Ukraine-Krieg:Internationaler Strafgerichtshof bereitet Anklagen gegen Russland vor

Ukraine-Krieg: Aus Sicht des Weltstrafgerichts in Den Haag juristisch belangbar: der russische Präsident Wladimir Putin.

Aus Sicht des Weltstrafgerichts in Den Haag juristisch belangbar: der russische Präsident Wladimir Putin.

(Foto: Ilya Pitalev/AP)

Ganz oben auf der Liste könnte Präsident Wladimir Putin stehen. Sein Amt schützt ihn nicht vor einer Anklage als Kriegsverbrecher. Den Haag will zunächst die Verschleppung ukrainischer Kinder nach Russland und die Attacken auf zivile Infrastruktur verfolgen.

Von Ronen Steinke, Berlin

Schon lange schickte der Internationale Strafgerichtshof Drohungen in Richtung Russlands. Nun scheinen den Drohungen tatsächlich Taten zu folgen, zumindest berichtete die New York Times am Montag von einem konkreten Plan der Ermittler des Weltstrafgerichts in Den Haag, der unmittelbar vor der Umsetzung stehe. Demnach soll der Haager Chefankläger, der Brite Karim Khan, entschieden haben, zunächst zwei große Vorwürfe gegen die Verantwortlichen für den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zu erheben. Erstens sei dies die Verschleppung ukrainischer Kinder nach Russland. Zweitens seien es die militärischen Attacken auf zivile Infrastrukturen wie etwa Kraftwerke.

Die New York Times beruft sich auf mehrere anonyme Mitarbeiter des Gerichtshofs, die Einblick in die streng vertraulichen Vorgänge dort hätten. Demnach arbeite der Chefankläger gerade an zwei entsprechenden Anträgen, die den Ermittlungsrichtern in Den Haag vorgelegt werden sollten. Diese Richter würden dann zu entscheiden haben, ob die vorgelegten Beweismittel ausreichen, um Haftbefehle gegen russische Verantwortliche zu erlassen, oder ob erst noch weitere Ermittlungen nötig sind. Offiziell hat sich der Chefankläger wie auch in früheren Fällen nicht in die Karten blicken lassen, welche Taktik er verfolgt.

"Kinder sind keine Kriegsbeute", erklärte Chefankläger Karim Khan

Dass die Verschleppung ukrainischer Kinder aus seiner Sicht besondere Aufmerksamkeit verdient, hat Karim Khan aber bereits mehrmals deutlich gemacht. Zu Beginn dieses Monats besuchte er im Süden der Ukraine ein Kinderheim, das nun leer stand. "Kinder sind keine Kriegsbeute", erklärte Khan und mahnte, dass der zwangsweise Abtransport von Kindern aus einem Kriegsgebiet, wie es Russland unter dem Vorwand des Schutzes von Waisen und verlassenen Kindern betreibt, gegen internationales Recht verstoße.

Die russische Beauftragte für Kinderrechte, Maria Lwowa-Belowa, hatte schon wenige Wochen nach Kriegsbeginn im vergangenen Februar damit begonnen, Kinder nach Russland schicken zu lassen. Sie tritt regelmäßig im russischen Fernsehen auf, um für Adoptionen zu werben. Russlands Präsident Putin unterzeichnete im vergangenen Mai ein Dekret, um ukrainische Kinder schneller in Russland einbürgern zu können.

Die Praxis könnte mindestens als Kriegsverbrechen strafbar sein, womöglich gar als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Über eine juristische Einordnung müssen die Richterinnen und Richter in Den Haag befinden, falls es zu einem Prozess kommt. Ebenso ist es beim Vorwurf gezielter Attacken auf zivile Infrastrukturen. Die Ermittler des Internationalen Strafgerichtshofs sammeln dafür seit Monaten Beweismittel, mit Unterstützung der ukrainischen Behörden und zahlreicher westlicher Staaten wie Deutschland. Weil der Gerichtshof bislang noch keine Tatverdächtigen beim Namen genannt hat, zeigten sich westliche Staaten zuletzt zunehmend ungeduldig.

Sollte es nun zu Haftbefehlen kommen, dann dürften sich diese gegen eine lediglich kleine Zahl von Russen richten. In der Vergangenheit hat das Weltstrafgericht pro Krieg stets nur etwa drei oder vier Hauptkriegsverbrecher für eine Strafverfolgung ausgesucht. Der Name Wladimir Putin könnte dann ganz oben auf der Liste stehen. Sein Staatsamt würde ihn davor nicht schützen, denn der Haager Gerichtshof sieht sich nicht an völkerrechtliche Immunitätsregeln gebunden. Aus der Sicht Den Haags steht niemand über dem Gesetz, auch kein amtierender Staatspräsident.

Russland ist nicht Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofs und hat dessen Statut nicht unterzeichnet, ebenso wenig wie etwa China oder die USA. Aber nach internationalem Recht ist der Gerichtshof dennoch befugt, gegen russische Verbrechen vorzugehen, soweit diese auf dem Territorium der Ukraine begangen wurden. Die Ukraine nämlich hat die Ermittler dazu ermächtigt. Dies gilt für Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord. Lediglich eine Ermittlung wegen des Vorwurfs des Angriffskriegs ist ohne Einwilligung Russlands nicht möglich.

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