Deutsche Nationalbibliothek:Vier Milliarden Tweets fürs Archiv

Deutsche Nationalbibliothek: Im Lesesaal der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig soll die Nachwelt auch in vielen Jahren noch nachforschen können, wie zum Beispiel Christian Lindner seinen ersten Tweet formuliert hat.

Im Lesesaal der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig soll die Nachwelt auch in vielen Jahren noch nachforschen können, wie zum Beispiel Christian Lindner seinen ersten Tweet formuliert hat.

(Foto: Stefan Noebel-Heise/imago)

Die Deutsche Nationalbibliothek will alle jemals gesendeten deutschsprachigen Twitter-Nachrichten für die Nachwelt speichern. Damit das Herunterladen nicht Jahrzehnte dauert, werden freiwillige Helfer gesucht.

Von Iris Mayer, Leipzig

Seit ihrer Gründung 1913 sammelt die Deutsche Nationalbibliothek alle Publikationen in Schrift, Bild und Ton, die in und über Deutschland oder in deutscher Sprache veröffentlicht werden. So will es der gesetzliche Sammelauftrag, und so geschieht es an den Standorten der zentralen Archivbibliothek Deutschlands in Leipzig und Frankfurt am Main. Deswegen türmen sich die Bestände auf gut 410 Regalkilometern, jedes Jahr kommen 7,4 Kilometer oder 2,3 Millionen Werke in den Magazinen hinzu. Systematisch erfasst, katalogisiert und dauerhaft eingelagert bilden sie so etwas wie das Gedächtnis der Nation.

Seit 2006 sammelt die Deutsche Nationalbibliothek auch digitale Werke, archiviert regelmäßig Momentaufnahmen wichtiger Websites mit der Topleveldomain .de - mehr als zehn Millionen Netzpublikationen kommen so zusammen. Inhalte aus sozialen Netzwerken gehören bislang nicht dazu, doch nun wollen die Archivare möglichst schnell alle deutschsprachigen Tweets sichern, vier Milliarden an der Zahl. Denn seit Elon Musk den Kurznachrichtendienst übernahm, haben viele Nutzerinnen, Politiker und Prominente ihre Profile und Beiträge gelöscht. Was man persönlich oder gesellschaftlich nicht zwangsläufig als Verlust begreifen muss, gefährdet aus Sicht der Sammler aber ein Kulturgut.

Anfang Februar kündigte Twitter zudem an, die Datenschnittstellen für wissenschaftliche Auswertungen zu kappen, für Projektleiterin Britta Woldering der letzte Anstoß fürs große Speichern. Um das Kurzzeitgedächtnis der Nation für die Ewigkeit zu konservieren, braucht sie Nutzer mit wissenschaftlichen Zugängen, denn die haben Zugriff aufs komplette Twitter-Archiv und können zehn Millionen Tweets pro Monat downloaden. Eine Einzelkämpferin würde so immer noch 33 Jahre brauchen, um alle deutschsprachigen Tweets abzuspeichern. Findet Woldering 400 Unterstützer mit wissenschaftlichem Twitter-Login, sind die Daten innerhalb eines Monats gesichert. Die Archivserver für die dauerhafte Speicherung stellt die Deutsche Nationalbibliothek zur Verfügung.

"Und: Hallo, Twitter!" vom Kanzler

Beim Download gehen die Experten streng chronologisch vor. Bis Ende vergangener Woche konnten die deutschsprachigen Beiträge aus den Jahren 2006 bis 2010 gesichert werden. Das klingt viel, umfasst aber gerade mal 50 Millionen. Immerhin bleiben der Nachwelt damit klassische Begrüßungstweets deutscher Politiker erhalten, so wie die schüchtern anmutende Frage von Christian Lindner (FDP) aus dem März 2010: "Wer möchte mein erster Follower sein? ;-) " Damals fanden sich nur sechs Likes, bis heute immerhin mehr als 680 000 Follower.

Bis auch das Twitterdebüt vom ersten offiziellen Bundeskanzler-Account "Und: Hallo, Twitter!" aus dem Februar 2022 für Bibliotheksnutzer gespeichert sein wird, braucht es mehr als die Handvoll Unterstützer, die bislang mitmachen. Vermutlich werde das Archiv später eher für systematische Datenanalysen genutzt als für die Suche nach einzelnen Accounts oder Politikerzitaten, sagt Woldering. Gelingt die Archivierung, können Forscher und neugierige Bürger irgendwann in den Lesesälen in Leipzig oder Frankfurt die historischen Twitter-Timelines am Rechner durchforsten.

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