Dem Geheimnis auf der Spur:Der kleine Diktator

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Auf Kostümfesten verkleidete sich Charlie Chaplin gerne als Napoleon. (Foto: mauritius images/Pictorial Press Ltd/Alamy)

Jahrelang wollte Charlie Chaplin einen Film über Napoleon drehen, aber das ambitionierte Projekt scheiterte immer wieder.

Von Fritz Göttler

Jeder Schauspieler hat das Verlangen, Napoleon zu spielen, davon war Charles Chaplin überzeugt - diesen Mann mit der in die Weste geschobenen Hand, den dunklen traurigen Augen, so viel faszinierender als die von Christus. Sein Vater, hatte Charlies Mutter immer gesagt, sehe aus wie Napoleon. Als Chaplin dann in den Zwanzigern, weltberühmt und sehr reich geworden durch seine Slapstick-Comedies, neue, nicht unbedingt komische Filmstoffe suchte für die Frauen an seiner Seite, bastelte er 1922 für die damalige Partnerin Edna Purviance an einer Geschichte um Josephine, die Frau Napoleons. Er gab das Projekt dann wieder auf und entschädigte Purviance 1923 mit dem Melodram "A Woman of Paris". 1926 tauchte er schon mal als Napoleon auf, bei einem der legendären Kostümfeste von Marion Davies, an seiner Seite die neue Frau Lita Grey als Josephine.

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Napoleon war eine große Nummer im Kino. Marlon Brando und Rod Steiger, zwei gestandene Method-Akteure, arbeiteten sich mächtig an der Rolle ab. Und große Filmemacher steckten viel Arbeit in ihre Napoleon-Visionen. Stanley Kubrick sammelte Berge von Material für einen monumentalen (nie realisierten) Film. Francis Coppola finanzierte die Rekonstruktion von Abel Gances Fünfeinhalbstünder "Napoléon", aus dem Jahr 1927, inklusive einer neuen Musik von seinem Vater. Ridley Scott stellt gerade seinen Napoleon-Film fertig, mit Joaquín Phoenix als Hauptdarsteller.

In London traf er einen prominenten Befürworter des Projekts: Winston Churchill

Die Dreißiger hindurch hatte auch Chaplin an einem Napoleon-Film gewerkelt. Die Geschichte dieses Projekts ist ausführlich dokumentiert in der großen Chaplin-Biografie von David Robinson, 1985 und im Buch "Chaplin's War Trilogy" von Wes D. Gehring. Außerdem gibt es eine Featurette von Cecilia Cenciarelli, "Chaplin's Napoleon and The Great Dictator", auf Youtube zu sehen. Sie alle können nicht angeben, weshalb Chaplin das Projekt fallen ließ, aber es ist evident, dass einiges von dieser Arbeit in den Film einging, den Chaplin 1940 einer anderen Tyrannenfigur widmete, Adolf Hitler in "The Great Dictator".

In diesem Film spielt Chaplin eine Doppelrolle, einen kleinen jüdischen Friseur und den Diktator Adenoid Hynkel, am Ende wird der Friseur mit dem grimmigen Herrscher verwechselt und hält eine flammende Rede für Freiheit und Frieden. Auch im Fall von Napoleon gab es, hochattraktiv für Chaplin, einen Doppelgänger, den die Briten anstelle Napoleons in die Verbannung schickten.

Anders als seine amerikanischen Slapstick-Kollegen war Chaplin sehr interessiert an Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Nach seinem Film "City Lights" begab er sich auf eine sechzehnmonatige Welttour, in Europa traf er dabei viele Politiker und Wissenschaftler, von Einstein bis H.G. Wells. In Frankreich wies man ihn auf den Roman "La vie secrète de Napoléon Premier" von Pierre Weber hin - und sein Bruder Sydney war sofort begeistert von dem Projekt: Mal ein dramatischer Film mit Charlie! Und einer, in dem er erstmals sprach! Noch einen anderen Fürsprecher für das Projekt traf Chaplin in London, der eifrig Napoleon-Bücher und -Devotionalien sammelte, Winston Churchill. "You must do it!", beschwor er Chaplin.

Der Film sollte eine starke pazifistische Botschaft haben

Zurück in Hollywood schrieb Chaplin im Sommer 1934 an einem Napoleon-Script mit dem jungen Briten Alistair Cooke - das nicht erhalten ist, es wurde nicht verfilmt. Anfang 1936 wurde ein weiteres Napoleon-Script fertiggestellt, gemeinsam mit John Strachey, einem großen jungen Linksintellektuellen Englands. Das Double-Motiv war hier sehr stark wie auch die pazifistische und humanistische Botschaft (die dann im "Great Dictator" dominant wurde), und auch für die Lebensgefährtin Paulette Goddard, die schon in "Modern Times" spielte, gab es eine schöne Rolle.

Bei David Robinson werden Sätze aus dem Script zitiert, die Napoleon zum Visionär des 20. Jahrhunderts machen: "Mit der gesamten politischen Struktur Europas stimmt etwas nicht ... Regierungen und Verfassungen sind veraltet, obsolet ... Ich meine, die Zeit der Kriege und der Aggression ist ein für allemal vorbei ... Man kann mehr durch Verträge, Freundschaft, kommerzielles Verständnis erreichen ... Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte, würde ich die Macht meiner Siege dazu benutzen, alle Länder Europas zu einem kompakten Staat zu vereinen ..."

Was das Komische an Napoleon angeht, machte Chaplin später einige Anmerkungen: "Also, Napoleon hatte ein Double. Und diesen Doppelgänger schickten die Briten nach Elba und nach St. Helena. Der wirkliche Napoleon dagegen lebte in aller Ruhe in Paris, hatte einen Bücherstand beim Pont de l'Alma. Er wurde Pazifist und gab seine Einkünfte an die Witwen und Kinder der Kriegsveteranen ... Als Napoleons Double starb, wurde die Leiche von der britischen Marine zurückgebracht und den Franzosen zum Begräbnis übergeben ... Ganz Paris strömte auf die Straßen ... Es ist eine große Massenszene, mit dieser Szene eröffne ich den Film ... Der wirkliche Napoleon ist wie immer mit seinem Bücherstand beschäftigt; das Geschäft geht besonders gut an diesem Tag. Als das Begräbnisschiff langsam die Seine entlangsegelt - ein Schwenk in eine Großaufnahme von ihm -, murmelt er: The news of my death is killing me."

Das destruktive Potenzial bringt Slapstick und Diktatur auf bestürzend groteske Weise zusammen. Wie der große Diktator Hynkel mit der Welt spielt, bis ihm der Globus platzt, das hat eine perverse Eleganz, man kann es sich allerdings nicht vorstellen mit einer Figur wie Napoleon. Und was das Verlangen angeht, Napoleon zu verkörpern, meinte Chaplin nach seinem "Great Dictator": "Ich bin es losgeworden, ich habe jetzt Napoleon und Hitler und den verrückten Zaren Paul gespielt, alle in einem."

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