SZenario:"Was hat das mit der CSU zu tun?"

SZenario: Die vier Redner des Abends (v.l.): Akademiedirektor Udo Hahn, Staatskanzleichef Florian Herrmann, VDK-Präsidentin Verena Bentele und Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm.

Die vier Redner des Abends (v.l.): Akademiedirektor Udo Hahn, Staatskanzleichef Florian Herrmann, VDK-Präsidentin Verena Bentele und Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Beim Jahresempfang der Evangelischen Akademie Tutzing wird der Musiksaal zur Wahlkampfarena erklärt. Dabei hat hier auf Wahlkampf eigentlich keiner so richtig Lust. Streifzug durch einen wunderlichen Abend.

Von Viktoria Spinrad, Tutzing

Um kurz vor 23 Uhr bricht der bayerische Landtagswahlkampf bereits zum zweiten Mal an diesem Abend über das idyllische Tutzing herein. In der Ecke hinter dem blankpolierten Klavier hat sich eine Gruppe Feuerwehrleute aus dem Ort verschanzt. Sie haben keine Schläuche dabei, sie sind ja auch nur für den Fall einer notwendigen Evakuierung da. Was nicht heißt, dass es hier keinen Brand zu löschen gäbe - zumindest im übertragenen Sinne.

Auf den Handydisplays leuchtet das Bild eines roten Feuerwehrwagens. Ihr Feuerwehrwagen, mit dem Tutzinger Wappen. Doch er ist gekapert, von der CSU, dieser Partei, die schon immer ganz gut wusste, wie man Erfolge anderer als die eigenen verkauft.

SZenario: Das Corpus Delicti.

Das Corpus Delicti.

(Foto: Viktoria Spinrad)

Davon zeugen nun auch die großen Lettern über dem Tutzinger Löschwagen. "In Bayern gibt es über 7500 freiwillige Feuerwehren!", steht da - so hat es der christsoziale Social-Media-Manager auf Facebook überschrieben. Wahlwerbung also, mit dem Tutzinger Feuerwehrwagen. "Aber was hat das mit der CSU zu tun?", fragt sich einer. Was sich die CSU erdreiste, damit Wahlkampf zu machen, "mit unserem Auto", sagt ein anderer.

Wenige Meter entfernt verköstigen am Mittwochabend diverse Vertreter der CSU Weißwein und Blutorangen-Radicchio-Salat. Über Lachsröllchen gebeugt referiert Ian-tsing Joseph Dieu, der Generaldirektor der Taipeh-Vertretung in München, über die Standhaftigkeit seines Volkes, der Taiwanesen. Ein paar Meter weiter hüpft der ewig löwenmähnige Musikproduzent Leslie Mandoki durch die Gänge des Tutzinger Schlosses. Um die Ecke hat sich der oberste Landesprotestant Heinrich Bedford-Strohm so tief im Sofa niedergelassen, dass man meint, er werde nie wieder aufstehen können, was ja auch kein Wunder wäre angesichts der historisch hohen Austrittszahlen aus der Kirche.

Bei der Evangelischen Akademie Tutzing weiß man ja: Die Mischung macht's. Seit 1972 lädt die Denkfabrik am Starnberger See Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Gesellschaft bei ihrem Jahresempfang zu einer Art kleinen Bundesversammlung mit After-Party. Hier hat der damalige Bundespräsident Horst Köhler 2006 erstmals Homo-Ehen mit dem Satz "Familie ist, wo Kinder sind" gewürdigt. BMW-Grandezza Susanne Klatten plädierte 2017 für eine entschlossene, klimaverträgliche Transformation der Wirtschaft, der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn 2019 für einen besseren Zusammenhalt in der EU.

