Bilanz für 2022:Verkehrsministerium reißt Klimaziele

Bilanz für 2022: Politikbereich ohne Plan zum CO₂-Sparen: Der Verkehr ist nach Ansicht des Umweltbundesamts ein "Sorgenkind".

Politikbereich ohne Plan zum CO₂-Sparen: Der Verkehr ist nach Ansicht des Umweltbundesamts ein "Sorgenkind".

(Foto: Marijan Murat/dpa)

Im Bereich von Minister Wissing steigen die Emissionen erneut, statt zu sinken. Nur ein starker Rückgang der Treibhausgase bei der Industrie rettet die deutsche Bilanz formal. Dieses Jahr wird das nicht reichen.

Von Thomas Hummel, München

Zwar hat Deutschland im Jahr 2022 sein Klimaziel erreicht. Doch die Bereiche Gebäude und Verkehr bereiten weiterhin große Sorgen, beide schafften ihre im Klimaschutzgesetz vorgegebenen Zielmarken nicht. Im Verkehr stiegen die Emissionen sogar zum zweiten Mal in Serie, wie aus einer Prognose des Umweltbundesamts (UBA) hervorgeht, die am Mittwoch vorgestellt wurde. Nur durch einen starken Rückgang in der Industrie sank der Treibhausgasausstoß insgesamt um knapp zwei Prozent auf 746 Millionen Tonnen sogenannter Kohlendioxid (CO₂)-Äquivalente. Zehn Millionen weniger, als insgesamt erlaubt war.

Die Geschwindigkeit, mit der die Emissionen zurückgehen müssen, nimmt nun allerdings erheblich zu. UBA-Präsident Dirk Messner mahnte: "Um die Ziele der Bundesregierung bis 2030 zu erreichen, müssen nun pro Jahr sechs Prozent Emissionen gemindert werden. Seit 2010 waren es im Schnitt nicht einmal zwei Prozent", sagte er. Die Bundesrepublik liegt nun 40,4 Prozent unterhalb des Werts von 1990, bis 2030 sollen die Treibhausgase um 65 Prozent sinken. 2045 soll das Land klimaneutral sein.

Die Entwicklung im Verkehrsbereich führte zu herber Kritik an Bundesminister Volker Wissing (FDP). Für Messner ist der Verkehr das "Sorgenkind", denn trotz teuren Sprits sei der Verbrauch kaum zurückgegangen. Vielversprechend sei, dass 1,9 Millionen Elektroautos im Jahr 2022 zugelassen wurden, bis 2030 müsse sich diese Zahl auf 15 Millionen erhöhen. Doch daneben benötige der Verkehrsbereich dringend einen Plan zur Reduktion der Emissionen, den aber könne er nicht erkennen, sagte der UBA-Chef. Zum Beispiel könne er nicht nachvollziehen, wieso trotz klammer Finanzen und der Klimaproblematik an Subventionen für Diesel-Treibstoff oder Flugverkehr festgehalten werde.

Die Klima-Allianz Deutschland, ein Bündnis aus 140 Organisationen, sprach von einem anhaltenden Rechtsbruch im Verkehrsministerium. Der Bundeskanzler trage die politische Verantwortung für "die Geisterfahrt der FDP beim Klimaschutz", Olaf Scholz müsse wirksame Maßnahmen zur Reduktion von Emissionen einfordern - "und damit die Einhaltung geltenden Rechts in Deutschland". Die Umwelthilfe kündigte an, den Gesetzesverstoß mit Klagen stoppen zu wollen, derzeit läuft ein entsprechendes Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg.

Stefan Gelbhaar, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, forderte ein Umsteuern, denn "alles, was in anderen Sektoren erreicht wird, zerrinnt aktuell im Verkehr wieder zwischen den Fingern." Gelbhaar verlangte bessere Bedingungen für den Rad- und Fußverkehr, Investitionen in Bus und Bahn oder ein Tempolimit auf Autobahnen.

Wissing hat 2022 keine Maßnahmen vorgelegt, um die Emissionen zu senken

Volker Wissing hingegen sieht seinen Bereich auf einem guten Weg. "Die Antriebswende ist eingeleitet, und ihr Hochlauf nimmt immer mehr zu", sagte er der Funke Mediengruppe. Er verwies auf den Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur, Förderprogramme zum Umrüsten von Dieselbussen und das Deutschlandticket. Die hohen Emissionen, erklärte der FDP-Politiker, seien auch ein Ausdruck einer dynamischen Wirtschaft und einer Gesellschaft, für die Mobilität ein hohes Gut sei.

Überschreitet ein Sektor sein Ziel, muss das zuständige Ministerium binnen drei Monaten ein Sofortprogramm vorlegen, um wieder auf den Minderungspfad zu kommen. Wissing hatte im vergangenen Jahr zwar einen solchen Plan vorgelegt, aber darin Maßnahmen verweigert, die die Emissionen nachhaltig senken könnten. Wissings FDP möchte gerne das Gesetz so abändern, dass nicht die Sektoren bewertet werden, sondern das Ergebnis der Gesamtrechnung zählt. So solle der Verkehr mehr Zeit für eine CO₂-Reduzierung bekommen, andere Sektoren sollen dafür mehr tun. 2022 wäre diese Rechnung aufgegangen. Doch wollen Grüne und SPD den Verkehrsbereich bislang nicht aus der Verantwortung lassen.

Auch im Gebäudebereich wurden die Ziele des Klimaschutzgesetzes nicht erreicht, wobei hier die Emissionen sanken, wenn auch nicht stark genug. Wegen der hohen Energiepreise wurde weniger geheizt, zudem blieb der Winter mild. Die CO₂-Bilanz dürfte hier die Debatte um ein Verbot für neue Öl- und Gasheizungen befeuern. Sowohl die Europäische Union als auch die Bundesregierung arbeiten an Gesetzentwürfen, die den Umstieg hin zu klimaneutralen Heizungen beschleunigen sollen. Doch auch hier bremst die FDP.

Um mehr als zehn Prozent sanken die Emissionen indes bei der Industrie. Durch die hohen Energiepreise sparten die Unternehmen bei Strom, Gas und Öl, einige Branchen drosselten ihre Produktion.

UBA-Chef Messner forderte vor allem ein wesentlich höheres Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien. "Wir müssen es schaffen, dreimal so viele Kapazitäten wie bisher zu installieren." Eine Hängepartie wie in den vergangenen Jahren dürfe es nicht mehr geben, alle Stolpersteine auf dem Weg zu mehr Wind- und Sonnenkraft müssten beseitigt werden.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusTrockenheit
:Europa erlebt eine ungewöhnliche Winterdürre

Wenig Regen, sinkende Pegel, Wassersparmaßnahmen: In vielen Ländern Südeuropas, aber auch in Irland und Großbritannien ist es viel zu trocken. Im Alpenraum fiel wenig Schnee. Das verheißt nichts Gutes für die kommenden Monate. 

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: