Interview mit Hitler-Leibwächter Rochus Misch (II):"Jetzt wird der Chef verbrannt"

Hitler-Leibwächter Rochus Misch 2005 Foto: Patrick Das Gupta

Rochus Misch im April 2005

(Foto: Das Gupta)

Hitler-Leibwächter Rochus Misch spricht im zweiten Teil des SZ-Interview über die letzten Tage im Führerbunker 1945.

Oliver Das Gupta, Berlin

SZ: Sie verbrachten fünf Jahre bei Hitler. Am Ende soll er einem Wrack geglichen hatten. Haben Sie etwas von seinem körperlichen Verfall bemerkt?

Rochus Misch: Ja, das hat man beobachten können. Ein bisschen zusammengefallen war er am Ende schon. Wobei: Ein Fremder hat das besser bemerkt als wir, die mit ihm ständig zusammen waren. (Pause) Arme Kreatur, mein Gott, was hatte der Mensch vom Leben? Überhaupt nichts.

SZ: Vergangenes Jahr lief mit großem Erfolg "Der Untergang" in den Kinos, auch Rochus Misch tauchte als Figur auf. Sie haben den Film auch gesehen. Fanden Sie, dass das Ende authentisch dargestellt war?

Misch: Das ist ja ein Spielfilm und keine Doku. Das ist alles übertrieben. So aufregend und spannend war es nicht. Jeder flüsterte nur noch. Ich war der einzige, der noch laut geredet hat am Telefon, weil die Stimmung wie in einer Totenkammer war. Hitler hat auch nicht so laut gesprochen.

Jetzt will mich jemand besuchen, der will nur die letzte Stunde Hitlers wissen. Dabei geht Hitlers letzte Stunde vom 22. April bis zum Tod. Das ist die letzte Stunde. Denn am 22. April hat er alle entlassen. Alle weg. Er sagte: "Bis auf die, die blieben müssen, weil es nun mal nicht anders geht."

Mein Kommandochef sagte zu mir: "Herr Misch, ich habe für Ihre Frau im letzten Flugzeug einen Platz reservieren können. Holen Sie jetzt Ihre Frau."

Ich bin nach Hause, aber meine Frau sagte, sie wollte die Eltern nicht alleine lassen. Dann bin ich zurück (zur Reichskanzlei) und fragte den Funker: "Gibt es was für den Chef, ich gehe jetzt runter."

Er sagte: Nein, es liegt nichts vor. Nach einer Stunde kam er ganz aufgeregt zu (Heinz) Lorenz. Er hatte einen alliierten Funkspruch abgefangen.

Die Deutschen haben die Möglichkeit, Berlin 14 Tage bis drei Wochen zu verteidigen, hieß es. Ich fragte Lorenz, wie der Chef reagiert hätte. Lorenz erzählte, Hitler hätte gesagt: "Der Krieg ist doch verloren."

Wir waren nur noch zwei, die immer da (im Führerbunker) waren. Das waren der (Johannes) Hentschel und ich. Er sorgte für Licht und Wasser, und ich für das Telefon und Fernschreiber, Kontakt nach außen.

Das musste ja funktionieren. Die anderen kamen nur zur Besprechung und gingen dann wieder weg. Der Bunker war ja viel zu klein. Ich habe auch unten geschlafen, hinter meinem Arbeitsplatz hatte ich eine Matte.

SZ: Was sind ihre letzten Erinnerungen an den lebenden Hitler?

Misch: Als ich ihn das letzte Mal lebend gesehen habe, stand er im Gang und sprach mit Bormann, Goebbels, (Adjutant) Otto Günsche und (Kammerdiener Heinz) Linge, vielleicht auch (Hitler-Jugend-Führer Artur)Axmann.

Was er alles gesagt hat, weiß ich nicht, nur: Dass er verbrannt werden muss und der Günsche dafür die Verantwortung übernimmt. Dann ging er in seine Zelle.

SZ: Haben Sie Hitler nach seinem Selbstmord gesehen?

Misch: Ja. Ich wartete zusammen mit dem Hannes (Hentschel). Plötzlich rief einer vom Gang her - aber ich weiß nicht, wer es war: "Linge, Linge, ich glaube, es ist soweit." Derjenige muss den Schuss gehört haben. Das Telefon ging, ich habe wieder gearbeitet.

Dann wurde es spannend. Die erste Tür ging auf und die zweite auch. Durch die beiden geöffneten Türen sah ich Eva (Braun) mit angezogenen Knien. Den Anblick werde ich nie vergessen.

