Kultur:Naiv und selbstverliebt in den Untergang

Kultur: Biedermann (Benjamin Hirt, rechts) ist so geschmeichelt von Brandstifter Schmitz (Gerhard Jilka), dass er ihm gleich noch das Feuer reicht.

Biedermann (Benjamin Hirt, rechts) ist so geschmeichelt von Brandstifter Schmitz (Gerhard Jilka), dass er ihm gleich noch das Feuer reicht.

(Foto: Günther Reger)

Die Neue Bühne Bruck inszeniert den Klassiker "Biedermann und die Brandstifter" als rasantes 50-Minuten-Stück, das für das Premierenpublikum zur fesselnden Lektion wird.

Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

So blöd kann man doch gar nicht sein. So blöd und naiv wie dieser Gottlieb Biedermann, der die Brandstifter auf seinem Dachboden nicht nur gewähren lässt, sondern sie bei ihren Vorbereitungen auch noch tatkräftig unterstützt, etwa wenn eine helfende Hand gebraucht wird, um das Zündkabel auf die richtige Länge zu bringen. Und je länger man als Zuschauerin oder Zuschauer der Premiere von "Biedermann und die Brandstifter" an der Neuen Bühne Bruck folgt, desto schwerer fällt über diese Absurditäten zu lachen. Weil sich immer mehr die schiere Verzweiflung über die sich deutlich anbahnende Katastrophe breitmacht.

In seiner Inszenierung vertraut Regisseur Ralph Hüttig dabei voll auf die Stärke des Textes und die Leistung seines Ensembles. Das Bühnenbild ist einfach gehalten, ein Sekretär, ein Schreibtisch, ein Sofa, ein Tisch. Fertig ist das spießbürgerliche Massivholz-Refugium des Haarwasser-Fabrikanten Gottlieb Biedermann (Benjamin Hirt) und seiner Frau Babette (Tina Münch), in dem außerdem noch das stets von seinen Arbeitgebern genervte Hausmädchen (Tanja Osman) herumkommandiert wird. Große Effekte braucht es nicht an diesem Abend, auch die Lacher sind wohl dosiert und effektiv gesetzt, etwa wenn der ehemalige Ringer und jetzige Brandstifter Schmitz (Gerhard Jilka) in rotem Sport-Outfit und Sixpack-Print-T-Shirt auftritt.

Es ist die großartige Ensembleleistung, die die Zuschauerinnen und Zuschauer durch die klug auf rasante 50 Minuten gekürzte Fassung trägt. Besonders herauszuheben ist dabei das Zusammenspiel der beiden Antagonisten Hirt und Jilka. Ersterer spielt seinen Biedermann als einwandfreies Arschloch, dem Profit wichtiger ist als Menschenleben, die große Geste näher als die kleine. Und Jilka? Dem gelingt ein schamlos dreist-schmieriger Typ, er spielt den heruntergekommenen Lebemann genauso überzeugend verschmitzt wie die Rolle des Opfers einer schlimmen Kindheit. Auch Roman W. Pauli als zweiter Brandstifter Willi Eisenring überzeugt als charmant-zuvorkommender Mann von Welt.

Gekonnt spinnen die beiden Brandstifter ein Netz aus Schmeicheleien, das sich langsam um Biedermann zuzieht. So langsam, dass er selbst nicht merkt, wie aus seiner Skepsis gegenüber den Besuchern, seiner durch Zeitungsberichte geweckten Angst vor den Serienbrandtätern, ein fatales Vertrauen wird. Fast ist man geneigt, Mitleid mit ihm zu bekommen, weil die beiden Bösewichte so gekonnt mit seinen Eitelkeiten, seinem Wunsch nach Anerkennung, nach Bestätigung dafür, dass er doch eigentlich ein guter Mensch ist, spielen. Und auch die zumindest anfangs noch skeptische Babette ist offen für die Schmeicheleien von Schmitz und zu wenig emanzipiert vom Patriarchen, trotz Hochsteckfrisur, Blumenkleid und langer Holzkette.

Regisseur Hüttig bleibt der literarischen Vorlage in seiner Inszenierung in ihrer Neutralität treu. An keiner Stelle gibt er, wie Autor Max Frisch selbst, Hinweise darauf, wie die Brandstifter denn nun zu interpretieren sind. Sind sie eine aktuelle Metapher für rechte Brandstifter, die die Wehrlosigkeit der sich wehrhaft wähnenden Demokratie schamlos ausnutzen und direkt vor ihren Augen einen Flächenbrand vorbereiten? Geht es um den historischen Aufstieg faschistischer Systeme? Oder doch um etwas ganz Anderes? So bleibt es den Besucherinnen und Besuchern überlassen, ihre eigenen Schlüsse aus dem Abend zu ziehen.

Mit dem Biedermann ist der Neuen Bühne jedenfalls ein fesselndes und gleichsam lehrreiches Stück gelungen. An den richtigen Stellen unterhaltsam, alles in allem aber tief nachdenklich machend und berührend.

"Biedermann und die Brandstifter", Neue Bühne Bruck. Nächste Vorstellungen: 25. und 26. Februar, 19., 25. und 26. März, 2., 15. und 29. April, Eintritt 17, ermäßigt neun Euro

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