Sondergipfel:Geld, Waffen, Sondertribunal: EU ringt um Hilfe für Ukraine

Sondergipfel: Der Sitzungssaal für den EU-Sondergipfel. Es ist fraglich, ob der Präsident der Ukraine hier bekommt, was er will.

Der Sitzungssaal für den EU-Sondergipfel. Es ist fraglich, ob der Präsident der Ukraine hier bekommt, was er will.

(Foto: Ludovic Marin/AFP)

Kurz vor dem Jahrestag des Kriegsbeginns ist Präsident Selenskij nach Brüssel gereist, um den Verbündeten zu danken. Dort ist man sich über mehrere Forderungen aus Kiew uneins.

Von Hubert Wetzel, Brüssel

Am Mittwoch war Wolodimir Selenskij in London und wollte von dort weiter nach Paris fliegen. Der ukrainische Präsident, der sein Land seit Beginn des russischen Überfalls nur zu einem Kurzbesuch in Washington verlassen hatte, sei "überraschend" angereist, hieß es in den Medien. Das traf zu: Die breite Öffentlichkeit in Großbritannien und Frankreich hatte keine Ahnung, dass Selenskij kommen würde.

An diesem Donnerstag wird Selenskij in Brüssel bei der EU erwartet. Geplant ist eine Rede vor dem Europäischen Parlament sowie eine Zusammenkunft mit den 27 Staats- und Regierungschefs der Union, die zu einem Gipfeltreffen in der Stadt sind. Anders als in London und Paris ist Selenskijs Besuch in Brüssel jedoch seit Tagen Allgemeinwissen. Übereifrige Mitarbeiter des Europaparlaments erzählten Journalisten schon am Montag davon - ein peinlicher Bruch des Sicherheitsprotokolls.

Eine EU-Mitgliedschaft im Schnellverfahren wird es nicht geben

Auch in anderer Hinsicht ist Selenskijs Reise mit Fragezeichen behaftet. Denn die Spitzen der EU - Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel - waren erst vorige Woche zu einem Gipfel in Kiew. Was die Union für die Ukraine an Hilfe im Moment verfügbar habe, sei bei dieser Gelegenheit zugesagt worden, sagen EU-Vertreter - etwas Neues sei nicht zu erwarten. Selenskij machte bei der Pressekonferenz nach den Gesprächen in Kiew auch nicht den Eindruck, als wolle er unbedingt sofort nach Brüssel fahren. Eine Erklärung ist daher, dass Selenskijs Besuch vor allem dem Ego von Ratspräsident Michel schmeichelt, der ihn eingeladen hat. Michel steht, was die politische Bedeutung betrifft, in einer gewissen Konkurrenz zu Kommissionspräsidentin von der Leyen. Die wiederum hat ein enges Verhältnis zu Selenskij.

Andererseits ist der Besuch in Brüssel für den ukrainischen Präsidenten aber auch eine Gelegenheit, der EU und Europas Steuerzahlern für ihre milliardenschwere Hilfe im Kampf gegen die russischen Invasoren zu danken. Dass Selenskij irgendwann nach Brüssel kommen würde, war daher absehbar. Nun wird er nicht nur einen Auftritt im Europäischen Parlament bekommen, sondern auch Gesprächszeit mit den Staats- und Regierungschefs, die über den Beistand für die Ukraine entscheiden.

Besonders viele neue politische Gaben wird Selenskij aber wohl nicht aus Brüssel mit nach Hause nehmen können. Die von ihm geforderte EU-Aufnahme im Schnellverfahren bis 2024 wird es nicht geben - diese Botschaft bekam Selenskij schon vorige Woche in Kiew. Bei zwei weiteren Forderungen Kiews ist die EU intern so uneins, dass rasche Fortschritte ebenfalls unwahrscheinlich sind.

Dabei geht es zum einen um das Vermögen der russischen Zentralbank, das auf Konten in der EU eingefroren ist. Brüsseler Angaben zufolge handelt es sich um mehr als 300 Milliarden Euro. Kiew möchte, dass dieses Geld an die Ukraine übergeben wird, um die Reparatur von Kriegsschäden oder die Versorgung von Flüchtlingen zu bezahlen.

Ukraine-Unterstützer im Osten Europas sehen die Lage völlig anders

Dagegen bestehen jedoch bei etlichen EU-Staaten - darunter Deutschland - erhebliche politische und juristische Bedenken. Russisches Staatsvermögen einfach zu enteignen und der Ukraine zu geben, würde dem völkerrechtlichen Prinzip der Staatenimmunität widersprechen. Auf dieses Prinzip jedoch verweist die Bundesregierung immer wieder vehement, zum Beispiel im Streit mit Italien, Griechenland oder Polen über Weltkriegsreparationen. Wenn EU-Staaten russisches Zentralbankgeld konfiszieren würden, was soll dann die Regierungen in Rom, Athen oder Warschau daran hindern, deutsches Staatsvermögen bei sich einzuziehen, etwa ein Goethe-Institut? Auch Frankreich mit seiner Kolonialgeschichte ist wohl nicht erpicht darauf, einen Präzedenzfall zu schaffen, der die Staatenimmunität aushebelt.

Die Ukraine-Unterstützer im Osten Europas sehen die Lage hingegen völlig anders: Die Regierungschefs von Estland, Lettland, Litauen und Polen forderten ihre Kolleginnen und Kollegen diese Woche in einem Brief ausdrücklich auf, bei dem Gipfeltreffen "kreativer" zu sein und Wege zu finden, das russische Zentralbankvermögen an die Ukraine weiterzuleiten. "Dieses eingefrorene Vermögen muss so bald wie möglich genutzt werden", heißt es in dem Schreiben, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Ein anderer Streitpunkt ist das von Kiew geforderte Sondertribunal, vor dem gegen die Verantwortlichen für den russischen Angriff auf die Ukraine verhandelt werden soll - einschließlich Präsident Wladimir Putin. Wie das rechtlich organisiert werden kann, ist umstritten. Eine mögliche Lösung wäre eine breite Mehrheit in der Generalversammlung der Vereinten Nationen, die dafür stimmt. Aber Diplomaten zweifeln daran, dass diese Mehrheit zustande käme. Zudem könnte - Stichwort Präzedenzfall - eine solche Mehrheit dann auch ein Sondertribunal billigen, das zum Beispiel den US-Angriff auf den Irak untersucht. Washington würde das kaum gutheißen.

Der Entwurf für die Abschlusserklärung des EU-Gipfels ist bei beiden Themen daher vage gehalten. Die Union werde weiter an Lösungen für das eingefrorene russische Geld und das Sondertribunal arbeiten, heißt es - eine typische Formulierung, die Meinungsunterschiede übertünchen soll. Wenn Selenskij Brüssel eher unzufrieden verlässt, wäre das daher keine Überraschung.

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