Feinkost in München:Wenn Erinnerungen an Indien und Johnny Depp verschmelzen

Lesezeit: 3 min

Priti Sarah Henseler gehört seit mehr als 20 Jahren die "Götterspeise" in der Jahnstraße. (Foto: Robert Haas)

Priti Sarah Henseler hat ihre ersten Lebensjahre in Goa verbracht. Über verschiedene Stationen kam sie nach München und führt nun eine Chocolaterie.

Von Sabine Buchwald

Wie und wo jemand aufwächst, ist eben manchmal doch nicht egal. Sarah Henseler hieße nicht auch Priti, wenn ihre Mutter sie nicht nach Goa mitgenommen hätte. Der Name Priti hat seinen Ursprung im Sanskrit und heißt so viel wie Glück, Vergnügen, Freude und Liebe. Diese Bedeutungen hat Henseler viele Jahre später zu ihrem Lebens- und Arbeitsmotto gemacht. Seit mehr als zwei Jahrzehnten führt sie den Laden "Götterspeise" im Glockenbachviertel. Sie verkauft feine, hochpreisige Schokoladen, handgemachte Pralinen, Spirituosen, Tees, Kaffee und Dinge, die man sich selber oder anderen gönnen kann. In einem Gespräch mit Henseler, 51, fallen ganz oft die Wörter Genuss und Vielfalt. Und mit dem Adjektiv lebendig beschreibt sie ihre Erinnerungen an Indien und wie sie ihr Geschäft empfindet.

Wenige Wochen vor Ostern strahlen die Schaufenster an der Jahnstraße in frühlingshaften Orange- und Grüntönen. Sie sind dekoriert mit großen Blumensträußen, mit Hasen und Vasen in Fischform, mit großen und kleinen Lampions. Das alles wirkt bunt und lebensfroh. So hat Henseler auch ihre Zeit in Indien in Erinnerung. Von der Armut in diesem Land habe sie damals nichts mitbekommen, sagt sie. Es habe zu dieser Zeit in Goa noch viele Fischer gegeben und zu essen, so glaubt sie, für alle genug.

Fünf Jahre lebte Henseler dort als Kind. Schon bald nach ihrer Ankunft nannte ihre Mutter sie nur noch Priti. Seitdem heißt sie so für ihre Familie, Freunde und Mitarbeiter. Diese Zeit habe sie geprägt, sagt Henseler. "Die Farben, die Vielfalt, so viele Wahnsinnige. Ich bin irrsinnig frei aufgewachsen. Mit tagelangen Partys, wo auch die Kinder dabei waren." Weil das indische, damals noch sehr englisch geprägte Schulsystem der Mutter zu rigide erschien, schickte sie die Tochter auf Schulen nach dem Summerhill-Prinzip. Druck gab es keinen. "Man konnte lernen oder auch nicht", sagt Henseler. Während in Deutschland Kinder in ihrem Alter um den Übertritt aufs Gymnasium kämpften, sei sie mit Freundinnen auf einem kleinen Moped am Meer entlang durch die Gegend gedüst. Entsprechend groß war dann der Schock, als sie zurückkam. Henseler war am Anfang der Pubertät, so 12 oder 13 Jahre alt, und konnte nicht nicht richtig lesen und schreiben. Sie habe sich dann im Gymnasium durchgebissen, "immer mit einer Sehnsucht nach etwas, das wilder und freier ist".

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Nach dem Abitur wollte sie eigentlich Theaterwissenschaften studieren, ein Numerus-Clausus-Fach. Zur Überbrückung jobbte sie als Flugbegleiterin und nutzte die Gelegenheit vergünstigter Ticket für private Reisen. Den Weg zur Uni fand sie nicht mehr. Henseler hat in Detmold, Freiburg, Köln, in Phoenix/Arizona und in Vietnam gelebt, 1996 kam sie nach München. Irgendwann wusste sie, dass sie etwas tun wollte, was sie mehr fordere, als immer wieder Umzugskisten zu packen. Sie begann, in einem Verlag zu arbeiten, wo sie Programmierprojekte betreute, wechselte zum Conde-Nast-Verlag und organisierte Veranstaltungen. Die Unstetigkeit war lange ihre Begleiterin. Irgendwann aber hat sie sich von ihr verabschiedet.

Inspiration für eine Chocolaterie lieferte der Film "Chocolat" mit Juliette Binoche und Johnny Depp, der im Jahr 2000 ein Kassenschlager war. Henseler lieh sich Geld von Freunden, um ein Leben als Ladenbesitzerin zu starten. Sie musste den Vorbesitzern in der Jahnstraße eine begehbare Kühlkammer und vieles mehr ablösen, denn hier wurden damals noch Erdbeeren und Eissalat verkauft. Zwei Jahre lang bot Henseler neben einer ersten Auswahl an Schokoladen auch noch gesundes Grünzeug an, bis sie nicht mehr morgens um vier in die Großmarkthalle fahren wollte. Man brauche ohnehin wahnsinnig viel Energie, um ein Geschäft zu führen.

In der "Götterspeise" gibt es Ideen für die eigene Küche und Geschenke. (Foto: privat)

Auch jetzt kommt sie meistens vor ihren Mitarbeitern gegen halb acht morgens ins Geschäft und macht abends zu Hause noch die Einsatzpläne. 30 Leute beschäftigt sie. Menschen, mit denen sie sich gerne umgibt. "Viele Individualisten." Das mache es nicht einfacher.

Jetzt reist Henseler immer noch, so oft sie kann. Vor Corona besuchte sie einmal im Jahr Indien, gerade eben war sie in Marrakesch, um ein bisschen Sonne zu tanken und eine Keramikmanufaktur zu besuchen. Aus Marokko kommt eine ihrer außergewöhnlichsten Pralinen: die Sesamblume, außen knusprig, innen samtig weich. Diese Sorte gebe es sonst nur noch im Berliner KaDeWe, sagt Henseler. Solche Exklusivität hat ihren Preis. 100 Gramm Pralinen kosten knapp zehn Euro. Das ist viel Geld, das weiß auch Henseler. Im Glockenbachviertel aber gibt es genug Leute, die sich das leisten können. Bei ihr könne man kurz durchatmen, innehalten, sich erfreuen. Ihr Laden bietet ihr einen Rahmen für das Überbordende, Bunte, Lebendige, für das Glück, nach dem sie sich immer gesehnt hat. Seit ihren Kindheitsjahren in Indien.

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