werden sogenannte Gatterabschüsse praktiziert. Dabei wird das Rotwild, das im Umfeld einer Fütterung erlegt werden soll, in ein Gatter abgesondert und dann binnen kurzer Zeit Stück für Stück per Kopfschuss getötet. Die Methode ist nicht nur sehr effizient, sondern Experten zufolge außerdem tierschutzkonform. Unter Jägern freilich ist sie höchst umstritten.

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