Dann wollte ich unserem Kommandochef Meldung machen. Auf dem Weg habe ich, aufgeregt, wie ich war, im Verbindungs-Tunnel kehrt gemacht und bin zurück. Da lag Hitler schon auf dem Boden. Sie hatten ihn eingepackt in graue Pferdedecken. Nur seine schwarzen Halbschuhe guckten noch raus. Das Ganze ging ganz leise und schnell vor sich, ganz schnell.

Die Tür ging auf und wieder zu. Der Bormann war auch da, der Axmann, der Kraftfahrer (Erich) Kempka kam dazu und einer vom Reichssicherheitsdienst, den ich nicht kannte. Die haben den eingewickelten Hitler dann an mir vorbei getragen und sind rauf.

Ich bin zum Kommandanten hin und habe gemeldet: "Der Führer ist tot."

Mein Kamerad Retzbach sagte mir dann: "Jetzt wird der Chef verbrannt, jetzt geh mal schnell rauf." Ich wollte nicht. Wir blieben dann beide unten.

"Am Ende hätten sie mich als Feigling aufgehängt. Ich blieb unten"

SZ: Wie ging es dann weiter?

Misch: Der Goebbels war dann ja mein Chef. Ich hörte dann, dass die Reichskanzlei in fünf Gruppen verlassen werden sollte. Ich sprach Goebbels darauf an. Er sagte: "Ich sag Ihnen schon Bescheid."

Hitler-Leibwächter Rochus Misch 2005 Foto: Patrick Das Gupta

Rochus Misch, Aufnahme von Hitlers Schäferhund "Blondi"

(Foto: Das Gupta)

SZ: Was bekamen Sie vom Mord an den Goebbels-Kindern mit?

Misch: Die Kinder kamen herunter, alle in weißen Kleidchen. Frau Goebbels hatte sie zum Sterben zurecht gemacht. Das konnte sie nicht in dem anderen Luftschutzbunker machen, dort war ja noch Personal. Die hätten das doch nicht zugelassen. Also kam sie mit den Kindern herunter.

Ich wusste: Jetzt ist es soweit. Frau Goebbels hat sich ganz normal mit den Kindern unterhalten: "Dann gehen wir zu Onkel Adolf. Aber ihr müsst jetzt mal schön schlafen."

SZ: Aber "Onkel Adolf" war ja inzwischen tot.

Misch: Ja, aber das wussten die Kinder nicht. Als Dr. (Werner) Naumann (Staatssekretär im Propaganda-Ministerium) aus der Zelle von Goebbels kam, sagte er: Wenn es nach ihm gegangen wäre, wären die nicht mehr hier. Dabei zeigte er auf die Zelle.

(SS-Arzt Ludwig) Stumpfegger war da. Dr. Naumann fragte, ob es schlimm sei mit dem Sterben. Da sagte Stumpfegger: Ich geb` ihnen ein Bonbonwasser. Das hat er so leicht gesagt: "Irgendein Bonbonwasser."

Vorher - schon nach dem Tod von Hitler - saß Goebbels mit den Kindern an einem großen Tisch. Ein Junge spielte Ziehharmonika, und sie haben gesungen: 'Die blauen Dragoner, sie reiten.'

Das war mehr oder weniger der Abschied, da waren auch Zivilisten dabei. Danach sind alle weg, alle getürmt, nach dem Motto: Rette sich wer kann.

SZ: Warum sind Sie dann eigentlich noch im Bunker geblieben?

Misch: Ich wusste ja nicht, wie es draußen aussieht. Am Ende hätten sie mich als Feigling aufgehängt. Ich blieb unten.

Bis Goebbels kam und fragte: "Was haben wir denn noch überhaupt?" Ich sagte: "Herr Minister" - obwohl er ja eigentlich Reichskanzler war - "Telefonate, die Gauleitung, der Oberstleutnant Seiffert." Er sagte: "Da ist ja nicht mehr viel."

Dann kam er noch mal und sagte: "Wir haben verstanden zu leben, wir werden auch verstehen zu sterben. Sie können jetzt Schluss machen." Er hat das ganz ruhig gesagt, ganz leger.

Ich habe dann ganz schnell zusammengepackt. Schon ein paar Tage vorher hatte ich mich vom Bestand bedient, einen Rucksack voll mit Knäckebrot, Schokolade und sowas. Ich bin weg, und dann blieben nur noch Goebbels und Hentschel im Bunker.

Später habe ich mal den Hannes Hentschel besucht und fragte ihn: 'Was passierte danach?' Er sagte: 'Gar nichts. Fünf Minuten später war Goebbels tot'.

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