Wirtschaft:Genosse Söder auf Gewerkschaftskurs

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Stahlkocher demonstrierten bei einer Kundgebung von Beschäftigten der Lech-Stahlwerke (LSW) mit bengalischen Feuern. Die IG Metall rief zu einem bundesweiten Aktionstag für die Einführung von Strompreisbremsen für die Industrie auf. (Foto: Stefan Puchner/dpa)

Bayerns Ministerpräsident spricht auf einer Gewerkschaftskundgebung am Standort der Lech-Stahlwerke in Meitingen. Seine Ausführungen zur Industrie- und Energiepolitik kommen bei der verunsicherten Belegschaft gut an.

Von Melissa Dennebaum, Andreas Glas und Jan Werner, Meitingen

Die Lech-Stahlwerke im schwäbischen Meitingen sind zwar nicht der größte Arbeitgeber im Freistaat, aber wenn es um den Energiebedarf geht, zählen sie zur Spitze: Mehr als eine Million Tonnen Stahl werden dort jedes Jahr zumeist aus Schrott produziert. Der Jahresverbrauch liegt bei etwa 800 Gigawattstunden Strom, das entspricht etwa einem Prozent des bayerischen Gesamtbedarfs. Entsprechend groß ist die wirtschaftliche Not der Lech-Stahlwerke angesichts der Energiepreis-Explosion. Zeitweise hatten sich die monatlichen Kosten verzehnfacht, im Frühjahr 2022 wurde deshalb vorübergehend die Produktion ausgesetzt. Derzeit liegt die Stromrechnung vier bis fünfmal so hoch wie vor dem Krieg in der Ukraine.

Am Donnerstag hatten die Gewerkschaften IG Metall, IG BCE und IG BAU gemeinsam zu Demonstrationen aufgerufen, um für günstige Industriestrompreise zu werben. Der Überraschungsgast in Meitingen: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, der bisher nicht unbedingt mit übertriebener Nähe zu den Gewerkschaften aufgefallen ist. Er nutzte die Gelegenheit, um für die Energiepolitik der Staatsregierung zu werben - und den Weiterbetrieb des Atomkraftwerks Isar 2, das in wenigen Wochen vom Netz gehen soll.

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Bei der verunsicherten Belegschaft der Lech-Stahlwerke traf er damit den Nerv. Viele der 800 Beschäftigten haben Angst um ihren Job. "Wenn der Strompreis weiter steigt und wir nicht produzieren können, haben wir keinen Arbeitsplatz mehr", sagte beispielsweise Kathrin Laurer. Ihre Kollegin Marion Wörndr pflichtete ihr bei: "Das bedeutet eigentlich, dass man kurz vor der Insolvenz steht, wenn man nicht wirtschaften kann." Die schwankenden Strompreise spüre das Stahlwerk auch in der Planung. "Manche Bereiche produzieren relativ kurzfristig und dann zu 80 Prozent an den Wochenenden. Die kurzfristigen Umschwenkungen machen dem Arbeitgeber viel zu schaffen", sagt sie.

Ein Grund für die Misere: Es gibt im Gegensatz zu anderen Ländern Europas keinen eigenen Industriestrom-Tarif, der zur Planungssicherheit beitragen könnte. Torsten Falke, Leiter des Bezirks Augsburg der Gewerkschaft IGBCE, forderte deshalb auf der Kundgebung: vier Cent je Kilowattstunde.

Das Bitten aus Meitingen ist zumindest in München auf offene Ohren gestoßen. Dass sich Ministerpräsident Söder auf derlei Veranstaltungen blicken lässt, passiert wahrlich nicht alle Tage. CSU und IG Metall, Seit an Seit, das ist ein eher ungewöhnliches Schauspiel. Natürliche Partnerin der Gewerkschaften ist bekanntlich die SPD. Doch mittlerweile zeigt sich immer wieder mal ein Spalt in dieser Beziehung. Und Söder scheint Freude daran zu haben, seinen Keil in diesen Spalt zu treiben. Zum Beispiel im Sommer 2020, als der CSU-Chef neben der Kaufprämie für E-Autos eine Prämie für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren forderte, während sich die Sozis sperrten. Er wundere sich, dass die SPD die Industrie so im Stich lasse, das war die Botschaft, die Söder damals streute - und sich mehr oder weniger subtil als den besseren Freund der Arbeiterschaft anpries.

