Nationalsozialismus:"Eine Heldin der Freiheit und der Menschlichkeit"

Nationalsozialismus: Traute Lafrenz leistete an der Seite von Hans und Sophie Scholl Widerstand gegen das Regime der Nationalsozialisten.

Traute Lafrenz leistete an der Seite von Hans und Sophie Scholl Widerstand gegen das Regime der Nationalsozialisten.

(Foto: Quelle: Wikipedia)

Traute Lafrenz, die letzte Überlebende der Widerstandsgruppe Weiße Rose, stirbt im Alter von 103 Jahren in South Carolina. Ein Nachruf.

Von Willi Winkler, Hamburg

In ihrem Elternhaus galt die Kultur als hohes Gut, mit Begeisterung wurde Schiller, Goethe, Lessing und auch Fichte gelesen. Sie nannte es das "andere Deutschland", doch im Zweifel schützt die schönste Kultur nicht vor der Barbarei. 1940 musste Ralph Giordano das Hamburger Johanneum, die sogenannte Gelehrtenschule, verlassen, weil er Jude war. Der Schriftsteller Walter Jens warf sich später vor, nicht zu seinem Mitschüler gehalten zu haben, aber es hätte "zu viel gekostet. Wenn du konsequent gewesen wärst, hättest du das Kriegsende nicht erlebt".

Jens überlebte, die fast gleichaltrige Traute Lafrenz widersetzte sich dem Regime und erlebte das Kriegsende 1945 nur mit sehr viel Glück. Als Studentin in München hatte sie Hans und Sophie Scholl kennengelernt, die zum Widerstand gegen das Regime bereit waren. Die Flugblätter, die sie nachts auslegten und verteilten, waren lebensgefährliche Konterbande, die sich unter der Hand rasch verbreiteten. Abschriften gelangten bis nach England, und die Royal Air Force warf sie über einem trotzig hitlertreuen Deutschland ab.

Traute Lafrenz brachte eines dieser Flugblätter ihren Hamburger Freunden mit und geriet damit selber in Gefahr. Nachdem die Gestapo die Geschwister Scholl im Februar 1943 verhaftet hatte, wurde auch sie vor den Volksgerichtshof gestellt. Während ihre Münchner Freunde zum Tode verurteilt und sofort hingerichtet wurden, konnte sie ihre Beteiligung verschleiern und kam mit einem Jahr Gefängnis wegen "Mitwisserschaft" davon. Nach ihrer Entlassung wurde sie erneut angeklagt und wanderte von einem Gefängnis ins andere, bis sie am 15. April 1945, zwei Wochen vor Hitlers Selbstmord, in Bayreuth von amerikanischen Truppen befreit wurde.

An ihrem hundertsten Geburtstag erhielt sie das Bundesverdienstkreuz

Traute Lafrenz war schon vorher im Glück, weil sie an der Hamburger Lichtwarkschule eine reformbegeisterte Lehrerin hatte, die nicht bereit war, mit dem Regime zu kollaborieren, die also die deutsche Bildung nicht im Bücherschrank ließ, sondern gegen die Machthaber wendete. Während die anderen über die Hitlerjugend und den Bund deutscher Mädel in der Volksgemeinschaft aufgingen und konsequent zu Mitträgern des Dritten Reiches wurden, hatte Lafrenz in der Schule gelernt, dass Bildung nicht Unterwerfung unter Unrecht heißen konnte.

Den Mitläufern und Nutznießern des Dritten Reiches, die nach der Kapitulation im Amt und an der Macht blieben, galt der Widerstand gegen das Nazi-Regime lange noch als Verrat. Die Anerkennung kam spät. Zu ihrem hundertsten Geburtstag verlieh Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Traute Lafrenz das Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, weil sie zu den wenigen gehörte, "die angesichts der Verbrechen der Nationalsozialisten den Mut hatten, auf die Stimme ihres Gewissens zu hören und sich gegen die Diktatur und den Völkermord an den Juden aufzulehnen".

Traute Lafrenz hatte Deutschland bereits 1949 verlassen und ihr Medizinstudium in San Francisco abgeschlossen. Sie heiratete einen Arzt und leitete über Jahrzehnte eine heilpädagogische Schule. Am vergangenen Montag ist Traute Lafrenz im Alter von 103 Jahren in South Carolina in den USA gestorben. "Sie war", wie Steinmeier bei der Ordensverleihung erklärt hatte, "eine Heldin der Freiheit und der Menschlichkeit."

Zur SZ-Startseite

SZ PlusGeschwister Scholl
:Darf man den Tod ausstellen?

Die Guillotine, mit der auch die Mitglieder der Weißen Rose vor achtzig Jahren hingerichtet wurden, steht im Depot des Bayerischen Nationalmuseums. Besichtigen darf sie keiner. Über die Grenze zwischen Aufklärung und Voyeurismus.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: