Artenschwund im Meer:Nichts wie weg - aber wohin?

Artenschwund im Meer: Rotmeer-Anemonenfische schwimmen im Golf von Akaba vor Jordanien: Korallen-Ökosysteme wie dieses sind besonders durch die Klimakrise gefährdet.

Rotmeer-Anemonenfische schwimmen im Golf von Akaba vor Jordanien: Korallen-Ökosysteme wie dieses sind besonders durch die Klimakrise gefährdet.

(Foto: IMAGO/Nicolas Economou/IMAGO/NurPhoto)

Die tropischen Meere könnten infolge des Klimawandels für bis zu 88 Prozent der heimischen Arten unbewohnbar werden. Viele Fische wandern in Richtung der Pole - doch dort lauern neue Gefahren.

Von David Zauner

Unter der Meeresoberfläche herrscht Umbruchstimmung. Abertausende Arten wandern durch die Ozeane, auf der Suche nach neuen Lebensräumen. Besonders in den Tropen flüchten die Tiere vor dem aufgeheizten Meereswasser. Und die Wanderungen könnten sich in den kommenden Jahrzehnten noch deutlich beschleunigen.

Falls die Erderwärmung nicht deutlich gebremst wird, könnte bis 2100 die Hälfte aller marinen Arten jeweils die Hälfte ihres Lebensraums verlieren, wie eine kürzlich im Fachjournal Global Change Biology erschienene Studie zeigt. Das Forscherteam um Dorothee Hodapp vom Helmholtz-Institut für Funktionelle Marine Biodiversität an der Universität Oldenburg untersuchte die zukünftige Verbreitung von mehr als 33 500 Arten unter unterschiedlichen Emissionsszenarien. Dazu prognostizierten sie, inwiefern sich Eigenschaften wie die durchschnittliche Wassertemperatur oder der Sauerstoff- und Salzgehalt der aktuellen Verbreitungsgebiete verändern und für die jeweiligen Arten geeignet bleiben.

In einem Szenario mit besonders hohen Treibhausgasemissionen werden demnach die tropischen Meere für 88 Prozent der dort vorkommenden Tierarten bis 2100 unbewohnbar. Im Szenario mit niedrigen Emissionen sind es acht Prozent, bei dem mittleren 24 Prozent. Rainer Froese vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung (Geomar) in Kiel geht vom Schlimmsten aus, wenn nicht bald ein Kurswechsel stattfindet. "Mittlerweile ist das höchste Emissionsszenario auch das wahrscheinlichste", sagt der Meeresbiologe und Mitautor der Studie.

Auch Haie wandern in kältere Gefilde. Dort treffen sie auf leichte Beute

Neue Untersuchungen zeigen, dass marine Ökosysteme sogar stärker unter dem Klimawandel leiden als die an Land. Wasser ist träge und zeigt geringe tageszeitliche Temperaturveränderungen. Dementsprechend sind viele Meerestiere schlecht an große Schwankungen angepasst und reagieren sensibel. Schon heute nimmt der Artenreichtum in den Tropen ab und dafür in mittleren Breiten zu. Tropische Meerestiere wandern auf der Suche nach kälterem Wasser nach Süden und Norden. Das raubt nicht nur Küstengemeinschaften ihre Lebensgrundlage, sondern stellt Ökosysteme weltweit vor Herausforderungen.

Die Wanderbewegungen unter Wasser führen laut der Studie zu neuen Artenkonstellationen und Ökosystemen. Auf lange Sicht könnten sich diese stabilisieren, unmittelbar aber gefährdet die Invasion neuer Arten bestehende Systeme. Raubfische erschließen sich beispielsweise neue Gebiete mit unangepassten Beutetieren. So halten sich Haie im kalten Wasser des Südpolarmeeres bislang nur sporadisch auf. Der Anstieg der Meerestemperatur ermöglicht es den Raubtieren allerdings, jedes Jahr weiter polwärts zu wandern. Dort heimische Tierarten haben keinen Schutz vor den ungewohnten Räubern. "Wir kennen das von Inseln mit flugunfähigen Vögeln. Als dort Katzen oder Hunde eingeschleppt wurden, dauerte es wenige Jahre und diese Vögel waren ausgerottet", sagt Froese.

Und nicht nur der Temperaturanstieg setzt den Meeren zu. Hans-Otto Pörtner, Klimaforscher am Alfred-Wegener-Institut und Leitautor der IPCC-Arbeitsgruppe II, spricht von einem "tödlichen Trio" im Meer: Temperaturanstieg, Sauerstoffknappheit und Übersäuerung. Alle drei Faktoren schränken den Lebensraum der Meerestiere ein und stehen in einer komplexen Wechselwirkung.

So speichert wärmeres Wasser weniger Sauerstoff. Während sich also die Wassertemperatur erhöht und dadurch auch der Stoffwechsel und Sauerstoffbedarf der Tiere zunimmt, fehlt eben genau dieser. Daraus ergeben sich artspezifische Temperaturgrenzen. Für die meisten Tropenfische liegen diese um die 35 Grad Celsius. Das wird schon heute an einigen Küsten und Lagunen zeitweise überschritten. Für viele Korallen-Ökosysteme liegt die Grenze bereits bei 29 Grad.

"Wir wissen nicht, wo der Kipppunkt liegt, aber wir wissen, dass er nah ist"

Hinzu kommt, dass die Ozeane große Mengen CO₂ aus der Atmosphäre aufnehmen. Das Gas reagiert mit Wasser und bildet Kohlensäure. Eine Übersäuerung des Wassers ist besonders für kalkbildende Arten und Ökosysteme wie Muscheln, Seeigel sowie Korallen problematisch. Bisher gebe es kaum Belege dafür, dass der sinkende pH-Wert großen Schaden anrichtet, sagt Meeresbiologe Froese. Aber das Wasser werde von Jahr zu Jahr saurer. "Wir wissen nicht, wo der Kipppunkt liegt, aber wir wissen, dass er nah ist."

Die Übersäuerung setzt die Meerestiere unter zusätzlichen Stress. Jede Art ist für ihr Überleben auf ein Temperaturfenster angewiesen. "Wenn nun der Sauerstoff knapp wird, verengt sich dieses Temperaturfenster, und wenn dazu noch eine CO₂-Anreicherung stattfindet, verengt es sich eben noch weiter", erklärt Klimaexperte Hans-Otto Pörtner.

Wie wichtig der Schutz von Ökosystemen und der Biodiversität ist, kommt langsam auch in der Politik an. Auf der UN-Biodiversitätskonferenz vergangenen Dezember beschlossen die Delegationen, bis 2030 weltweit 30 Prozent der Fläche an Land und in den Meeren unter Schutz zu stellen. Ein wichtiges Etappenziel, findet Pörtner. Allerdings müsse dieser globale Durchschnittswert auf konkrete Ökosysteme heruntergebrochen werden. 30 Prozent unter Schutz zu stellen, sei für einige Ökosysteme sicher zu wenig, um ihren Erhalt zu sichern, sagt er.

Neben der Erderwärmung setzen auch die Verschmutzung und Überfischung der Meere vielen Arten zu. Stress und unnatürlich kleine Populationen als Folge der Überfischung führen zu einer geringeren Anpassungsfähigkeit betroffener Arten. Gerade die Überfischung ließe sich schnell und einfach stoppen, argumentiert Froese. "Wir müssen die Subventionen an die Fischerei beenden. Das kostet uns nichts und es wäre ein riesiger Beitrag, um unsere Meere zu schützen und ihren Bewohnern die Möglichkeit zu geben, sich an den Klimawandel anzupassen."

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