"Return to Dust" im Kino:Kämpfen fürs kleine Glück

"Return to Dust" im Kino: Ein zynischer Deal wird zur zärtlichen Liebesgeschichte: Wu Renlin (links) und Hai Qing in "Return to Dust".

Ein zynischer Deal wird zur zärtlichen Liebesgeschichte: Wu Renlin (links) und Hai Qing in "Return to Dust".

(Foto: Rapid Eye Movies)

Li Ruijuns "Return to Dust" zeigt China als Obrigkeitsstaat ohne Herz für Außenseiter. Der Film, inzwischen verboten, hat davon umso mehr.

Von Fritz Göttler

Am Anfang ist der Esel in diesem Film, er taucht in der ersten Einstellung auf, guckt durch das Loch in seinem Stall. Und bleibt dann präsent im weiteren Verlauf, geduldig oder abwartend, manchmal die Nase neugierig in einen Sack steckend, manchmal wird er angeraunzt - "Der frisst mir noch die Haare vom Kopf!" -, und einmal darf er richtig losgaloppieren und einen Karren mit Getreide nach Hause bringen. Es ist schon das dritte Mal in in den letzten Wochen, nach Jerzy Skolimowskis "EO" und Martin McDonaghs "The Banshees of Inisherin", dass ein solches Tier in aktuellen Filmen präsent ist.

Das zweite Wesen ist dann Bruder Vier, er mistet gerade den Stall des Esels aus, dann tritt er in den Hof, wo die Schneeflocken wirbeln. Er soll endlich ins Haus kommen, wo die Familie Rat hält, die Frauen gerade eine Heirat für ihn arangieren. Youtie Ma, das ist der Name von Bruder Vier, soll Guiying heiraten, dann wäre er endlich weg vom familiären Hof und würde sich eine eigene Existenz als Bauer einrichten. Die Braut Guiying ist auf dem Heiratsmarkt eine Art "Ausschussware", sie gilt als zurückgeblieben, inkontinent und unfruchtbar.

Dieser grausame, zynische Deal ist der Beginn einer unglaublch zärtlichen Liebesgeschichte im Film "Return to Dust" von Li Ruijun. Es ist mühsam, sich im ländlichen China eine eigene Existenz aufzubauen, man ist von den Politfunktionären abhängig und von den Großgrundbeistzern, die immer noch über die Produktionsmittel bestimmen. Die Bauern werden betrogen bei den Pachtbedingungen, nur zögernd wird ihnen zugestanden, den Boden in Eigenverantwortung zu bebauen und die Ernte zu verkaufen. Der Sozialismus bedient sich sehr gut der alten feudalen Strukturen. Es gibt Prämien vom Staat, damit die leerstehenden kümmerlichen Hütten abgerissen werden. Youtie Ma ist der einzige im Dorf, dessen Blut Rhesusfaktor negativ hat, und weil das einer der Feudalherren dringend braucht, muss Ma unaufhörlich spenden.

Bald dringt dann doch eine ruhige Heiterkeit durch diese harte Existenz, durch das unverzagte Bemühen um Selbständigkeit, ein kleines Glück. John Ford oder Jean Renoir haben solche Filme gemacht, in den Vierzigern in Amerika, Filme, die ganz aus dem Rhythmus leben, nicht von der Dramaturgie. Das Ehepaar formt Ziegel aus Lehm und baut sich ein prächtiges eigenes Haus. "Binde dich fest, damit du nicht runterfällst", sagt Youtie Ma zu seiner Frau, denn sie haben sich zum Schlafen aufs Dach verzogen, da ist es luftiger. Es gibt eine wunderbare Transparenz in diesem Film, das Feuer vermittelt zwischen der materiellen und der jenseitigen Welt: Die beiden verbrennen Papiergeld, damit die Toten im Jenseits sich auch etwas leisten können.

Der Film, für wenig Geld gedreht, wurde ein Hit beim Publikum - bis die Zensur einschritt

Der Regisseur Li Ruijun ging zum Dreh in sein Heimatdorf in der nordwestchinesischen Provinz Gansu zurück, sein Film entstand mit wenig Geld und mit Laien aus dem Dorf, nur Hai Qing, die Guiying spielt, ist in China ein Star. Es ist ein aufregendes Gefälle zwischen ihr und Wu Renlin, der ihren Mann verkörpert, sie steckt in unförmigen Kleidern und Hosen und muss sich immer zurücknehmen, langsamer werden. Er schiebt sich bedächtig seine Mantous in den Mund, die chinesischen Klöße.

Ein Film für die Arthouses der Welt, er lief 2022 auf der Berlinale im Wettbewerb. Dann kam er in China in die Kinos und setzte sich, was den Publikumszuspruch betraf, bald gegen die großen Actionspektakel durch. Also warf die Zensurbehörde einen genaueren Blick auf den Film - und schon wurde er aus den Kinos verbannt und von den Streamingdiensten genommen. Elendstendenzen kann ein Regime, das seine Bürger rundum, das heißt autoritär versorgen will, nicht gestatten.

"Return To Dust" nimmt sich Zeit, man erlebt, erfühlt, wie etwas sich herausbildet, wie zwischen den beiden Menschen etwas erwächst. Was suspekt wirkt in einer Gesellschaft, die mit der Revolution argumentiert, mit Eingriff, Abriss und Neuaufbau. Grausam lächerlich, dass den beiden gegen Ende eine Wohnung in einem Hochhaus in der Stadt angeboten wird, vom Staat, das ist als Würdigung gedacht. "Und wo soll mein Esel hin?"

Das bittere Ende ist offenbar von der Zensur abgemildert - wenn die Dorfbewohner Guiying gemein im Stich lassen. Was bleibt, ist eine kleine Blume, mit Weizenkörnern auf die Hand gedrückt. Ein Bulldozer fährt vor, und der Esel zieht sich am Schluss zurück aus dem Bild.

Yin ru chen yan, China 2022 - Regie, Buch, Schnitt: Li Ruijun. Kamera: Wang Weihua. Musik: Peyman Yazdanian. Mit: Wu Renlin, Hai Qing. Rapid Eye Movies, 131 Minuten. Kinostart: 2. März 2023.

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