Die Transformation in der Industrie bedroht ja nicht nur die Firmen, sondern auch die Jobs, das macht den Anschluss der CSU an die Gewerkschaften leichter, und umgekehrt. Vor ein paar Tagen erst traf sich Söder mit den Spitzen der bayerischen Gewerkschaften - und durfte sich hinterher Nettigkeiten von Bernhard Stiedl abholen, dem Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbunds Bayern (DGB). Stiedl lobte den stets "guten Austausch" mit dem Ministerpräsidenten und bemerkte "positive Signale" der Staatsregierung, der Arbeiterschaft in der Transformation beizustehen. Söder kuschelte zurück: "Wir unterstützen Gewerkschaften und Betriebsräte bei ihrer wichtigen Arbeit." Man wolle sich "für Industriearbeitsplätze und faire Energiepreise in Bayern einsetzen", und zwar, das betonte er: "gemeinsam".

Ministerpräsident Markus Söder sprach bei der Kundgebung von Beschäftigten der Lech-Stahlwerke mit Max Aicher, dem Gründer der Unternehmensgruppe. (Foto: Stefan Puchner/dpa)

Was man natürlich im Kopf haben darf, als Zeuge solcher Verbrüderungsszenen: Es ist Wahljahr in Bayern und Söder weiß, dass der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder, die ihre Kreuzchen bei der SPD machen, seit Jahren schrumpft. Die CSU wiederum will ihr Profil in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik schärfen. Einer wie Söder erkennt da Synergiepotenziale. Seinen Auftritt in Meitingen, vor mehreren Hundert Leuten, darf man deshalb auch als Versuch werten, die Wählerbasis der CSU zu verbreitern. In seiner Rede am späten Donnerstagnachmittag mischte sich daher wenig überraschend unter die Ankündigung, den Lech-Stahlwerken - falls das Unternehmen dies denn wolle - bei einer eigenen Wasserstoff-Strategie unter die Arme zu greifen, auch eine Melange Söder-typischer Giftpfeile in Richtung der politischen Konkurrenz. Insbesondere Wirtschaftsminister Robert Habeck bekam Söders Schelte einmal mehr zu spüren.

Damit spielte der Ministerpräsident auch seinen Vorrednern von der IG-Metall in die Karten, die sogar noch schärfer gegen Habeck schossen. "Herr Habeck, Sie zimmern seit über einem Jahr an unserem Sarg. Sie sind dabei, unsere Wirtschaft zu Grabe zu tragen", sagt Stefan Janik, der Betriebsratsvorsitzende der Lech-Stahlwerke. Wenige Wochen vor der Stilllegung des Kernreaktors Isar 2 spart Söder auch nicht, erneut darauf anzuspielen, dass dies unter aktuellen Gegebenheiten ein Fehler sei. Im Hinblick auf die bayerische Ökostromstrategie betonte er die Ausnahmestellung des Freistaats.

"Wollen wir eigentlich noch Industrie haben? Wollen wir Stahl haben? Wollen wir Autos haben?" Söder ergänzte seine rhetorischen Fragen: "Ohne Industrie hat Deutschland keinen Wohlstand in der Zukunft. Das wollen wir auf keinen Fall." Für solche Worte schallte Applaus durch die Reihen der Zuhörer, zustimmendes Pfeifen mit den Trillerpfeifen. Der Ministerpräsident hat die Meitinger besänftigen können. Ob der geforderte Industriestrompreis damit nun in greifbarer Nähe ist, liegt nicht in seinen Händen.

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