Traditionell hat das Jahreshighlight der Akademie nicht zuletzt den Charakter einer gegenseitigen Selbstversicherung. Wer ist geladen, wer kommt? Ist die Akademie noch wer? Kann sie noch die interessantesten Persönlichkeiten Bayerns anziehen? Wobei ja praktischerweise viele Promis wie Leslie Mandoki und sein Nachbar Peter Maffay direkt im beschaulichen Tutzing wohnen. Aber viele eben auch nicht. Der Parkplatz ist eine halbe Stunde vor Beginn der Veranstaltung so voll wie bei einem Lobbytreff der Automobilindustrie.

SZenario: 300 Menschen sind am Mittwoch zum Tutzinger Schloss gekommen. Darunter die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, Bamf-Präsident Hans-Eckhard Sommer und Hohenzollern-Spross Oskar Prinz von Preußen.

300 Menschen sind am Mittwoch zum Tutzinger Schloss gekommen. Darunter die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, Bamf-Präsident Hans-Eckhard Sommer und Hohenzollern-Spross Oskar Prinz von Preußen.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Davor steht eine Frau in roter Signalweste und wirkt reichlich verzweifelt beim Versuch, die letzten Ankömmlinge noch passgerecht zwischen die Limousinen einzuweisen. Wie eine menschgewordene Warnung: Ohne (Wahl-)Kampf wird es hier heute nicht gehen. Die Meldung, dass Ministerpräsident Markus Söder (CSU) doch nicht kommt, hat sich da längst rumgesprochen. Die in Corona-Zeiten berühmt gewordene Ministerpräsidentenkonferenz ruft am Donnerstag eben. So bleibt es seinem Staatskanzleichef Florian Herrmann überlassen, den Musiksaal sieben Monate vor der Landtagswahl in ein Bierzelt zu verwandeln.

Und der lässt nichts aus. Cancel Culture, High-Tech-Agenda, Härtefallpaket. Die schlechteste Rede des Abends, sollte später ein Parteifreund lästern. Herrmann ist grade dabei, die CSU mit den bayerischen Königen zu vergleichen, ein Moment, in dem im Bierzelt die Krüge hochgehen würden, da stolpert Tutzings Bürgermeisterin Marlene Greinwald (FW) mitten in den Wahlkampf. Die nimmermüde Rathauschefin war noch im Zillertal, um ein Feuerwehrauto abzuholen - nicht das aus der CSU-Werbung, sondern ein anderes. Die wohl steilste These des Abends hat sie da gerade verpasst. "Bayern ist ein sozial gerechtes Land", hatte Herrmann den 300 Gästen entgegengerufen. Eine Behauptung, welche die Hauptrednerin des Abends kurz darauf lustvoll seziert.

"Armut ist eine Zumutung", sagt Bentele

Wenn man für Bayerns Armutsstatistik deutschlandweite Zahlen als Vergleich heranziehe, kämen da eben schöne Zahlen bei raus, rüffelt Verena Bentele. Wie wichtig nackte Zahlen sind, das weiß die SPD-Politikerin, die als Präsidentin des Sozialverbands VDK auf der Bühne steht. Die von Geburt an blinde Ex-Biathletin und Skilangläuferin war viermal Weltmeisterin und zwölfmal Paralympics-Siegerin - was nur geht, wenn man um jede Millisekunde kämpft.

Die Zahlen, die sie mitgebracht hat, klingen nicht ganz so verheißungsvoll. Zehn Prozent der Bevölkerung seien es, die über 60 Prozent des deutschen Gesamtvermögens besitzen. 36 Milliardäre, die so viel besitzen wie die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung. Jeder zwölfte junge Mensch armutsgefährdet. "Armut ist eine Zumutung", sagt Bentele und erntet eine halbe Minute Applaus.

Wäre man bei Harry Potter, dann würden sich jetzt mit einem Schnipser des Schulleiters Dumbledore tiefschwarze Flaggen an der Decke in ein rotes Fahnenmeer verwandeln. Doch nach anderthalb Stunden Reden scheint die Verantwortungselite des Landes ein wenig ermattet. "Optionen brauchen eine Grundlage", hatte Bentele gerufen. Damit behielt sie recht: Kurz darauf stürmen alle das Büffet.

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