Nationaler Bildungsgipfel:Ein sehr leiser Startschuss

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"Das deutsche Bildungssystem steckt in einer tiefen Krise, die uns alle betrifft": Bettina Stark-Watzinger beim Bildungsgipfel in Berlin. (Foto: dpa)

Fehlende Lehrkräfte, Lerndefizite, ungleiche Chancen: Die Schulen stecken in großen Schwierigkeiten. Die Erwartungen an den Krisengipfel der Bundesbildungsministerin waren hoch - doch dann sagten fast alle Kultusminister ab.

Von Vera Kraft

Der Titel des ersten Bildungsgipfels seit 15 Jahren sollte ein bisschen nach Hoffnung klingen. Dass in Wahrheit in den Kultusministerien und Schulen des Landes derzeit eher die Verzweiflung zu Hause ist, war allerdings bereits vor Beginn des Treffens in Berlin klar. "Chance Bildung" war der Gipfel überschrieben, den die Ampelregierung schon in ihrem Koalitionsvertrag in Aussicht gestellt hatte, ein hochkarätiges Treffen von Politik, Wissenschaft und Praxis, für das es angesichts von Corona-Folgen, Lehrkräftemangel und den vielen ukrainischen Flüchtlingen an den Schulen mehr als genügend Themen gibt.

"Das deutsche Bildungssystem steckt in einer tiefen Krise, die uns alle betrifft", hatte die zuständige Ministerin Bettina Stark-Watzinger bereits am Wochenende in der Bild am Sonntag erklärt und die Wichtigkeit des Gipfels betont. Als dann kurz vorher fast alle Kultusministerinnen und -Minister der Länder ihre Teilnahme absagten, weil ihnen Sinn und Ziel des Veranstaltung offenbar nicht klar wurden und sie in die Planungen nicht einbezogen waren, schien die Krise der Bildung in Deutschland plötzlich auch eine Krise des Bundesbildungsministeriums zu werden. Nur die Schulsenatoren aus Hamburg und Berlin, Ties Rabe und Astrid-Sabine Busse, beide SPD, waren zu dem Termin erschienen.

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An den Schulen herrscht Personalmangel, also sollen alle mehr unterrichten. Ist das fair? Nein. Doch dass so viele Lehrkräfte nicht einmal 50 Prozent arbeiten, ist kaum noch vermittelbar.

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Am Dienstag dann also das Treffen, bestehend aus einer Rede der FDP-Ministerin Stark-Watzinger und einem anschließenden Gespräch zwischen Vertretern von Bund, Ländern und Kommunen. Gerade einmal drei Stunden waren für diesen Austausch vorgesehen, der am Rande eines zweitägigen Fachkongresses stattfand. Es gebe viele Zahlen, die die Krise des Bildungssystems beziffern, so Stark-Watzinger. 2021 gab es etwa 630 000 Menschen zwischen 15 und 24 Jahren, die weder eine Schule besuchten, noch eine Ausbildung oder einen Job hatten. Rund ein Fünftel aller Viertklässler erreiche nicht die Mindeststandards beim Lesen, Schreiben und Rechnen. Die Beispiele der Ministerin lassen sich ergänzen. Etwa durch die 50 000 Jugendlichen, die 2021 ohne Schulabschluss die Schule verließen, wie eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt.

"Wir brauchen eine bildungspolitische Trendwende"

Dazu komme der Lehrkräftemangel, der Elefant im Raum bei allen aktuellen Bildungsdiskussionen, wie die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, die Berliner Schulsenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD), später sagte. Auch auf die ungleichen Chancen für Kinder und Jugendliche abhängig von ihrer sozialen Herkunft geht Stark-Watzinger ein. Eine Bestandsaufnahme, die klar mache: "Wir brauchen eine bildungspolitische Trendwende."

Die vielen Probleme im Bildungssystem wurden vorab von allen möglichen Seiten noch einmal öffentlich gemacht und mit Forderungen ergänzt. Angesichts der fehlenden Gerechtigkeit und Qualität in der Bildung brauche es deutlich stärkere Investitionen, hieß es beispielsweise vom Deutschen Gewerkschaftsbund und der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände.

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Laut einer Umfrage war zu Beginn des laufenden Schuljahres an jeder zweiten Schule mindestens eine Stelle unbesetzt. Die Zahl der Beschäftigten ohne Lehramtsstudium hat sich dagegen verdoppelt. Das birgt auch Risiken.

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Bereits im Koalitionsvertrag hatte die Regierung festgehalten, dass Bund, Länder, Kommunen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft sich gemeinsam auf neue Formen der Zusammenarbeit und ambitionierte Bildungsziele einigen sollten. Was das konkret bedeuten könnte, wäre eine wichtige Frage, die aber auch am Dienstag nicht beantwortet werden konnte. Probleme wurden viele benannt, Lösungen nur wenige aufgezeigt.

Forderung nach Kanzlergipfel

Der letzte große Bildungsgipfel hatte im Jahr 2008 stattgefunden und war mit der damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel und allen Ministerpräsidenten hochkarätig besetzt. Umso auffälliger natürlich das Wegbleiben vieler geladener Gäste bei der Neuauflage 2023. Ein Zusammenschluss aus Gewerkschaften, Stiftungen und Verbänden kritisierte, das diesjährige Format werde der Dimension der Herausforderungen nicht gerecht. Es brauche einen "echten Nationalen Bildungsgipfel" samt Bundeskanzler und einen "Neustart in der Bildung".

"Die Arbeit passiert an der Basis", entgegnet Bildungsministerin Stark-Watzinger der Kritik. Es sei "old school" zu denken, man mache einen Gipfel und dann seien die Probleme gelöst. Dieses Treffen sei ein erstes Zusammenkommen von Vertretern der Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrer, aber eben auch der Verbände, Wissenschaft und Politik. Eine erste Möglichkeit für Austausch und damit erst der Beginn der Arbeit.

Einziges konkretes Ergebnis ist deshalb auch der Beschluss, eine "Taskforce Bildung" zu gründen. Eine Arbeitsgruppe also, wie sie schon im Koalitionsvertrag erwähnt wurde, die die Zusammenarbeit koordinieren soll.

Stark-Watzingers Anstoß, "jenseits der bekannten Formate" zusammenzuarbeiten, soll nun wohl ein Impuls sein, bei dem Streit um die Verantwortlichkeiten in der Bildungspolitik, insbesondere zwischen Bund, Ländern und Kommunen, den Fokus wieder stärker auf den Kern, nämlich die Bildung der Kinder und Jugendlichen, zu lenken. Das geplante Startchancen-Programm der Ampelregierung sei eine Chance, um zu beweisen, dass man zusammenarbeiten kann, sagte Stark-Watzinger. Gleichzeitig gehe es aber auch darum, zu beweisen, dass die Gelder nicht nur im Haushalt auftauchen, sondern wirklich bei den benachteiligten Kindern und Schulen ankommen.

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